"Ich habe schon die Idee, dass wir das Ding auch gewinnen können." Das Ziel ist klar, für Bundestrainer Julian Nagelsmann und den Deutschen Fußball-Bund. Zwei überzeugende Spiele der Nationalmannschaft zu Jahresbeginn haben gereicht, um eine verloren geglaubte Euphorie zu entfachen. Und: das Selbstvertrauen ist auch zurück. "Habe ich schon oft gesagt, wenn wir an einem Turnier teilnehmen, sollten wir es auch gewinnen wollen." Vergessen sind die Tiefpunkte und Tiefpunkte der Tiefpunkte in den letzten Jahren.
Zweimal Aus in der WM-Vorrunde und viele desolate Leistungen in der Folge. Im September, erst ein gutes halbes Jahr her, wurde zum ersten Mal überhaupt ein Bundestrainer entlassen. "Während Basketball-Deutschland feiert, steckt der hiesige Fußball in einer tiefen Krise", heißt es in einem Radio-Kommentar. "Nach dem WM-Vorrunden-Aus und der jüngsten Serie von Niederlagen entließ der DFB Hansi Flick. Das Testspiel gestern Abend in Wolfsburg gegen Japan hatte die Mannschaft mit 1:4 verloren."
Die Stimmung hat sich gedreht - zum Positiven
Julian Nagelsmann übernimmt, aber auch unter ihm läuft zu Beginn nicht alles rund. Niederlagen gegen Österreich und die Türkei im November und aus Zweifeln an der Leistungsfähigkeit der Mannschaft scheint fast die Gewissheit der Nicht-Leitungsfähigkeit geworden zu sein. Aber ein umgekrempelter Kader, der x-te Neustart und zwei sehr überzeugende Tests im März gegen Frankreich und die Niederlande und die Stimmung hat sich um 180 Grad gedreht. Ab sofort redet man wieder vom Titel beim DFB und präsentiert die Namen des EM-Kaders in einer zuweilen skurrilen Influencer-Aktion in den sozialen Medien. "Das ist der Jonathan Tah, Robin Koch, Maxi Beier, Alexander Nübel, Maximilian Mittelstädt, Manuel Neuer, Du bist natürlich dabei."
27 Namen, es sind fast dieselben wie bei den Tests im März, machen das Turnier greifbar. Nur noch wenige Tage, dann beginnt die Fußball-EM in Deutschland, die erste hierzulande seit 1988. Sie wird das größte Sportereignis in Deutschland in diesem Jahrzehnt. Für den DFB eine Chance, größtmögliche Erwartungen mit dem Turnier zu verknüpfen. Wenn am 14. Juli im Berliner Olympiastadion das EM-Finale angepfiffen wird, will das deutsche Team mit auf dem Platz stehen; ist doch der vierte deutsche Weltmeistertitel von Maracana dann exakt 10 Jahre und einen Tag her. "Mach ihn, er macht ihn. Mario Götze, das ist doch Wahnsinn."
EM soll möglichst auch ein gesellschaftlicher Erfolg werden
Diese Fußball-EM 2024 soll ein Erfolg werden, sportlich, aber vor allem auch gesellschaftlich. Wie nach allen Sport-Großveranstaltungen soll etwas bleiben: ein neuer gesellschaftlicher Kitt, ein nachhaltiges Erbe. Das erhofft sich beispielsweise Bundesinnen- und Sportministerin Nancy Faeser: "Die EURO ist eine große Chance für den Zusammenhalt in unserem Land. Gerade in Zeiten, in denen Europas Werte von innen und außen bedroht werden, können wir mit der Euro zeigen, Sport und demokratische Werte gehören fest zusammen. Das ist unsere Visitenkarte als Gastgeber dieser EURO." Gerade weil die Europawahl beim Anpfiff zum Eröffnungsspiel erst fünf Tage zurückliegt.
Und immer wieder der Vergleich zur WM 2006, als Deutschland einen außergewöhnlichen Sommer voll Lebensfreude erlebte, der bis heute, trotz aller Korruptions-Skandale, im kollektiven Gedächtnis "Sommermärchen" heißt. "Ich habe jetzt nicht den Anspruch zu sagen, es soll ein Märchen werden. Märchen sind ja auch irgendwie immer eher nicht real", vermeidet Markus Stenger den direkten Vergleich mit 2006. Stenger ist einer von zwei Geschäftsführern der EURO 2024 GmbH. Einem Joint-Venture, das vom Deutschen Fußball-Bund und dem europäischen Verband UEFA eigens für das Turnier gegründet wurde. Dort versucht man alle Weichen zu stellen für ein Großereignis mit 24 Teams und bis zu 12 Millionen Fans.
"Jetzt ist es wirklich ein traditionelles Fußballturnier mitten im Herzen von Europa. Die Leute haben Lust auf Freiluft-Events und generell auf das Thema Event. Also insofern glaube ich die 12 Millionen, die packen wir auf jeden Fall." Nach Olympischen Spielen und Fußball-Weltmeisterschaften ist eine EM das drittgrößte Sportereignis der Welt. Seit dem Zuschlag 2017 bereitet sich Deutschland auf vier intensive Wochen vor.
EM in zehn deutschen Städten
Gespielt wird in zehn deutschen Städten, allein in Nordrhein-Westfalen befinden sich vier Spielorte. Köln, Düsseldorf, Gelsenkirchen und Dortmund – die Stadt, die sich selbst gern als "Fußball-Hauptstadt Deutschlands" bezeichnet. Dort hat man aktuell aber noch anderes im Kopf. "Natürlich ist Dortmund, das wird bis zum 1. Juni jetzt auch so bleiben, noch nicht komplett auf diese Euro gepolt", sagt Martin Sauer bei einem Besuch in Dortmund. Sauer ist Beauftragter der Stadt für die Europameisterschaft. "Weil wir natürlich hier einen ziemlich großen Verein haben, der eine unglaubliche Bedeutung für die Stadt hat. Und der spielt jetzt am 1. Juni im Champions-League-Finale in London. Und es ist völlig logisch für eine Stadt wie Dortmund: Bis zum 1. Juni hat das Priorität hier, das ist hier, sage ich mal, ein innerstädtisches Gesetz."
Seit zwei Jahren ist Martin Sauer verantwortlich für das, was Dortmund zur EM plant. Er ist selbst Leistungssportler gewesen. Als Schlagmann des Deutschland-Achters hat er acht Weltmeistertitel gewonnen - und Olympisches Gold 2012 in London. Jetzt dreht sich bei ihm alles um die Vorbereitung der Fußball-EM. "Die Stunden am Tag sind sicherlich inzwischen zu kurz. Wir sind schon sehr am Anschlag mit dem, was jetzt zu tun ist. Und das wird auch bis zum Turnierbeginn mit Sicherheit zu bleiben."
Dabei geht es weniger um die genaue Organisation der insgesamt sechs Spieltage in Dortmund. Oberste Priorität hat ein reibungsloser Ablauf und das Aufrechterhalten des städtischen Lebens - trotz des zu erwartenden Fußball-Ausnahmezustands. "Die Leute wollen ja trotzdem bei der Feuerwehr anrufen, wenn es bei ihnen brennt und dann soll trotzdem einer kommen. Und dann kann ich jetzt nicht die Ausrede herhalten: Ach, heute spielt leider die Türkei gegen Georgien. Wir haben keine Zeit, wir müssen gerade was anderes machen."
