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SPORTGESPRÄCH: Kicken gegen das Klischee

Fußball gilt als letztes Reservat der Männlichkeit. Alles, was nicht der heterosexuellen Norm entspricht, ist von Ablehnung und Diskriminierung bedroht. So ergeht es vielen Fußballerinnen, die als zu männlich, robust und burschikos beschrieben werden. Die Grenzen zwischen Sexismus und Homophobie im Frauenfußball sind fließend. Kann die Weltmeisterschaft im eigenen Land das Klischee von "kickenden Kampflesben" aufbrechen?

Von Ronny Blaschke | 12.06.2011
    Der Anhalter Bahnhof in Berlin-Kreuzberg. An einem warmen Frühlingsabend säumen 150 Fans den nahe gelegenen Fußballplatz. Im Mittelkreis steht Tanja Walther-Ahrens und winkt mit einem Lächeln ins Publikum. Sie ist 40 Jahre alt, trägt ein himmelblaues Trikot und eine weiße Sporthose. Früher war Walther-Ahrens in der Bundesliga aktiv, heute spielt sie aus Spaß. Doch sie würde nicht für jeden Verein kicken. Sie hat sich den SV Seitenwechsel ausgesucht. Hier muss sie sich nicht rechtfertigen. Nicht dafür, dass sie als Frau den Männersport Fußball spielt. Und auch nicht dafür, dass sie lesbisch ist.

    "Und vor allen Dingen gibt’s da keine Männer, die irgendwie sagen: ne, den Platz kriegt ihr jetzt nicht oder die Trikots sind leider zu teuer, ihr müsst was anderes machen, weil wir sind alle Frauen und wir sind alle gleichberechtigt, auch die unterschiedlichen Sportarten. Es ist einfach immer noch notwendig, sich ab und zu mal abzuschotten oder einfach mal ne Ecke zu haben, wo ich einfach Ich sein kann. Und Frauen, die auch noch lesbisch sind, die unterliegen ja auch manchmal einer doppelten Diskriminierung. Also dass wir Fußball spielen, ist ja immer noch nicht eine richtige Normalität. Also es ist mittlerweile nicht mehr so wie früher, dass meine Oma sich total aufregt, dass ist kein Mädchensport, das nicht mehr. Aber trotzdem wird man ja immer noch belächelt."

    Der SV Seitenwechsel in Berlin, gegründet 1988, ist der größte Lesbensportverein Europas. 700 Frauen in 22 Sportarten engagieren sich auch gegen Diskriminierung. Viele von ihnen tragen traurige Erinnerungen in sich. Von Verteidigung, Verleugnung, Versteckspielen.
    So wie Tanja Walther-Ahrens, die in einem Dorf in Hessen aufgewachsen ist. Ihre Großmutter will sie als Kind in Kleider stecken. Sie schenkt ihr Puppen, möchte sie von Fußball fern halten. Ihre Großmutter stammt aus einer Zeit, in der Homosexualität unter Strafe steht. Einer Zeit, in der Fußball für Frauen verboten ist. Die geprägt ist von Sexismus und Vorurteilen. Nicht nur in der Sprache der Reporter und Funktionäre.

    Als Tanja Walther-Ahrens in den achtziger Jahren mit Leistungssport beginnt, sind die Klischees nicht mehr so tief verwurzelt, aber akzeptiert ist Fußball für Frauen noch lange nicht. Damals studiert sie Sportwissenschaften. Sie muss ihre Dozenten überreden, den Universitätskurs Fußball für Frauen zu öffnen. Sie hört sexistische und homophobe Sprüche. Nur Lesben würden Fußball spielen, Mannweiber, burschikos und unweiblich. Auch in den eigenen Reihen wird Walther-Ahrens das Leben schwer gemacht, in den neunziger Jahren bei Tennis Borussia Berlin. In ihrem ersten Bundesligateam ist die Mehrheit der Spielerinnen lesbisch, offen umgehen will damit niemand. Fast niemand.

    "Da wusste auch, wer mit wem zusammen ist und so, das war überhaupt kein Ding, nur halt das öffentliche Zeigen, das war ein Ding. Da kam dann unsere Managerin irgendwann auch mal an und meinte: ja, bitte nicht Hand in Hand zum Training kommen, denn die Eltern von den Mädchen, die hier auch spielen, könnten ja denken, ihre Mädels werden auch so und so. Da stand ich damals mit meiner Freundin, wir waren ziemlich alleine dann, uns da auch gegen zu wehren und auch zu sagen: Na und, wenn die Eltern so was denken, dann muss man ihnen halt erzählen, dass das Blödsinn ist, aber das fanden sogar unsere Mitspielerinnen nicht."

