Es ist die alles überlagernde Szene im Rahmen des WM-Finales in Sydney. Der spanische Verbandschef Luis Rubiales küsst die Spielerin Jenni Hermoso während der Siegerehrung ungefragt auf den Mund.
Ein ungewollter Kuss auf den Mund ist eine Form sexualisierter Gewalt im Sport. Für Steffi Jones, Welt- und Europameisterin sowie ehemalige Funktionärin des Deutschen Fußball-Bundes, das inakzeptable Übertreten einer Grenze: "Wir haben einen intimen Bereich, wo wir gerne möchten, dass wir gefragt werden, und hier darf ich nicht einfach übergriffig werden", sagte Jones, die Vorstandsmitglied des "Safe Sport e.V." ist, der eine unabhängige Anlaufstelle für Betroffene sexualisierter, psychischer und physischer Gewalt bietet.
Jones über Rubiales: "Wer sich dessen nicht bewusst ist, muss gehen"
"Und wenn man dann sogar noch ein Funktionär ist, in einer Machtfunktion, wo die Spielerinnen auch Angst haben, zurückzugehen, den Kopf wegzudrehen, das geht überhaupt nicht. Und wer sich dessen nicht bewusst ist und danach auch noch solche Äußerungen macht, der muss aus meiner Sicht gehen."
Hinweis: Das Interview mit Steffi Jones haben wir aufgezeichnet, bevor Luis Rubiales auf der Generalversammlung des spanischen Fußballverbandes einen Rücktritt abgelehnt hat und auch bevor die spanischen Nationalspielerinnen ihren Streik angekündigt haben. Alle Informationen zum Fall Rubiales finden Sie hier:
Dabei bekam Rubiales auch Unterstützung aus Deutschland. Karl-Heinz Rummenigge, ehemaliger Vorstandsvorsitzender des FC Bayern Münchens, sagte: "Wenn man Weltmeister wird, ist man emotional. Und was er da gemacht hat - sorry, mit Verlaub - das ist absolut ok."
Jones widersprach Rummenigge mit einem klaren "Nein" und sagte: "Es ist manchmal besser, sich da zurückzunehmen. Gerade wenn man wie Herr Rummenigge, der selber in einer Machtfunktion ist, das als ok bezeichnet, sagt das für mich, dass er das auch jederzeit so tun würde. Damit hat er sich angreifbar gemacht. Und ich hoffe, dass er seine Meinung ändert, nachdem er die Reaktion gesehen hat und vielleicht auch selbstreflektiert zurückblickt."
Sie selbst habe Siegerehrungen und ähnliche Situationen sowohl als Spielerin als auch als Funktionärin erlebt, sagte Jones. Zu Übergriffen sei es aber nie gekommen: "Das ist normal gewesen, dass wir Spielerinnen uns in den Armen lagen. Aber selbst da haben wir uns nicht auf den Mund geküsst oder jemanden einfach gepackt, sondern es war und ist für mich immer ein beidseitiges Zugeständnis dessen, dass ich das möchte oder dass wir das möchten. Hier ist es einseitig und in dem Moment ist es übergriffig und nicht gestattet."
"Safe Sport" als Anlaufstelle für Betroffene sexualisierter Gewalt
Generell wird das Thema sexualisierte Gewalt im Sport immer größer. Auch, weil sich immer mehr Betroffene äußern. Für diese Betroffenen gibt es nun die vor wenigen Wochen eröffnete Anlaufstelle "Safe Sport" bereit. Hier können Betroffene von sexualisierter, emotionaler und körperlicher Gewalt im Breiten- und im Leistungssport Unterstützung bekommen, anonym und unabhängig von den Strukturen des organisierten Sports.
"Wir verstehen uns als eine wirklich reine Anlaufstelle für Menschen, die betroffen sind", schilderte Jones. Man wolle Betroffene abseits des Tatorts Sport in einem geschützten Rahmen beraten und so zur Verbesserung der Rahmenbedingungen beitragen.
"Ich bin dankbar dafür, weil meine Mutter als Kind selber missbraucht wurde und nicht nur einmal, sondern von zwei verschiedenen Männern", schilderte die 50-Jährige ihre eigene Prägung und Motivation durch die Geschichte ihrer Mutter: "Sie hätte sehr gerne eine Anlaufstelle gehabt oder Menschen, die ihr helfen, darüber hinwegzukommen."
Als unabhängiger Trägerverein "Safe Sport e.V." wolle man als weiterer, ergänzender Bestandteil der bereits bestehenden Beratungsmöglichkeiten gesehen werden, „also als etwas sehr Positives, was Betroffenen hilft und nichts anderes“, erklärte die Welt- und Europameisterin.
Fehlverhalten von Trainerinnen und Trainern " wurde totgeschwiegen"
Die Anlaufstelle "Safe Sport" soll ein erster Baustein sein für ein übergeordnetes unabhängiges „Zentrum für Safe Sport“. Hier sollen Betroffene Unterstützung erhalten, Fälle aufgearbeitet werden, Täter möglicherweise sanktioniert und Schutzkonzepte auf Wirksamkeit geprüft werden.
Oft genug sei Fehlverhalten von Trainern oder Trainerinnen bekannt: "Es wurde totgeschwiegen, und dieser Mensch wechselt einfach woanders hin und kann dort weitermachen", so Jones.
Durch ein entstehendes Zentrum für Safe Sport erhofft sich die ehemalige Fußball-Funktionärin, dass nicht mehr weggeschaut wird: "Und deswegen sage ich, es ist wichtig, dass wir es transparent machen, dass wir es nicht vor den Eltern verheimlichen, sondern das wirklich transparent gemacht wird. Wir haben hier jemanden, der oder die hat sich was zuschulden kommen lassen. Und wir reagieren."
Für die Zukunft der neu gegründeten Organisation formuliert Jones ein klares Ziel: "Dass wir Betroffenen helfen dürfen und Sie uns vertrauen, dass wir ihn auch wirklich weiterhelfen."
Haben Sie Gewalt erlebt? Die Homepage der Anlaufstelle "Safe Sport" finden Sie hier.