EM auch als Imagepflege für Deutschland
Während Martin Sauer bei der EM "seine" Stadt im Blick hat, ist Andreas "Mex" Schär für das große Ganze zuständig. Der Schweizer ist neben Markus Stenger Co-Geschäftsführer der EURO-GmbH, also auch so etwas wie der Cheforganisator des Turniers. Eine kontinentale Veranstaltung, an die große Erwartungen geknüpft sind: "Wenn wir es alle gemeinsam gut machen, ist sicher mal einfach das Image aufpolieren. Wir wissen alle von 2006, da hat ja Deutschland so den Grundstein gelegt für diese Willkommenskultur, die man den Deutschen vielleicht etwas weniger angesagt hatte im Vorfeld, und das war dann für alle positiv und überraschend. Ich glaube, da können wir noch mal einen drauflegen."
Noch mal einen drauflegen, heißt im Klartext: Angesichts der Kriege und Krisen der letzten Jahre und des von vielen als eisiger wahrgenommenen gesellschaftlichen Klimas, wird die Kraft des Fußballs beschworen. Mehr noch. Geht es nach Turnierdirektor Philipp Lahm, selbst Weltmeister von 2014, dann soll die EM nicht weniger als eine Zeitenwende für Deutschland und ganz Europa bringen. So zumindest formuliert er es im Herbst in einem Gastbeitrag für das Fachmagazin Kicker.
Kurz darauf erläutert er im Deutschlandfunk-Players-Podcast seine Hoffnung, "dass die Menschen wieder zusammenkommen, dass sie miteinander sprechen, feiern, dass wir verteidigen, was wir haben: Freiheit, friedvolles Miteinander, Demokratie. Ich glaube, dass das sehr, sehr wichtig ist. Und das in der heutigen Zeit, wo viele Dinge einfach passieren, wo jeder mehr auf sich schaut, wünsche ich mir von diesem Turnier - und ich bin der festen Überzeugung, dass so ein Turnier eine Kraft hat, eben Menschen wieder zusammenzubringen und unsere Gesellschaft Deutschland aber wie in Europa eben wieder ein Stück näherbringen."
Der Fußball soll also richten, was sonst gerade niemandem so recht gelingt. Gräben zuschütten, alle hinter einer großen Sache versammeln. Die EM soll für vier Wochen einen Zufluchtsort bieten in den Sorgen und Krisen des Alltags. Alles darüber hinaus sei dann aber zu viel, räumt DFB-Präsident Bernd Neuendorf ein: "Dass der Fußball jegliche Probleme dieser Welt, die selbst die besten Politiker nur schwer lösen können, mithilfe eines Turniers lösen kann, das würde uns schon ein bisschen überfrachten. Dennoch: Die Hoffnung bleibt: Euphorie auslösen und die vier Wochen EM zu einem großen Fest machen, in dem Sorgen und Probleme nicht mehr so im Vordergrund stehen.
Philipp Lahm selbst trug vor 18 Jahren dazu bei. Im Eröffnungsspiel der WM 2006 gegen Costa Rica erzielte er in München schon nach wenigen Minuten den Führungstreffer, der Anfang eines besonderen Sommers. 2024 braucht es mehr als ein Quäntchen Glück, um das Turnier auch für die Gesellschaft zum Erfolg zu machen. Die Welt ist eine andere als 2006, vieles hat sich verändert.
Auch die Orte der Teamcamps wollen profitieren
Damals – Angela Merkel ist noch frisch im Amt als Kanzlerin – sind die Finanz- und anderen Krisen, die Pandemie, die Kriege in Europa weit weg. Und auch das: das iPhone war noch gar nicht erfunden, Facebook in Deutschland noch nicht gestartet. Jetzt scheint fast alles anders: Gesellschaftlicher Dialog wird schwerer, an manchen Stellen sogar unmöglich. Und der Krieg in Europa ist bei diesem Turnier mit Händen zu greifen. Denn die Ukraine ist qualifiziert. Gegen Rumänien steigt das Team am 17. Juni in München in das Turnier ein.
Für die Ukraine ist das mehr als nur ein Stück Normalität in grauenvollen Kriegsalltag: Dass die Ukraine teilnimmt, ist natürlich auch politisches Zeichen. Russland darf seit Kriegsbeginn an keinem europäischen Wettbewerb mehr teilnehmen, ist von Club- wie von Nationalmannschaftswettbewerben ausgeschlossen. Wohnen wird das ukrainische Team in Taunusstein. Als einzige der 24 qualifizierten Mannschaften bezieht man in Hessen Quartier, wählte aufgrund der Spielorte aus dem UEFA-Hotel-Katalog Taunusstein aus.
"Eine großartige Sache" für Taunussteins Bürgermeister Joachim Reimann von der CDU. "Vor allen Dingen auch ziemlich unerwartet und ein schönes Alleinstellungsmerkmal hier in der Region." Für die kleine 30.000 Einwohner-Stadt eine echte Herausforderung. Denn die Vorkehrungen zum Schutz der Mannschaft werden groß sein. "Wir haben auf jeden Fall Respekt davor, großen Respekt. Und ich weiß auch, dass die zuständigen Sicherheitsbehörden da die Sache auch sehr ernst nehmen und das auch sehr intensiv und gut vorbereiten. Aber die Freude überwiegt schon, also ich bin da optimistisch, dass das alles gut geht."
Der Bürgermeister hofft darauf, die Stadt überregional auch als guten Gastgeber bekannt zu machen. Es ist die Chance für eine kleine Kommune, ein winziges Stück abzubekommen von dem ganz großen EM-Kuchen. Die UEFA reglementiert zwar auch in Taunusstein viel, bisher gibt es beispielsweise keinen Kontakt zwischen der Stadt und den prominenten Gästen, davon lässt sich Bürgermeister Reimann aber nicht unterkriegen. "Wir werden noch keine großen öffentlichen Veranstaltungen mit dem Team haben. Das ist uns schon mitgeteilt worden. Es wird ein großes öffentliches Training geben, wo aber auch wir gar nicht in der Verteilung der Tickets dafür einen eingebunden sind." Ein Willkommensfest soll es aber auf jeden Fall geben in der Stadt, wenn das Team ankommt. "Ich glaube, die Zuwendungen für die deutsche Nationalmannschaft ist noch ein Tick höher. Aber auf jeden Fall haben wir zwei Favoriten."
Terrorgefahr ist Thema bei der Vorbereitung
Die Polizei wird in Taunusstein sicher viel Präsenz zeigen, das ukrainische Team wird besonders geschützt während dieser EM. Bietet die große Bühne doch Anreiz genug für politische Demonstrationen. Sei es im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg oder Aktionen beispielsweise von Klima-Aktivisten.