    Tanja Walther-Ahrens hat ihr Coming Out mit 16. Der Fußball hilft ihr, sich selbst zu verwirklichen. Auf dem Rasen pflegt sie ihre rebellische Haltung, bei TeBe Berlin, später bei Turbine Potsdam und während eines College-Aufenthaltes in Mississippi. Fußball ist für sie ein Rückzugsort. Dort lehnt sie sich gegen uralte Geschlechterrollen auf und geht körperlich an ihre Grenzen. Ohne vermeintlich weibliche Eigenschaften bestätigen zu müssen, Eigenschaften wie Schwäche, Zierlichkeit, Emotionalität.

    "Das, was die Gesellschaft herkömmlich als männliche Attribute annimmt, die muss ich ja im Leistungssport bringen. Also ich muss kampfstark sein, ich muss Durchsetzungsvermögen haben, ich muss auch hart zu mir sein, um überhaupt die Trainings alle aushalten zu können. Ich muss aggressiv sein, das ist ja alles das, was Frauen per se nicht sein sollten. Die sollen ja hübsch sein und zart und was weiß ich nicht alles. Aber nicht aggressiv und kampflustig."

    April 2011, der Sportausschuss des Bundestages. Neben Tanja Walther-Ahrens ist auch die Kulturwissenschaftlerin Tatjana Eggeling als Expertin geladen. Eggeling forscht seit Jahren zu den Themen Homosexualität und Geschlechterordnung. Sie blickt im Anhörungssaal auf eine vollbesetzte Besuchertribüne. Die Sportpolitiker haben das Thema zum ersten Mal auf ihrer Tagesordnung. Spät, aber immerhin, meint Tatjana Eggeling.

    "Sport überhaupt ist ja eine Möglichkeit, sich zu erproben, an die Grenzen zu gehen, auszuprobieren, was kann ich, was kann ich besonders gut. Ein Gefühl für den eigenen Körper zu kriegen, für die eigene Stärke. Und da glaube ich, dass viele Frauen den Fußballsport gewählt haben, vielleicht auch weil es sie gereizt hat, in eine Männerdomäne einzubrechen. Und es ist ja auch tatsächlich so gewesen, dass lange Zeit besonders für Lesben der Fußball attraktiv war, was wiederum manche Heteras davon abgehalten hat Fußball zu spielen, weil es sowieso eine Lesben-Sportart ist. Das hat sich ja mittlerweile auch geändert."

    Heterosexualität gilt nicht nur im Sport als Norm, sie wird von vielen als biologische Tatsache betrachtet. Homophobie stärkt diese Wahrnehmung und dient dazu, andere Formen der Sexualität abzulehnen. Lesbische Spielerinnen bekennen sich nicht öffentlich, aus Angst vor Ausgrenzung und dem Verlust ihrer Sponsoren. Sie unterdrücken einen Teil ihrer Identität. Frauen wird im Männlichkeits-Reservat Fußball oft die Kompetenz abgesprochen. In Vereinsvorständen, Sportgerichten oder Fußball-Redaktionen sucht man sie oft vergeblich. Und diejenigen, die erfolgreich sind, werden als Lesben abgestempelt, betont die Berlinerin Tatjana Eggeling.

    "Sexismus und Homophobie gegen Lesben sind immer ganz nah beieinander. Du wirst als Lesbe ja nicht nur deshalb diskriminiert in unserer Gesellschaft, weil du lesbisch bist, sondern gleichzeitig auch, weil du Frau bist. Das Männliche überhaupt bildet ja den Standard für alle Leistungsbewertung. Damit wird völlig ignoriert, dass es vielleicht tatsächlich auch physische Unterschiede gibt. Das heißt, eine Frau niemals zehn Kilometer so schnell laufen können wird wie ein Mann."

    Bei den Männern äußert sich Homophobie in Hassgesängen und feindlichen Transparenten der Fans, bei den Frauen findet sie einen subtileren Weg. So berichtet der ehemalige Frauen-Bundestrainer Gero Bisanz von früherer Abneigung vieler Eltern. Sie hätten ihre Töchter nicht zum Fußball gehen lassen, aus Angst, sich mit Homosexualität "anzustecken". Die Aktivistin Tanja Walther-Ahrens kennt solche Meinungen. Sie erinnert an die schwullesbischen Europameisterschaften 1995 in Frankfurt.

