Es ist ein guter Schuss Ironie dabei, wenn Hans-Joachim Watzke die Rolle Deutschlands im internationalen Fußball beklagt: „Wir haben ja in Deutschland auch lange Jahre hart daran gearbeitet, dass wir nicht mehr viel Einfluss haben.“
Deshalb dürfe man sich auch nicht wundern, dass die FIFA sich inzwischen in vielen andere Bereichen umtue, meint der DFB-Vizepräsiden: „Der europäische Einfluss ist da über die Jahre immer weiter zurückgegangen, und der deutsche Einfluss schon mal dreimal.“
Saudische Investitionen in den Fußball: Watzke will eigenen Einfluss nutzen
Die FIFA hat gerade erst eine neue WM der Superlative verkündet mit sechs Ausrichtern auf drei Kontinenten. Damit macht der Weltfußball-Verband gleichzeitig den Weg frei für eine saudische Bewerbung für das Turnier 2034. Das Land am Golf, das gerade in diesem Sommer massiv investiert hat und Spieler für rund 800 Millionen Euro verpflichtet hat.
„Es ist nicht der Fußball, den ich gut finde“, sagt Watzke dazu im Interview der Woche im Deutschlandfunk. „Da gibt es ja zwei Möglichkeiten. Du gehst in die innere Immigration und sagst, mit dem ganzen Scheiß will ich nichts mehr zu tun haben.“
Das sei aber nicht sein Angang, er wolle lieber seinen Einfluss nutzen, um diese Auswüchse zu begrenzen. Seit diesem Jahr sitzt der BVB-Geschäftsführer im UEFA-Exekutivkomitee. Ein Amt, dass zwar fürstlich entlohnt wird, aber nicht vergnügungssteuerpflichtig sei.
„Normalerweise musst du da einen 20-Kilometer-Bogen drum machen, weil du musst permanent Entscheidungen treffen, wo du immer haarscharf abwägen musst, und am Ende kriegst du dafür auch immer nur auf die Fresse.“
51:49-Entscheidung für die Zulassung russischer Jugendteams
So wie vor wenigen Tagen, als Watzke in der UEFA dafür stimmt, russische Jugendteams zu den europäischen Wettbewerben wieder zu zulassen. Keine leichte Entscheidung, gibt der BVB-Geschäftsführer zu.
„Es war eine 51:49-Entscheidung“, die er am Ende aber eben zugunsten der russischen Teams getroffen hat. „Wenn wir jetzt den Kindern und Jugendlichen solche internationalen Spiele verwehren, wem nützt das? Nützt das irgendeinem Kind in der Ukraine?“
Nicht nur aus der Ukraine kommt harte Kritik daran, manch anderer europäischer Verband will Spiele gegen russische Teams boykottieren, nicht der DFB. Trotzdem sei klar, an der Verurteilung des russischen Angriffskriegs werde nicht gerüttelt.
„Das ist aber auch die absolute Brandmauer. Das ist ja gerade auch ein Thema überall, Brandmauern sind ja jetzt modern.“
Brandmauer heißt in diesem Fall: Für Teams im Erwachsenenbereich kann Russland nicht auf Watzkes Unterstützung zählen: „Da bin ich zu keinem einzigen Kompromiss mehr bereit, das ist auch klar. Da kann man mich auch die nächsten Jahre darauf festnageln.“
Watzke: „Ich habe schon große Angst um den Zusammenhalt unserer Gesellschaft"
Aber nicht nur die Brandmauer hat es aus der Politik in den Fußball geschafft, sondern auch das Wort „Zeitenwende“. Philipp Lahm, Turnierdirektor der anstehenden Heim-EM, nutzt diesen Begriff in einem Beitrag im Kicker. Lahm hofft, dass die EM ein Wendepunkt für nichts weniger als Europa und die Gesellschaft sein wird. DFB-Vize Watzke findet das „vielleicht ein bisschen überhöht“.
Dennoch sei es ihm wichtig, dass Deutschland sich bei der EM gut präsentiere und meint sowohl die sportliche Leistung als auch die Gastgeberrolle. Ähnlich wie Lahm hofft Watzke auf die sooft beschworene Kraft des Fußballs, die die Gesellschaft einen soll.
„Ich habe schon große Angst um den Zusammenhalt unserer Gesellschaft. Ich finde, dass der noch nie so wenig vorhanden war wie aktuell, und vielleicht kann man so was ja mal wieder nutzen, dass man alle wieder mal hinter einem gemeinsamen Ereignis versammelt.“
Noch immer traut Hans-Joachim Watzke dem Fußball und der Nationalmannschaft unter dem neuen Bundestrainer Julian Nagelsmann zu, diese Kraft und Ausstrahlung zu entwickeln und eine Begeisterung in Deutschland auszulösen.
„Wenn wir irgendwann so weit sind, dass es kein einziges Thema gibt, wo die oberen 20 und die unteren 20 Prozent der Gesellschaft noch ideologiefrei darüber diskutieren können, dann hat die Gesellschaft verloren.“