"Wir versuchen da auch alle Szenarien durchzudenken und vorzubereiten, aber de facto, man kann nie was ausschließen", erklärt Organisator Markus Stenger die Vorbereitungen. Zwar existiert um alle Stadien eine Bannmeile von rund 500 Metern, in denen nicht demonstriert werden darf. Letztlich müssen aber die Sicherheitsbehörden vor Ort entscheiden und abwägen zwischen den Turnierregeln und dem Recht auf freie Meinungsäußerung. "Das Schöne ist aber ja auch in Deutschland. Man kann seine Meinung frei äußern, und deswegen wird das sicherlich das eine oder andere rund um die Euro auch stattfinden. Insofern sind wir wachsam, aber gibts hundertprozentige Sicherheit, das gar nicht stattfindet? Die gibt es, glaube ich dann da auch nicht."
Schlagzeilen macht in den Wochen vor der Europameisterschaft vor allem eine mögliche Terrorgefahr. Seit dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober hat sich die Lage verschärft, das machte auch der Terroranschlag auf einen Konzertsaal in Moskau im März deutlich. Beate Bube, Präsidentin des Verfassungsschutzes in Baden-Württemberg, erklärte in den ARD-Tagesthemen: "Gerade auch vor dem Hintergrund der Lage im Nahen Osten. Solche Weltlagen wirken sich immer auch ganz konkret bei uns im Land aus, und insoweit müssen wir uns gut vorbereiten und das sind wir auch."
Gut vorbereitet sieht auch Herbert Reul von der CDU im Deutschlandfunk-Gespräch die Sicherheitsbehörden. Der nordrhein-westfälische Landesinnenminister hält aber nichts von übertriebener Sorge. Zwanzig der insgesamt 51 Turnierspiele finden in seinem Bundesland statt. "Man muss bei jedem Großereignis immer die Lage ernst nehmen. Mit Sorgenfalten im Gesicht rumrennen ändert nichts, aber man muss sich gut vorbereiten. Ja, im Moment ist eine hohe abstrakte Gefahr. Das ist unstrittig. Und Großereignisse bieten immer für diejenigen, die so was planen, noch mal so einen besonderen Anreiz. Aber auch auf der anderen Seite dürfen uns auch die Fußball-Europameisterschaft nicht vermiesen lassen."
Auch wenn es eine konkrete Drohung durch die Organisation ISPK gibt. Der Ableger des Islamischen Staats, den die Sicherheitsbehörden sehr ernst nehmen, hatte zum Jahreswechsel unter anderem mit einem Anschlag auf den Kölner Dom gedroht. In einem Video der Organisation sieht man jetzt einen bewaffneten Mann, der in ein Fußball-Stadion blickt und sagt: "Dann schieß du das letzte Tor", dazu nennt er die Städte München, Berlin und Dortmund. "Dass Dortmund mit im Fadenkreuz ist, liegt auch daran: Neben München und Berlin sind wir die Stadt mit den meisten Spielen, also es ist sozusagen irgendwie logisch, dass wir dann automatisch mit ins Sichtfeld geraten", versucht Dortmunds EM-Beauftragter Martin Sauer die Situation einzuordnen. Die Sicherheitsbehörden sind in seinen Augen gut vorbereitet – nicht nur auf mögliche terroristische Anschläge. "Ich will auch nicht, dass hier einer vor die U-Bahn fällt. Und die Wahrscheinlichkeit ist deutlich größer, dass so etwas passieren könnte, wenn man dafür nicht aufgestellt ist."
Viel Vorbereitung in Sachen Sicherheit
Sechs Spiele werden auch im Berliner Olympiastadion stattfinden, darunter das Endspiel. Die Polizeipräsidentin der Hauptstadt, Barbara Slowik, rät zur Besonnenheit: "Ich würde sehr dafür plädieren, ganz sorgfältig bei dem Thema der islamistischen Gefahr oder der Gefahr von Anschlägen mit Worten umzugehen, mit den Worten Drohung, Bedrohung und Gefahr. Polizeilich sprechen wir von einer abstrakt hohen Gefahr. Wir haben aktuell keine konkreten Hinweise auf eine Anschlagsplanung. Das ist uns ganz wichtig." Islamisten versuchten durch Videos wie dieses einzuschüchtern und eine Drohkulisse aufrechtzuerhalten. Das nehme man sehr ernst, sagt Slowik. Aber: "Aus so einer Drohung ergibt sich aber eben nicht unmittelbar eine Bedrohung."
Vor der Europameisterschaft 2016 wurde Gastgeberland Frankreich von mehreren Terroranschlägen heimgesucht. Allein am 13. November 2015 starben 130 Menschen, als islamistische Terroristen vor allem in der Konzerthalle Bataclan ein Massaker anrichteten. Die Serie der Anschläge hatte wenige Minuten zuvor mit mehreren Detonationen an den Toren des Stade de France begonnen. Hier standen sich Frankreich und Deutschland in einem Freundschaftsspiel gegenüber. Bei der EM 2016 war die Sicherheitslage deshalb extrem erhöht, kaum eine Metrostation in Paris ohne schwer bewaffnete Polizisten oder Militär. Ein Bild, das sich in Deutschland so nicht wiederholen wird, bekräftigt NRW-Innenminister Reul. "Also wir sind ein bisschen anders gestrickt. Wir werden nicht an jeder Ecke Polizisten und Militär haben uns das ist auch außerdem ganz anders organisiert. Aber alle Polizistinnen und Polizisten haben Dienst, haben Urlaub und frei gestrichen bekommen. Das heißt, wir sind alle erreichbar, alle im Einsatz."
Allein 22.000 Bundespolizisten werden im Einsatz sein. In Neuss wird zudem extra ein spezielles Lagezentrum eingerichtet. Das IPCC, das International Police Cooperation Center, soll der zentrale Anlaufpunkt sein. Es ist keine Polizeibehörde im eigentlichen Sinn, aber auf 500 Quadratmetern Bürofläche werden über 120 Arbeitsplätze eingerichtet und alle Experten aus verschiedensten Bereichen, internationale Verbindungsbeamte und auch die Nachrichtendienste zusammenarbeiten. Das Ziel: schnellstens reagieren, sobald sich die Lage ändert. "Wir erhoffen das Beste und erwarten das Schlimmste", erklärt der Leiter des IPCC, Polizeidirektor Oliver Strudthoff, im Deutschlandfunk die Herangehensweise.
"Der Gedanke, dass man eben bei sich entwickelnden Lagen nicht erst im alten Sinne das Telefonbuch rausnehmen muss und nachblättern, wen man jetzt anruft und wer jetzt zuständig ist, sondern man hat erstens die entsprechenden Meldewege vorher schon festgelegt in den Lagezentren der Länder und den Spielortbehörden. Oder man hat die Ansprechpartner direkt, oder wenn man eben mit weiteren Stakeholdern sprechen muss, dann geht man im besten Falle einfach zwei Schreibtische weiter und kann sich da mit den unterhalten." Einstellen müssen sich die Sicherheitskräfte zum Beispiel auch auf Cyber- und Desinformationskampagnen, insbesondere aus Russland, die auch das Fußballturnier direkt oder die Infrastruktur drumherum, insbesondere das Verkehrssystem treffen könnten.