    "Es wurde gemunkelt, natürlich bei den Euro Games nachher ging es von Mund zu Mund, dass die Nationalspielerinnen so eine interne Direktive erhalten haben, dass wenn eine gesehen wird, die bei diesem Fußballturnier, was es neben anderen Sportarten dort auch gab, gesehen wird, dass sie dann die längste Zeit Fußball im Nationalteam gespielt hätte."

    Ein Einzelfall im DFB? Ein Einzelfall im europäischen Fußball? Ganz und gar nicht, wie viele Diskriminierungen belegen, auch in anderen Sportarten:

    1994: Der Schweizer Verein FC Wettswill-Bonstetten löst sein Frauenteam auf, wegen des "Ausleben von abnormalen Veranlagungen".

    1995: Ein Fußballpräsident im italienischen Brescia meldet das Frauenteam seines Klubs ab, weil in ihm zu viele Lesben spielen würden.

    1997: Nach einem Spiel gegen das lesbische Handballteam des SC Janus Köln verweigern die Gegnerinnen die Nutzung der gemeinsamen Duschanlagen.

    1998: Die Internationale Eislauf-Union droht, ihre Sportlerinnen auf eine schwarze Liste zu setzen, wenn sie an den schwullesbischen Gay Games in Amsterdam teilnehmen.

    1998: Der Westdeutsche Basketballverband verweigert dem Lesbenverein Weiberkram Düsseldorf die Mitgliedschaft.

    2000: Zwei Schweizer Organisationen sammeln 14000 Unterschriften gegen die schwullesbischen Euro Games in Zürich.

    2009: Die Spielerinnen Dyanne Bito und Claudia van den Heiligenberg müssen das niederländische Nationalteam verlassen, weil sich ihr privates Verhalten nicht positiv auf ihre Leistung auswirken würde.

    Diese Liste ließe sich fortsetzen, doch Sexismus und Homophobie werden nicht immer laut und schrill diskutiert. Klischeehafte Rollenbilder sind tief verwurzelt. So erhalten die deutschen Fußballerinnen nach dem Gewinn der Europameisterschaft 1989 als Prämie ein Kaffee-Service. Später werben Spielerinnen für einen Küchenhersteller.
    In einem Fernsehspot fährt die Bundestrainerin Silvia Neid aktuell mit einem Einkaufswagen durch die Gemüseabteilung eines Supermarktes. Sieht so das Bild einer modernen Frau aus? Tanja Walther-Ahrens schüttelt den Kopf. Sie ringt um eine differenzierte Haltung zur Weiblichkeit. Dazu gehöre auch die Sprache, die das Weibliche in vielen Bereichen unsichtbar macht.

    "Also das finde ich unmöglich. Muss jeden Sonntag den Bericht ausfüllen, da gibt es nur Trainer, Betreuer, Spieler. Sprache, also das Sprache schon so was ist, wo ganz viel Diskriminierung stattfindet, nehmen ja ganz viele nicht wahr. Dass auch die Schiedsrichter, und das sind meistens Männer, die begrüßen uns ja auch: Ja, die Spieler können sich mal begrüßen. Wo ich immer denke: ist hier kein Spieler da. Und ich glaube, dass man über Sprache ganz viel, ganz schnell und ganz einfach ändern kann, aber vielen ist es halt auch nicht wichtig."

    Im August 2010 nimmt Walter-Ahrens mit dem SV Seitenwechsel an den Gay Games in Köln teil, den Olympischen Spielen der Homosexuellen. Der amerikanische Zehnkämpfer Tom Waddell hatte sie 1982 ins Leben gerufen. Die Spiele entwickelten sich zu einem Fanal für Menschenrechte. Nun in Köln treten 10000 Lesben und Schwule aus siebzig Ländern an. Die meisten von ihnen bekennen sich in ihrer Heimat zu ihrer Sexualität. Doch einige Teilnehmer würden schon mit Händchenhalten ihr Leben riskieren, sie stammen aus Afghanistan, Sri Lanka oder Südafrika.