Lenkung der Fanströme eine Herausforderung
Eine der größten Herausforderungen für die Sicherheitsbehörden während des Turniers ist aber vor allem die Lenkung und Kontrolle der Fanströme. Beim Turnier in Deutschland wird dabei auch eine spezielle Software genutzt, die basierend auf künstlicher Intelligenz helfen soll, erklärt Carsten Höfler von der Stuttgarter Polizei. "Die Berechnung der Schrittgeschwindigkeit, die Betrachtung der baulichen und topografischen Gegebenheiten und die Raum-Zeit-Analyse, die kann kein Mensch kognitiv leisten. Und deswegen brauchen wir solche technischen Möglichkeiten."
In Stuttgart findet eins von jetzt bereits vier als Hochrisikospielen deklarierten Partien statt, das zweite deutsche Vorrundenspiel gegen Ungarn. Die KI-Software soll in verschiedenen Situationen helfen. Das reicht von vergleichsweise harmlosen Aufgaben wie der Wegeführung von den Bahnhöfen zu den Arenen und reicht über schnelle Evakuierungen im Notfall bis hin zum Umgang mit Ausschreitungen. IPCC-Leiter Oliver Strudthoff setzt da wieder auf internationale Zusammenarbeit:
"Ausschreitungen ist natürlich dann der Worst Case, aber auch schon Fanbewegungen, also allein schon die schiere Masse von Fußballbegeisterten, die nach Deutschland reisen werden. Auch das gilt es zu koordinieren. Und da haben wir natürlich zum Beispiel die Partner der National Football Information Points aus dem Ausland hier, um schon ganz früh Informationen darüber zu bekommen, wer wann wie wo langreist. Natürlich haben wir als Polizei ein spezielles Augenmerk auf Störer, die nichts Gutes im Schildeführen und dieses Turnier nutzen wollen, um Auseinandersetzungen zu suchen." Um das möglichst effektiv zu verhindern, setzen die Behörden auch auf Grenzkontrollen, wie Bundesinnenministerin Nancy Faeser ankündigte: "Ich werde rechtzeitig vor Beginn der Fußball-Europameisterschaft Grenzkontrollen an allen Grenzen anordnen, die Deutschland zu Nachbarstaaten hat."
Das betrifft Binnen- und Seegrenzen sowie Flughäfen. Aber passen solche Kontrollen an den Grenzen zu einem europäischen Turnier, obwohl die Europäische Union die Reisefreiheit so lobt? Und passen solche Kontrollen auch zu einem Fußball-Wettkampf, der Weltoffenheit und Willkommenskultur im Gastgeberland vorleben will? Ein entschiedenes Ja kommt von NRW-Innenminister Herbert Reul. "Das halte ich für eine kluge Lösung, ich widerspreche dem zumindest nicht. Schöner wäre ohne, aber die Lage ist, wie sie ist. Und wenn die Sicherheitsorgane die Möglichkeiten, die sie haben, nicht auch nutzen würden, würde man uns zurecht einen Vorwurf machen."
Eine hundertprozentige Sicherheit gebe es natürlich auch hier nicht, so Reul. Aber man könne das Netz möglichst eng spannen, auch durch Vorbereitung in den Nachbarländern. "Und diejenigen, die erst gar nicht hier hinkommen, weil die Franzosen oder die Briten dafür sorgen, dass die größten Störer auf der Insel bleiben, beziehungsweise in Paris, sind natürlich hilfreich." Allein rund 1.600 polizeibekannte Hooligans aus Großbritannien müssen ihre Pässe abgeben und dürfen gar nicht erst die Reise über den Ärmelkanal antreten, um ihr sportlich zu den Mitfavoriten gehörendes Team anzufeuern.
1996 bislang letzter EM-Titel für Deutschland
In England, im altehrwürdigen Wembley-Stadion von London, holte die deutsche Fußball-Nationalmannschaft ihren dritten und bis heute letzten Europameister-Titel. 1996 war das, vor fast 30 Jahren, 2:1 im Finale gegen Tschechien - mit Oliver Bierhoffs erstem Golden Goal in der Fußball-Geschichte.
Bierhoff und die Mannschaft müssen damals nach dem Spiel die Treppen hoch auf die Tribüne steigen, um ihre Goldmedaillen und den Pokal aus den Händen von Königin Elisabeth II. überreicht zu bekommen. Mit auf der Ehrentribüne zahlreiche deutsche, tschechische und britische Spitzenpolitiker und Fußball-Topfunktionäre wie UEFA-Präsident Lennart Johannson. "Bundeskanzler Kohl, neben ihm der Herzog von Kent. Lennart Johannson verdeckt mit seiner Körperfülle ein bisschen die Queen und der Kapitän holt seinen zweiten großen Titel. Klinsmann, Weltmeister 1990, Europameister 1996 und der Coup Henri Delauney, so heißt er offiziell."
Beim Turnier 1996 prägt Bundestrainer Berti Vogts das geflügelte Wort "Der Star ist die Mannschaft". Teamgeist und Kollektiv statt der großen Superstars und das, obwohl damals Spieler wie Jürgen Klinsmann, Matthias Sammer oder Andreas Köpke zum Kader gehören. Auf mannschaftliche Geschlossenheit setzt jetzt, 2024, auch Bundestrainer Julian Nagelsmann. "Die beste Mannschaft sind nicht immer 22 Mal der beste Spieler." Menschliche Kriterien, Charakterstärke, das Zusammenfinden zu einem echten Teamgefüge, das betont Nagelsmann bei der Verkündung des Kaders gleich mehrfach ist ihm besonders wichtig.
"Wir haben natürlich auch schon uns Feedback einfach als Trainerteam eingeholt. Natürlich im Trainerteam, aber auch dann bei den Köchen, bei den Physiotherapeuten. Aber nicht immer das rein sportliche nur bewerten, sondern es fehlt es miteinander, wie es das Klima und da war das Feedback. Ganz klar, dass es mit Abstand die beste Maßnahme der letzten Jahre", sagte Nagelsmann über die erfolgreichen beiden Länderspiele im März gegen Frankreich und die Niederlande und den nun fast identischen Kader. Für den Bundestrainer kein Problem, dass mehr als ein Drittel des Teams kaum internationale Erfahrung hat. Zehn Spieler haben erst fünf oder weniger Länderspiele auf dem Konto. Schon jetzt der Gedanke an die Zukunft, daran, welche Spieler auch bei den nächsten Turnieren noch wichtig sein könnten.
Nachhaltigkeit des Turniers wird in den Vordergrund gestellt
Es soll etwas bleiben von diesem Turnier, das verfolgt man beim DFB schon seit Jahren. Die Rede ist vom Erbe der EM, von der sogenannten Legacy, über die Funktionäre gern reden, wie hier DFB-Präsident Bernd Neuendorf auf der Deutschlandfunk-Europakonferenz. "Was wir mit dem Turnier bewirken wollen, das geht durchaus in die Richtung: Was für ein Erbe sozusagen hat dieses Turnier für unsere Gesellschaft, vielleicht auch über Deutschland hinaus?"
Zur Erzählung der EM 2024 gehören wie bei vielen anderen Turnieren auch die Superlative. Nicht weniger als das nachhaltigste Turnier aller Zeiten soll es werden, so das offizielle Ziel. "Wir werden das schaffen, aber der Superlativ kommt daher, weil ich sage mal die Hürde ist jetzt auch nicht so hoch. Diese Superlative kennt man von diesen Turnieren immer. Ob in den nächsten Jahren noch einer nachhaltiger sein wird, ich würde es mir natürlich wünschen", spielen Organisator Markus Stenger und Dortmunds EM-Beauftragter Martin Sauer diesen Superlativ herunter. Es komme nicht auf höher, schneller, weiter an, sondern darauf, wirklich einen im wahrsten Sinne des Wortes nachhaltigen Einfluss dieses Turniers zu haben. Es müsse alles, was man für das Turnier tue, unter verschiedenen Gesichtspunkten abgewogen werden, sagt Sauer. "Nicht jede Maßnahme, die man macht, ist jetzt die perfekte Klimaschutzmaßnahme, die man sich jetzt irgendwie vorstellen kann."
Rund 100 explizite Klimaschutz-Maßnahmen, kleinere und größere, sollen aber vor, während und nach der EM umgesetzt werden. Den Ausrichtern zugutekommt, dass die Infrastruktur der Stadien schon vorhanden ist. Teure Neubauten waren nicht nötig, zwar wurden in vielen Stadien kleinere bis mittelgroße Umbaumaßnahmen notwendig, aber nur, um den guten Standard zu erhalten. Martin Kallen, bei der UEFA für Events zuständiger Direktor, beschreibt das Ganze auf dem Sportbusiness-Kongress SPOBIS so: "Es ist natürlich viel einfacher, wenn ich ein Spiel in München mache oder in den deutschen Stadien, wo jede Woche oder jede zweite Woche Bundesliga ist, und das Ganze geölt ist, als wenn man in ein Stadion geht, dass drei Wochen vor der Europameisterschaft fertig wird und eigentlich noch nicht geölt ist, also die Leute, die das dann betreiben, eigentlich noch viel lernen müssen. Am Anfang gibt es immer Kinderkrankheiten, das gibt es in Deutschland nicht. Die Stadien sind ausgereift, die haben viele Events und das ist natürlich für uns dann einfacher."
Geld aus UEFA-Klimafonds für Amateurvereine
Prestigeprojekt und Aushängeschild ist ein Klimafonds, den die UEFA aufgelegt hat. Für jede Tonne CO2, die von einem EM-Spiel verursacht wird, zahlt der europäische Verband 25 Euro in den Fonds ein. Das macht rund 7 Millionen am Ende. Eingesetzt wird das Geld für Projekte in deutschen Vereinen. Damit soll das Turnier an der Basis weiterleben, wünscht sich der UEFA-Vizepräsident für Nachhaltigkeit, Michele Uva: "Es ist wichtig, dass wir das Geld zurück an den deutschen Fußball geben. Und der Amateurfußball ist die Basis unserer Pyramide. Und es ist sehr wichtig, an der Basis zu starten. Nachhaltigkeit ist ein Prozess, der sowohl von oben nach unten als auch umgekehrt stattfindet. Durch dieses neue Konzept wollen wir ein Erbe hinterlassen in der Nation, wo wir unser Turnier spielen. Und nach dem Turnier wollen wir andere Sportorganisationen dazu inspirieren, das Gleiche zu machen."
Das heißt, Amateurvereine konnten sich mit Projekten für ihren Sportplatz, ihre Umkleidekabinen oder Vereinsheime auf Geld aus dem Fonds bewerben, erläutert DFB-Präsident Bernd Neuendorf. "Flutlichtanlagen, Solaranlagen auf Vereinsheim und dieser Fonds da gibt es heute schon. Ich glaube über zweieinhalb tausend Bewerbungen. Der ist eigentlich schon überzeichnet. Es zeigt den hohen Bedarf und das Bewusstsein auch der Vereine für solche Themen." Es ist das erste Mal, dass bei einem großen Turnier Sportverbände diesen Weg gehen, bei der Weltmeisterschaft in Katar wollte man noch Kompensationszertifikate erwerben, was FIFA und Gastgeberland viel Kritik einbrachte, weil Experten das als ungeeignetes Mittel ansehen. UEFA-Vize Michele Uva: "Statt klassischen Kompensationszahlungen für Projekte rund um die Erde ist unser Hauptfokus, dass wir in Deutschland investieren möchten. Wir möchten in Deutschland Wirkung erzielen." Da ist es wieder, das Wort von der Legacy. Wirkung, die lange über die EM hinausreichen soll, hoffen die Organisatoren, "dass da so ein immaterielles kulturelles Erbe bleibt."
Nicole Mündelein ist Nachhaltigkeitsbeauftragte der Stadt Dortmund für die Europameisterschaft. "Dass die Menschen sich erinnern, was wir für eine EURO hatten, dass die geprägt war von Vielfalt, von Toleranz, von Gemeinschaftserlebnissen. Das ist ja gerade in diesen Zeiten der Kriege so wichtig, dass man da zusammenkommt." Mündelein, die schon viele Monate versucht, die EM für die Ruhrgebietsmetropole versucht, so nachhaltig wie möglich zu gestalten, erlebt in ihrer täglichen Arbeit, dass das Fußballturnier tatsächlich ein Vehikel, ein Katalysator sein kann, gerade für Nachhaltigkeitsthemen. "Immer wenn wir über Themen versuchen, Aufmerksamkeit zu erregen, das klappt mehr oder weniger gut. Aber wenn man dann sagt, wir sind dann mit der EURO dabei, dann hören die Leute besser zu, dann gibt es viel mehr Aufmerksamkeit, das finden wir richtig klasse."
Deutlich mehr Verkehr auf der Schiene als 2016 erwartet
Wenn das Turnier dann begonnen hat, spielt klimafreundliches Handeln im Turnierablauf auch eine Rolle. Eine Maßnahme: die Anpassung der Spielpläne und Aufteilung in drei Zonen, sodass die Teams nicht immer quer durchs Land reisen müssen. Das Konzept geht oft, aber nicht in allen Fällen auf. Titelverteidiger Italien beispielsweise beginnt die EM zwar mit Spielen in Dortmund und Gelsenkirchen. Deshalb schläft und trainiert man im nahen Iserlohn. Das dritte Gruppenspiel allerdings bringt die Squadra Azzurra dann nach Leipzig, was ab dem Achtelfinale folgt, ist sowieso nicht mehr vorhersehbar aufgrund des komplizierten Turniermodus.
Trotzdem erzählt Organisator Markus Stenger nicht ohne Stolz: "Wenn man mal einen Vergleich zieht zu Frankreich 2016, da wurde so, was die Teams betrifft, 75 Prozent der Inlandsreisen mit dem Flugzeug zurückgelegt und 25 Prozent mit Bus und Bahn. Und bei uns ist es genau umgekehrt beispielsweise, sprich 75 Prozent aller TM-Bewegung machen wir eben mit Zug und Bus und einfach einen sehr geringeren Anteil mit dem Flugzeug. Das finde ich etwas, was total messbar ist." Die meisten CO2-Emissionen bei einem Turnier werden aber durch die Reisebewegungen der Millionen von Fans verursacht.