    Tumi Mkhuma lässt sich in den weichen Rasen fallen. Sie zupft an ihren Schnürsenkeln, starrt auf ihre Schuhe. Als wäre sie mit ihren Gedanken weit weg und nicht hier auf einem weitläufigen Sportgelände am Kölner Stadtwald. Tumi Mkhuma ist 23 Jahre alt und stammt aus Katlehong, einem Township Johannesburgs. Sie ist zierlich, trägt Rastalocken, hat ihre Fingernägel schwarz lackiert. Das blaue Trikot mit der Rückennummer neun ist ihr viel zu groß. Vor dem gegnerischen Tor, den Sieg vor Augen, bleibt ihr keine Zeit, um an Diskriminierung zu denken.

    Tumi Mkhuma gehört zum lesbischen Fußballteam Chosen Few. Zur Erwärmung klatschen sie und ihre Mitspielerinnen in die Hände. Sie singen ein Lied, das politische Gefangene während der Apartheid gesungen haben. Es steht für Widerstand und Befreiung.
    Im Alter von elf, zwölf Jahren akzeptiert Tumi Mkhuma, dass sie auf Mädchen steht, lange geheim halten kann sie das nicht. Sie wird geschlagen, bespuckt, beleidigt. An einem Abend im März 2009 sitzt sie in ihrer Lieblingskneipe. Plötzlich wird sie von einem Mann auf den Kopf geschlagen, von einem Mann aus ihrem Township. Sie wird bewusstlos. Er zerrt sie hinaus, vergewaltigt sie, lässt sie liegen wie ein Stück Müll. Tumi Mkhuma schließt sich zu Hause ein, weint, flucht und zweifelt. Irgendwann geht sie zur Polizei. Dort bekommt sie ein verachtendes Lächeln, aber keine Hilfe.

    "Ja, es verletzt mich sehr. Ich habe nie gedacht, dass ich vergewaltigt werden könnte. Ich denke, Gott wird den Mann bestrafen, der mir das angetan hat. Dieser Mann wollte beweisen, dass ich eine Frau bin. Weil ich Frauen liebe, dachte er, ich möchte ein Mann sein. Er ist noch immer auf freiem Fuß, ich sehe ihn öfter auf der Straße. Ich bin mir sicher, wo auch immer er ist, dass er weiterhin andere Menschen bedroht."

    Polizisten in den Townships haben oft die gleichen Vorstellungen wie die Verbrecher, nach denen sie fahnden. Sie glauben an "corrective rapes", an korrigierende Vergewaltigungen. Brutale Gewalt, die Lesben davon "heilen" sollen, lesbisch zu sein. Die Mitspielerinnen von Tumi Mkhuma haben ähnliche Tragödien erlebt.

    Wenn sie auf dem Rasen in Köln ein Tor schießen, stürmen sie aufeinander los, singen und lassen synchron ihre Hüften kreisen. Ständig umarmt Tumi Mkhuma ihre Kolleginnen oder trägt eine von ihnen auf ihrem Rücken.

    "Um ehrlich zu sein: Wenn ich nicht für dieses Team spielen würde, wüsste ich nicht, wo ich jetzt wäre. Vielleicht hätte ich mich umgebracht. Das Team gab mir die volle Unterstützung, die ich sonst von niemandem bekommen habe. Mein Vater ist gerade gestorben, ich lebe allein mit meiner Schwester. Ohne mein Team wäre ich nicht hier. Sie machen mich zu derjenigen, die ich bin."

    Tumi Mkhuma und Chosen Few sind das erste offen lesbische Team Südafrikas. Sie treffen sich nicht in ihren Townships, das wäre zu gefährlich, sie müssen ins Exil, kommen mit Sammeltaxis aus allen Ecken Johannesburgs. Meistens kicken sie auf einem holprigen Parkplatz. Zutritt zu den Rasenplätzen der Schulen oder Vereine erhalten sie selten, am Ligabetrieb dürfen sie nicht teilnehmen. Jahr für Jahr organisieren Chosen Few eine Parade für ihr großes Vorbil: Eudy Simelane. Die Nationalspielerin Südafrikas wird 2008 im Township Kwa Thema von einer Gruppe verschleppt. Sie wird mehrfach vergewaltigt und ermordet. Tumi Mkhuma spricht in Köln auch die Fehler ihrer Regierung an. Die Verfassung Südafrikas gilt als fortschrittlich. Lesben dürfen heiraten und Kinder adoptieren. Doch zwischen Theorie und Praxis liegen Welten. Ob Tumi Mkhuma nicht hier bleiben wolle, im liberalen Köln?