Auch hier versuchen die Organisatoren durch spezielle Bahn- und ÖPNV-Tickets, möglichst viele von der Straße zu holen. Das klappte höchstens mäßig. Bei der ersten großen Verkaufsphase der Eintrittskarten, als rund die Hälfte der Plätze bereits vergeben wurde, waren die Bahn-Tickets noch gar nicht vorhanden. Inzwischen kann man das Ticket für 29,90 Euro kaufen und so direkt die Spielorte erreichen. Kinder bis 14 Jahre reisen kostenfrei, wenn sie eine Begleitperson haben. Zehntausende dieser Tickets wurden bereits verkauft. Wenn die Fans dann an den Bahnhöfen angekommen sind, gilt es für die Gastgeberstädte, den Weg zu den Arenen auch möglichst klimafreundlich zu gestalten. In Dortmund wollen die Verantwortlichen um Nicole Mündelein dafür sorgen, "dass alles, was irgendwie Räder hat, auf die Schienen kommt. Wir haben auch vor, den Service für Fahrräder auszubauen, dass da noch viel mehr Leihfahrräder da sind, viel mehr Roller soll es auch geben. So möchten wir alle motivieren, möglichst nachhaltig anzureisen."
Eine Zusatzmotivation könnte dann auch die drastisch verknappte Zahl an Parkplätzen bieten. An vier Spielorten wird es gar keine Parkplätze vor der Arena geben, an den anderen Orten werden die Kapazitäten deutlich eingeschränkt gegenüber dem Bundesliga-Alltag. Man muss über die EM-App einen Stellplatz bereits im Vorfeld buchen für 24 Euro pro Partie. In Dortmund setzt man darauf, dass viele den Weg vom Bahnhof zum Stadion oder zum Fanfest zu Fuß antreten. "Der soll ganz, ganz attraktiv gestaltet werden. Das Interessante ist, dass in Dortmund die Möglichkeit gegeben ist, da tatsächlich zu Fuß zu laufen. Einige Städte haben die Möglichkeit nicht, die müssen da den ÖPNV nutzen. Also der soll da noch mal ein bisschen entlastet werden, weil der eben schnell ausgelastet ist."
Dreieinhalb Kilometer per pedes statt sieben Haltestellen mit der U-Bahn. Die Stadt hofft, möglichst vielen diese Alternative schmackhaft zu machen und verlegt deshalb ein grünes Band, erklärt Martin Sauer. "Wir legen auch einen Teppich aus, einen Kunstrasen. Der beginnt hier als Wegeführung sozusagen am Hauptbahnhof und geht dann bis zum Stadion hoch, läuft durch die ganze Stadt, hat also einige Kilometer Länge. Man wird das jetzt nicht vom Weltraum aus sehen können, wie sich das jetzt in Berlin vorstellt."
Kritik: Mikroplastik durch Kunstrasen vor dem Brandenburger Tor
Der Kunstrasen auf der Fanmeile in Berlin, der auf der Straße des 17. Juni zwischen Brandenburger Tor und Siegessäule ausgelegt wird, hatte für viel Ärger gesorgt. Umweltverbände kritisieren, dass dadurch Tonnen von Mikroplastik durch die Stadt getragen werden und eine Nachnutzung auf Bolzplätzen, wie von der Hauptstadt geplant, kaum durchführbar sei. Deshalb, erklärt Martin Sauer aus Dortmund, habe man sich in der Stadt viele Gedanken gemacht, ob man auch so einen Teppich wolle und brauche."Okay, was ist das für einen Kunstrasen aus? Was wird der hergestellt? Wie wird danach weiter verwendet? Wie wird der vernünftig abrecycelt? Lohnt sich die Maßnahme? Hat die auch einen Zweck? Also ist sie jetzt nur damit, weil es alle lustig finden? Oder hat das auch einen Zweck? Wir sparen uns Beschilderung zum Beispiel ein, weil wir wissen, wir können allen Menschen sagen: geht einfach den grünen Teppich lang, Dann kommt ihr genau dahin, wo ihr hinwollt."
Eingesparte Schilder und möglichst viele Fans, die zu Fuß zum Stadion gehen, das reichte den Verantwortlichen aus, um grünes Licht für den Dortmunder Kunstrasen zu geben, der nach dem Turnier definitiv nicht für Bolzplätze zur Verfügung steht. Es ist ein extrem kurzer Hockey-Rasen ohne Granulat, der auch bei Nässe nicht rutschig sein soll. Hockeyvereine können den aber leider auch nicht gebrauchen, den Unterbau dafür herzustellen, ist zu teuer. Trotzdem werde man das Grün weiternutzen können: "Wir wissen aber, wie der recycelt werden kann. Wir werden etliche Stücke verkaufen können an Leute, die sich freuen, einfach so ein Stück davon zu behalten. Oder für andere Sachen, die verwenden. Da werden wir sicherlich viel los. Wir können Ihnen aber auch recyceln, da werden später Häuser ausgebaut etc. Also das wird keine Verschwendung von Materialien sein."
Wie aber kann man als Stadt messen, dass ein Turnier auch im wahrsten Sinne des Wortes nachhaltigen Erfolg hatte? Das gilt vor allem dann, sagt Nicole Mündelein, für die EM-Nachhaltigkeit in Dortmund zuständig, wenn die Projekte nicht nur für die kurze Dauer der vier Wochen angelegt sind, sondern – und das ist der Versuch der Ruhrgebietsstadt – wenn bestehende Initiativen und Projekte am besten schon vor dem Turnier bestanden haben und jetzt nur mit größerer Aufmerksamkeit weitergeführt werden. Mündelein ist zufrieden, wenn sie nach dem Turnier sagen kann: "Die EURO hatte so einen richtigen positiven Schub für die Nachhaltigkeitsthemen, für die Nachhaltigkeitsinitiativen, die sowieso schon die ganze Zeit wirken. Dass die noch einmal so einen Schub bekommen haben und die Menschen letztendlich begeistert sind und so diesen Spirit weitertragen in ihre Familien, ihre Sportvereine, überall, wo sie tätig sind, in der Arbeitswelt."
Erstmals eine Menschenrechtserklärung für ein Turnier
Vorbildwirkung durch ein Fußball-Turnier. Die EM soll in Deutschland Maßstäbe setzen und zum Maßstab werden, das ist erklärtes Ziel aus der Politik. Als die Nachhaltigkeitskonzepte für das Turnier vorgestellt wurden, sagte Juliane Seifert, Staatssekretärin im Innenministerium: "Uns muss doch allen klar sein, dass wir kein unbeschwertes Fest haben werden, dass wir nicht unbeschwert Fußball gucken werden, wenn wir uns zu Recht vorwerfen lassen müssen, dass wir unnötig viel die Luft verpesten oder so zum Klimawandel beitragen. Wenn wir uns vorwerfen lassen müssen, dass wir nicht alles dafür getan haben, dass soziale Rechte und Menschenrechte geachtet werden."
Denn Nachhaltigkeit hat auch eine soziale Komponente, bedeutet weit mehr als Klimaschutz. Menschenrechte und der Schutz aller, die an dem Turnier auf irgendeine Art und Weise teilnehmen, gehört auch dazu. Deshalb setzt die Stadt Dortmund zur Europameisterschaft Projekte nicht nur für die Bereiche "Umwelt und Klima" oder "Gesundheit und Bewegung" um, sondern auch bewusst im Bereich "Gesellschaft" oder auch "Good Governance". Dazu gehört eine nachhaltige, faire und ökologische Beschaffung, aber eben auch ein sogenanntes Awareness-Konzept, erklärt Nicole Mündelein. "Alle Menschen sollen sich willkommen und sicher fühlen in der Fanzone und in der Innenstadt und wenn dann doch mal was passiert, dann soll ihnen möglichst schnell geholfen werden, hinsichtlich sexueller Belästigung oder ähnlichem."
Zum ersten Mal überhaupt bei einer Sportgroßveranstaltung gibt es eine Menschenrechtserklärung. Die wurde im November 2023 vorgestellt. Sie soll deutschlandweit genau das regeln: alle Beteiligten der UEFA EURO 2024 vor Diskriminierung schützen und ihre bürgerlichen Freiheiten garantieren. "Es ist ein wirklicher Meilenstein für die Einhaltung von Menschenrechten bei Sportgroßveranstaltungen", sagte Bundesinnen- und Sportministerin Nancy Faeser bei der Präsentation. Zum ersten Mal hat mit der UEFA eine große Sportorganisation so eine Erklärung unterzeichnet, die sich an den Leitprinzipien der Vereinten Nationen orientiert. Das Wort Meilenstein nimmt im Deutschlandfunk auch Patricia Wiater in den Mund. Die Professorin für Öffentliches Recht an der Universität Erlangen-Nürnberg sagt: "Wenn wir daran denken, welche Risiken mit Sportgroßveranstaltungen verbunden sind, dann könnte da tatsächlich ein Meilenstein erreicht sein, wenn so etwas wie Diskriminierungen von Teilnehmerinnern und Teilnehmern verhindert werden könnte."
Fan-Vertreter vermissen in der Auflistung der Gefahren den Punkt Polizeigewalt
Auf den 16 Seiten der Erklärung geht es zunächst sehr allgemein um die Verbindung von Menschenrechten und Sport. Später steht dann auch ganz konkret, was zum Schutz aller am Turnier beteiligten Personen getan wird und werden kann. Fan-Vertreter vermissen in der Auflistung der Gefahren den Punkt Polizeigewalt. "Ich vermisse es nicht", entgegnet NRW-Innenminister Herbert Reul im Deutschlandfunk. "Ja, das ist ja klar immer die Frage derjenigen, die da Krawall machen, die werfen dann der Polizei vor, die Polizei würde zu viel Gewalt anwenden. Die haben noch nicht ganz begriffen, Gewaltanwendung in Deutschland, in einem demokratischen Rechtsstaat, darf nur der, der dafür legitimiert ist. Das ist die Polizei und die entsprechenden Sicherheitsorgane. Alle anderen nicht. Punkt."
Die Lage zwischen Polizei und Fans in den deutschen Stadien hat sich in den letzten Jahren immer weiter verhärtet. Wissenschaftliche Studien zeigen auch, dass Fans besonders von Polizeigewalt betroffen sind. Für Innenminister Reul dennoch kein großes Thema: "Es ist eins, was immer im Auge ist. Polizisten dürfen nur das tun, was nach Recht und Gesetz ihnen zugesagt ist. Und wenn nicht, müssen sich Polizistinnen und Polizisten dafür auch verantworten. Aber es gibt größere Probleme als das."
UEFA erhofft sich 2,4 Milliarden Euro Einnahmen
Wer über ein globales Sportereignis spricht, der kommt am Thema Geld nicht vorbei, das gilt natürlich auch für die Fußball-Europameisterschaft. Schon Monate vor dem Turnier stand fest, die UEFA, der europäische Fußball-Verband wird seine Ziele erfüllen. "Unser Ziel ist, über 2,4 Milliarden Euro Umsatz zu erzielen. Und das werden wir erreichen", sagte UEFA-Direktor Martin Kallen bereits Ende Januar. Die Medienrechte, aber auch die Sponsoring-Pakete und auch die mehr als zweieinhalb Millionen Eintrittskarten – in allen Bereichen ist das Turnier ausverkauft oder kurz davor. 2,4 Milliarden Euro Umsatz, das ist absoluter Rekord und nur der vorläufige Höhepunkt einer rasanten Entwicklung, was vor allem an der inzwischen weltweiten TV-Vermarktung liegt. Der Umsatz der EM in Deutschland ist doppelt so hoch wie der bei der EM 2012 in Polen und der Ukraine und gar zehnmal so viel wie im Jahr 2000 beim Turnier in Belgien und den Niederlanden.
Steuern bezahlt die UEFA dafür kaum, mit Ausnahme von rund 65 Millionen Euro, die die Organisations-GmbH entrichtet. Die großen Umsätze werden aber nicht mit der GmbH mit Sitz in Frankfurt am Main gemacht, sondern direkt mit der UEFA in der Schweiz. Auch das gehört zum System. UEFA, FIFA und IOC streichen mit den großen Sportevents zwar die Milliarden ein, Steuern werden aber durch Verträge mit den Regierungen vermieden. Auch in Deutschland, weil die damalige Regierung unter Merkel mit Finanzminister Olaf Scholz eine solche Vereinbarung unterzeichnet hat. "Deutschland wollte eine UEFA Euro machen, dann war das das Vertragswerk, und mit einer hohen Wahrscheinlichkeit musste man da so mitmachen, um das dann zu bekommen. Das darf man jetzt erst einmal sagen", beschreibt das Martin Sauer, der Beauftragte der Stadt Dortmund für das Turnier. Die Gastgeberstädte tragen dagegen sehr wohl ein finanzielles Risiko. Auch, wenn es nach Ende des Turniers noch nachträgliche Forderungen und Rechnungen geben sollte, müssten die sogenannten "Host Cities" einspringen, nicht die UEFA. "Man kann das als Knebelvertrag bezeichnen. Nur die Alternative ist, das nicht zu machen."
Das war am Anfang unter den Städten umstritten, am Ende haben sich aber die zehn vom DFB ausgewählten Gastgeberstädte der EURO 2024 darauf eingelassen. "Der Rat hat sich sehr intensiv damit beschäftigt, welches Finanzrisiko besteht und welche Chancen gleichzeitig für die Stadt da sind. Ich meine, das muss jede Stadt für sich entscheiden. Für eine Stadt wie Dortmund sind die Chance sicherlich besser als Fußballstadt." Dennoch, das hört man im Gespräch mit dem EURO-Beauftragten auch deutlich raus, es ist nicht immer leicht mit so einer Organisation wie der UEFA, die zwar die gleichen Ziele hat wie die Gastgeber, sprich: ein tolles und erfolgreiches Turnier zu organisieren.