    "Um ehrlich zu sein. Ich würde wirklich sehr gern hier leben. Gerade weil in meiner Heimat bestimmt 70 Prozent der Menschen homophob sind. Aber ich kann nicht bleiben. Ich muss zurück. Es gibt dort eine Frau, die auf mich wartet. Ich würde gern hier bleiben, aber ich liebe diese Frau."

    Die deutschen Fußballerinnen sind erfolgreich. Zweimal Weltmeister, sieben Mal Europameister. Inzwischen kicken hierzulande mehr als eine Million Mädchen und Frauen in 5500 Teams. Die Randerscheinung ist in die Mitte der Gesellschaft vorgedrungen. Doch nutzt der Frauenfußball diese Position, um gesellschaftliche Themen zu diskutieren? Themen wie Sexismus und Homophobie? Noch immer suchen Trainer und Funktionäre den richtigen Ton, aber dann wirken sie doch verkrampft, zum Beispiel Bernd Schröder. Der Trainer des deutschen Meisters Turbine Potsdam ist seit vierzig Jahren mit dem Frauenfußball verbunden.

    "Das Problem Gleichgeschlechtlichkeit und Homosexualität ist ja ein gesellschaftliches Problem, das hat ja mit dem Sport nichts zu tun. Sie haben ja immer einen Schnitt der Gesellschaft in so einer Sportmannschaft: Sie haben paar Intelligente, paar weniger Intelligente, bestimmte, sage ich mal, vom Aussehen her. Also haben sie auch da einen Anteil, wenn sie 24, 25 Leute haben, ist nicht zu verhindern, dass sie auch solche Situation haben. Aber das hat mit dem Sport nichts zu tun. Diese Leute sind in der Gesellschaft und das interessante ist, dass die Frauen wesentlich gelöster mit dieser Situation umgehen können. Es gibt ja Mädels, die sind mit 16 Jahren, haben sie das Gefühl, sie müssen sich erstmal selbst kennenlernen und bestimmte Dinge im sexualen Bereich auch mal zumindest ausüben. Und dann sind sie 18, 19, 20, 21, dann ist wieder die Situation anders."

    Die Psychologin Beatrice Calmbach unterlegt diese Unsicherheit mit Fakten. In ihrer Studie berichtet sie, dass nur drei Prozent der Lesben und Schwulen im Breitensport offen zu ihrer Lebensweise stehen. 83 Prozent der befragten Funktionäre und Trainer denken, das Homosexualität in ihren Klubs nie ein Thema war. In der Bundesliga ist es nahezu unmöglich, eine Spielerin zum Thema zu befragen. Nationaltorhüterin Nadine Angerer offenbart im Herbst 2010 ihre Bisexualität im ZEIT-Magazin. Ihre Stellvertreterin im Tor, Ursula Holl, wird im Juni 2010 von Journalisten beobachtet, damals feiert sie mit ihrer Freundin ihre "eingetragene Lebenspartnerschaft". Unfreiwillig ins Rampenlicht gezerrt werden die Nationalspielerinnen Inka Grings und Linda Bresonik. Die Bild-Zeitung berichtet 2006 ausführlich über ihre Bisexualität. Das Blatt verkauft eine von vielen Lebensweisen als Skandal. Auch wegen dieser Darstellung wollen sich Spielerinnen nicht äußern, schreibt die Nationalspielerin Fatmire Bajramaj in ihrer 2009 veröffentlichten Biografie.

    "Ich habe lange überlegt, ob ich das Thema Homosexualität überhaupt in meinem Buch anschneiden soll. Doch dieser Teil gehört zum Frauenfußball dazu wie zum Leben überhaupt und ich wehre mich dagegen, alles immer zu tabuisieren. Unser Sport ist immer noch mit Vorurteilen und Klischees behaftet. Dadurch, dass alle immer nur hinter vorgehaltener Hand reden und nie offen damit umgehen, machen sie aus etwas ganz Normalem etwas Anrüchiges."

    April 2011. Achtzig Journalisten, Fotografen, Kameramänner drängen sich in einen Saal des Bundeskanzleramts. Ihnen gegenüber stehen die deutschen Fußballerinnen. Kanzlerin Merkel, Innenminister Friedrich und Familienministerin Schröder eröffnen eine Ausstellung über die Geschichte des Frauenfußballs. Selten ist die Öffentlichkeit für die Spielerinnen so breit. Reporter aus Politik-, Gesellschafts- und Sport-Ressort verfolgen den Auftritt.

    "Wenn man noch mal zurückdenkt: 1982 hat die deutsche Nationalmannschaft der Frauen ihr erstes offizielles Länderspiel bestritten. Manche waren da wahrscheinlich noch gar nicht geboren. Und am klaren Sieg gegen die Schweiz damals hatte auch eine Anteil, die heute wieder unter uns weilt: nämlich Frau Neid. Ich glaube, ich darf sagen, Sie sind ein echter Glücksfall für den deutschen Frauenfußball. Ich hoffe, die Spielerinnen sind entzückt über meine Worte und ich habe das Gefühl getroffen."

    Der Frauenfußball wird als Erfolgsgeschichte vermarktet, auch Politik, Wirtschaft und Kultur wollen am Aufstieg teilhaben. Probleme werden dabei verschwiegen, verdrängt, verharmlost. Dabei ließe sich die WM nutzen, um die gesellschaftliche Rolle der Frau zu diskutieren, findet auch Claudia Roth, die Vorsitzende des Bündnis 90/Die Grünen.

    "Natürlich müssen Frauen gerade in der Politik, ich glaube, deutlich mehr leisten, weil sie immer noch unter der besonderen Beobachtung stehen, ob sie denn zu emotional, zu bunt, zu schrill und nicht genügend grau und angepasst sind. Und man hat sich auch viel zu viel und viel zu lange Gedanken über die Frisur von Frau Merkel gemacht, als das man mal ihre Politik eingeschätzt hätte. In Deutschland verdienen Frauen 23 Prozent weniger. Es gibt nicht gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit und im Niedriglohnsektor sind 70 Prozent Frauen. Und wenn so eine Fußball-WM auch eine gesellschaftspolitische Debatte mitbefördern kann, dann ist das gut."

    Eine der wenigen, die hinter die Fassade schauen, ist die Berlinerin Tanja Walther-Ahrens. Die ehemalige Bundesligaspielerin engagiert sich gegen Homophobie, als Beraterin des Deutschen Fußball-Bundes und als Botschafterin des Europäischen Sportverbandes der Schwulen und Lesben. Walther-Ahrens ist enttäuscht vom Organisationskomitee der WM 2011.

    "Und natürlich hätte ich mir auch gewünscht, dass das OK vielleicht ein bisschen mutiger mit dem einen oder anderen Thema umgeht und auch dazu bereit ist, zum Beispiel das Thema Lesben im Fußball offensiver anzugehen einfach. Da kann ich nichts falsch machen, wenn ich mich mit Frauen und Migration irgendwie beschäftige, oder so was in der Richtung. Und da fände ich es einfach schön, wenn diese Homosexualität ein Thema von vielen wäre und nicht eines, was dann einfach herunterfällt, weil es so ein bisschen unangenehm ist."

    In einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung bescheinigt die Freiburger Soziologin Nina Degele dem DFB eine Vermarktung der Weiblichkeit. Mit Make Up und Stöckelschuhen. Dazu passe der offizielle WM-Slogan: "20elf von seiner schönsten Seite". Dazu passe auch die neue Fußball-Barbie, eine Spielzeugpuppe mit dünnen Beinen und zierlichem Körper. Nina Degele wundert sich, dass auf den Hochglanzpostern die Rekordspielerin Birgit Prinz kaum auftaucht, dafür aber die attraktive Fatmire Bajramaj. Degele zieht in ihrer Studie einen Vergleich zur Politik: Eine Werbeplakat der Regierung ohne Spielführerin, also ohne Angela Merkel? Unvorstellbar. Auch die Kulturwissenschaftlerin Tatjana Eggeling beobachtet, dass sich das Erscheinungsbild vieler Spielerinnen verändert habe.

    "Also wenn wir uns mal Spiele des deutschen Nationalteams heute angucken und vor, weiß ich nicht, drei bis fünf Jahren, heute ist da kaum noch eine, die einen Kurzhaarschnitt trägt. Die tragen alle eigentlich mindestens schulterlange Haare, gehen vielleicht auch geschminkt auf den Platz. Das hat ganz klar damit zu tun, dass sie dann besser vermarktbar und attraktiver sind, wenn sie auch als Frau auftreten. Sie spielen im Grund das Spiel auch wieder mit zu bestätigen, es gibt angeblich Eigenschaften, die typisch weiblich und typisch männlich sind. Damit zementieren sie aber im Grunde auch diese zweigeschlechtliche Ordnung."