"Alles andere sind natürlich Streitthemen, die auch manchmal nicht einfach sind. Aber die sind entweder vertraglich geregelt und da muss man manchmal auch den Mut haben, es ist nicht allzu häufig der Fall, aber wenn man auf der vertraglich besseren oder richtigen Seite steht, dann auch mal zu sagen okay, so ist es. Das haben wir hier auch gemacht und sind da nicht immer auf argen Widerstand gestoßen."
EURO-Organisator Mex Schär, der seit vielen Jahren die Turniere von UEFA-Seite maßgeblich vorbereitet, sieht die Anstrengungen der Host Cities bei diesem Turnier als außergewöhnlich. Er lobt sie zumindest sehr ausführlich. "Deutschland präsentiert sich eigentlich sehr gut. Also wir sind super zufrieden mit den Vorbereitungen aufseiten der Host Cities. Ich glaube, alle zehn Städte haben begriffen, dass es eine Investition für sie selber ist, für ihre Bevölkerung, für ihr Image und so weiter. Die haben auch entsprechend investiert. Das noch nie so hohe Budgets bei den Städten, wie sie die Fan-Zonen und alle Aktivitäten drumherum machen."
Ein umfangreiches Kulturprogramm soll die EM auch zu einem Erlebnis auf anderer Ebene machen. Konzerte, Lesungen, Diskussionen oder Quizabende. Für jeden soll sich etwas finden lassen. Ein Blick zurück zum Turnier 2006 zeigt auch: in den Gastgeberstädten ist noch manche Erinnerungen lebendig, die aus dem kollektiven Gedächtnis längst verschwunden ist. In Dortmund erinnert man sich natürlich noch an das Halbfinal-Aus der deutschen Mannschaft gegen den späteren Weltmeister Italien, und viel lieber an das späte 1:0 von Oliver Neuville im zweiten Gruppenspiel gegen Polen.
Ein 0:0 hinterließ Spuren in Dortmund
In der Stadt habe aber auch ein sportlich langweiliges, weil torloses Vorrundenspiel seine Spuren hinterlassen, erinnert Martin Sauer, der Dortmunder EM-Beauftragte: "Trinidad-Tobago gegen Schweden wird sich kein Mensch daran erinnern, wie das eigentlich ausgegangen ist. Das hat aber für die Leute in einer Stadt, mit denen man spricht, die hier waren, für die war das ein faszinierendes Erlebnis. Und zwar sowohl für die Wirtschaft, weil die gesagt haben, hey, die Schweden, die trinken uns ja alle Zapfhähne leer. Das lohnt sich aber richtig. Als auch, es waren alle begeistert, das aus einem Land, mit dem man sonst nichts zu tun hat, ganz fremde Menschen da sind und wie die sich hier wohlfühlen."
Für das Turnier in diesem Sommer stehen vier der sechs Partien in Dortmund schon fest. In den Vorrundenspielen erwartet man nicht nur Frankreich und Titelverteidiger Italien, sondern gleich zweimal die türkische Mannschaft. "Einerseits ist das eine Riesenchance, einen großen Teil der Gemeinschaft dieser Stadt auch sichtbar zu machen. Hier sind Anhänger der türkischen Mannschaft und haben dann hier quasi zwei Heimspiele. Auf der anderen Seite ist das natürlich eine unglaubliche Herausforderung, weil wir hier viel mehr Menschen erwarten als bei anderen EURO-Spielen."
Sicherheit, sportliche Erfolge, gesellschaftliche Impulse: Die Erwartungen an das Turnier, an vier besondere Wochen im Sommer 2024 sind gigantisch und das von allen Beteiligten. Dass auch die Europäische Fußball-Union ganz besonders viel erwartet von ihrem größten Mitgliedsverband, dem DFB, liegt auf der Hand. Events-Direktor Martin Kallen mit der kurzen Formel: "Wenn man so ein Turnier in Deutschland nicht gut wird organisieren können, dann wo?"
Wichtig: Wetter und deutsches Abschneiden
Die perfekte Vorbereitung, die penible Organisation braucht für das vollendete EM-Erlebnis aber auch zwei Faktoren, die man nicht beeinflussen kann, auf die die Organisatoren um Mex Schär aber dennoch setzen: "Ich glaube, wenn das Wetter mitspielt, ist ein ganz wichtiger Faktor und auch wie die deutsche Mannschaft performt." Dass die deutsche Mannschaft gut "performen" wird, ist für den DFB klar. Hatte der vor einigen Monaten noch das Ziel Halbfinale formuliert, gibt sich der Verband um Präsident Neuendorf inzwischen wieder gewohnt selbstbewusst. "Es ist der sportliche Wettkampf, das Messen, das macht sie auch spannend und so interessant. Wir haben tolle Nationen dabei, und wir wollen dieses Turnier gewinnen."
Mit einer ähnlichen Haltung war der DFB auch zur WM nach Katar gereist, mit bekanntem Ausgang. Um die Erwartungen dieses Mal zu erfüllen, braucht das deutsche Team zunächst einen guten und erfolgreichen Start in die EM. Anders als bei den letzten drei Turnieren, als es gegen Mexiko, Frankreich und Japan jeweils Niederlagen gab. "Ich glaube schon, dass das Eröffnungsspiel nicht das alles Entscheidende ist, aber schon ein sehr, sehr guter Schritt werden kann", sagt deshalb auch Bundestrainer Julian Nagelsmann. Den Druck nicht noch größer machen, als er eh schon ist, wird eine seiner Aufgaben sein. Gegner Schottland präsentiert sich so stark wie schon sehr lange nicht mehr. Die nächste EM 2028 wird in Großbritannien ausgetragen, ein Stück Extra-Motivation für die Schotten. Deshalb werden laut Schätzungen zwischen 40.000 und weit über 100.000 Fans nach Deutschland kommen. Garmisch-Partenkirchen, der Ort, in dem das schottische Team übernachtet, darf sich auf einen lautstarken Sommer einstellen.
Für die Stimmung und Euphorie und auch das Selbstbewusstsein seiner Mannschaft braucht es neben diesem erfolgreichen Start aber auch ein gutes und ansehnliches Spiel, glaubt der Bundestrainer. "Es ist eine meiner großen Erwartungshaltungen. Ich will auch da draußen stehen, das war schon immer so, und will am Ende des Spiels natürlich sagen: Cool, wir haben gewonnen, und es freut mich am allermeisten. Aber ich will auch sagen, dass es ein interessantes Spiel war und spannend war. Ich fand es als Trainer auch immer fruchtbar, wenn du nach draußen stehst. Du hast zwar gewonnen und sagst: sehr wichtig die drei Punkte, aber es war sterbenslangweilig, das will ich verhindern. Ich will schon, dass es mitreißend wird, dass es begeisternd wird."
Begeisterung als Katalysator für die gigantischen Erwartungen an das Turnier, sportlich, gesellschaftlich, nachhaltig. Mit Anpfiff in München, am 14. Juni um 21 Uhr, sollen viele Träume und Erwartungen beginnen, in Erfüllung zu gehen. "Wir versuchen, den Titel zu gewinnen. Das kann ich euch versprechen, dass wir alles dafür tun, den Titel zu gewinnen."