    Es ist paradox: Die Spielerinnen wollen an ihrer Leistung gemessen werden, nicht an ihrer Sexualität und nicht an ihrer Weiblichkeit. Damit das so ist, legen sie sich jedoch einen femininen Pferdeschwanzlook zu. Ist diese Entwicklung nur ein Zwischenschritt wie in anderen Sportarten? Tanja Walther-Ahrens:

    "Oder das wir irgendwann da landen, wo die Beachvolleyballerinnen jetzt sind. Das man halt gesagt bekommt: okay, deine Hose darf jetzt nur noch drei Zentimeter am Rand haben. Also das muss halt jede immer selbst überlegen, aber ich würde mich halt weigern. Also das wäre so ein Grund für mich, warum ich sagen würde: Also ich spiele nicht nackt für euch im Sand Volleyball oder die Sportkleidung muss nicht so sexy sein."

    In diesen Tagen beginnt die Saison des Christopher Street Day. Konzerte, Ausstellungen, Lesungen rücken die Rechte von Homosexuellen in den Vordergrund. Auch der Deutsche Fußball-Bund oder der Berliner Fußball-Verband finanzieren Wagen für die Paraden. DFB-Präsident Theo Zwanziger positioniert sich in Interviews und auf Veranstaltungen gegen Homophobie. 2009 stellt er ein Länderspiel der Männer unter dieses Motto. Er hält eine Rede vor schwulen Unternehmern und schiebt in der ARD einen Tatort zum Thema an. Plakative Botschaften, die wichtig sind. Aber reichen sie aus, um tief verwurzelte Klischees aufzubrechen und die Abneigung gegenüber Lesben und Schwulen zu verringern?

    Die Biesalski-Schule im Berliner Bezirk Zehlendorf ist eine Förderschule für Kinder mit Behinderungen. Tanja Walther-Ahrens arbeitet hier seit fünf Jahren als Lehrerin, unter anderem für das Fach Sport. Besonders beliebt ist ihre Fußball-AG.
    Dreizehn Schülerinnen und Schüler laufen und dribbeln durch die Halle. Die Trikots ihrer Lieblingsspieler sind schnell durchgeschwitzt. Walther-Ahrens steht am Rand und umklammert eine Schiedsrichterpfeife. Sie will mit Kindern früh über Toleranz sprechen, damit Vorurteile gar nicht erst entstehen können. Auch deshalb wurde sie in die Nachhaltigkeitskommission des DFB berufen, Ressort Bildung. Wie aber macht man Kinder mit dem Thema Homophobie vertraut?

    "Wir hatten schon mal eine Klasse zum Beispiel, die halt immer auch gelästert haben über Schwule und Lesben. Die Kollegin, die die Klasse hat, hat mich dann einfach gefragt, ob ich nicht mal dazu kommen will. Und dann haben wir halt mit den Kids gesprochen, was daran so eklig ist und ob sie überhaupt Schwule und Lesben kennen. Ich habe dann auch so provokativ halt mal gefragt, na ist denn eure Lehrerin lesbisch, dann haben sie alle gesagt: nein, nein, nein. Und dann habe ich gefragt, na bin ich denn lesbisch, und dann auch alle: nein, nein, nein, geht ja gar nicht. Und dann habe ich gesagt: seht ihr, habt ihr jetzt irgendwie falsch gedacht, eine von uns beiden ist lesbisch. Dann waren sie erstmal ganz, ganz irritiert. Es hat ihnen schon gezeigt, dass sie da vielleicht ein bisschen schräg denken."

    Im Profifußball wird die Suche nach Schwulen und Lesben wie eine Fahndung vermarktet. Alle suchen den homosexuellen Superstar. Doch Aufklärung und Sensibilisierung funktioniert auch ohne das prominente Outing. Tanja Walther-Ahrens hat ein Buch zum Thema geschrieben, der Titel: "Seitenwechsel". Sie hält an der Basis Vorträge und Lesungen. Ihr Motto: Diskutiert und Informieren. Nur so könne sich das Klima verändern. Der Begriff vom "großen Tabu" spielt in ihrem Wortschatz keine Rolle.