Die Fußballwelt der Zukunft
Journalistin Alina Schwermer: „Es braucht ganz dringend ein neues System“

Das System des internationalen Fußballs steht in der Kritik und erreicht dennoch immer neue Superlative. Wie die Zukunft der Fußballwelt aussehen könnte, besprechen Utopistin Alina Schwermer und Wissenschaftler Daniel Nölleke im Dlf-Sportgespräch.

Alina Schwermer und Daniel Nölleke im Gespräch mit Sabine Lerche |
    Gianni Infantino präsentiert die Trophäe der FIFA Klub-Weltmeisterschaft während der Auslosung der Klub-Weltmeisterschaft in den Telemundo-Studios.
    Entscheidet über viele Entwicklungen des Weltfußballs im Alleingang: FIFA-Präsident Gianni Infantino. (IMAGO / Imagn Images / IMAGO / Sam Navarro)
    Es mangelt nicht an Kritikpunkten am System Fußball. Internationale Turniere werden durch mehr Spiele immer weiter aufgeblasen. Gleichzeitig sinkt die Konkurrenz in den nationalen Ligen, weil viele Vereine finanziell nicht mehr mithalten können – es folgt die Vorherrschaft einiger weniger Klubs.
    "Grundsätzlich ist es ja das riesige Problem dieses aktuellen Fußballsystems, dass es auf Wachstum basiert. Also dass es immer mehr Gelder akquirieren muss, von egal wo", findet Alina Schwermer, Sportjournalistin und Autorin des Buches "Futopia: Ideen für eine bessere Fußballwelt". Dieser Finanzdruck ist mit Verursacher der zahlreichen Kritik am System Fußball, so Schwermer.

    Schwermer: "Fußball ist für ganz viel Leute erstmal Entertainment"

    Übergeordnet sorgt der Fußball für Bestechungs- und Korruptionsskandale. Hinzu kommen unschöne Szenen in den Stadien: Ausschreitungen zwischen Fanlagern und Respektlosigkeiten gegenüber Minderheiten oder Unparteiischen sind keine Seltenheit mehr. Doch laut Schwermer fehlt häufig noch der kritische Blick auf die Welt des Fußballs:
    "Das Problem ist, dass für ganz viele Leute Fußball erstmal Entertainment ist. Die Menschen, die sich kritisch interessieren, sind eben eine kleine Minderheit."
    Alina Schwermer steht an einem Geländer vor einem See.
    Sportjournalistin bei der TAZ und Autorin des Buches "Futopia: Ideen für eine bessere Fußballwelt": Alina Schwermer. (Marcus Simaitis.)
    Zu oft wären heutige Proteste zu oberflächlich und würden nicht die Grundproblematik des Systems anpeilen: "Deshalb wäre es aus meine Sicht total wichtig zu sagen: Wir lösen uns von dieser Maschinerie und wir bauen was eigenes, etwas neues auf."
    Schwermer denkt dabei an eine neue Struktur im System Fußball: "Sowohl aus wirtschaftlichen als auch aus Gründen der Klimakatastrophe braucht es ganz dringend ein neues System. Eines, das nicht auf Wachstum basiert."
    Das Ligensystem, das aktuell aus einer auf sich aufbauenden Pyramide besteht, könnte zum Beispiel zu einem System werden, in dem mehrere unterschiedliche Ligen nebeneinander existieren:
    "Und die verschiedenen Ligen erlauben verschiedene Formen von Fußball. Dann ist vielleicht das eine Spiel ein Gegeneinander und das andere Spiel ist ein kooperatives Spiel. Und das andere Spiel ist Fußball als Theater und irgendwie total crazy."

    Der Fußball brauche eine "wirtschaftliche Vision"

    Zwar habe der Fußball in den letzten Jahrzehnten auch Fortschritte gemacht. "Gerade was zum Beispiel Frauenrechte angeht, was LGBTQ-Rechte angeht. Was Antirassismus angeht, hat sich im Fußball ganz viel getan", so Schwermer. Doch Kern der heutigen Problematik seien die wirtschaftlichen Kämpfe, so Alina Schwermer im Sportgespräch:
    "Auch der erfolgreiche Protest gegen den DFL-Investor. Das sind im Grunde Rückverteidigungs-Gefechte. Also man versucht, dass es nicht noch schlimmer wird, als es gerade ist. Was fehlt, ist im Grunde eine wirtschaftliche Vision, wie dieses System anders aussehen kann."
    Doch die Grundpfeiler der Leistungsideologie und des Kapitalismus werde auch von den Fans getragen.

    Nölleke: "Medien spielen bedeutende Rolle"

    Doch zur Entwicklung des Fußballs haben auch die Gelder der Medien geführt:
    "Natürlich ist der Fußball in hohem Maße von finanzielle Ressourcen abhängig. Und in hohem Maße werden dieses Ressourcen natürlich durch die Medien geliefert. Und deshalb spielen die Medien in diesem Kontext natürlich eine extrem bedeutende Rolle", erklärt Daniel Nölleke, Juniorprofessor am Institut für Medien- und Komomunikationsforschung an der Deutschen Sporthochschule Köln.
    Durch die Kosten-Nutzen-Kalkulation der übertragenden Sender sei die Spannung und Relevanz des Wettbewerbs von enormer Wichtigkeit. Es gehe um die Frage: Erreiche man als Medienunternehmen tatsächlich die Aufmerksamkeit und die Zuschauerinnen und Zuschauer, die man sich von der Übertragung verspreche.
    Der jüngst gesteigerte Erlös der vergangenen Rechtevergabe habe gezeigt, "dass Medienunternehmen wie DAZN und Sky, aber auch öffentlich-rechtliche Sender an den Wert des Fußballs, so wie er aktuell gespielt wird, glauben."
    Daniel Nölleke schaut lächelnd in die Kamera.
    Daniel Nölleke ist Juniorprofessor für Sportjournalismus und Öffentlichkeitsarbeit am Insititut für Medien- und Kommunikationsforschung an der Deutschen Sporthochschule Köln. (© LSB NRW / Andrea Bowinkelmann)

    Ob die Blase des Fußballs irgendwann platzen wird?

    Doch auch Nölleke befürchtete, dass die immer größer werdende Blase des Fußballs zu Platzen droht: "Irgendwann zieht vielleicht auch der Zuschauer oder die Zuschauerin nicht mehr mit, weil es schlicht unmöglich ist, noch die Wertigkeit unterschiedlicher Wettbewerbe zu erkennen und voneinander zu trennen."
    Die Gefahr bestehe besonders für neue Formate wie die Klub-WM, die im kommenden Jahr erstmals als großes Turnier mit 32 Teams an den Start geht. Die heimische Meisterschaft steht laut Nölleke aber auf sicheren Pfeilern:
    "Da glaube ich, ist die Bundesliga relativ safe. Aber mit diesen vielen globalen Erweiterungen geht eine gewisse Verwässerung einher."
    Der Fokus müsse aus Sicht des Medienexperten auf dem Herzstück liegen: "Ich glaube, dass es wichtig ist, sich auf so einen Kern zu konzentrieren und zu schauen: Welche Wertigkeit messe ich denn jetzt welchem Wettbewerb bei?"

    Ein Tabellensystem, das soziales Engagement berücksichtigt

    Um den Fußball in der wirtschaftlichen Wachstums-Spirale noch einzufangen, macht Schwermer konkrete Vorschläge. Sie kritisiert, bei der aktuellen Honorierung der Vereine liege – zumindest in der Tabelle – kein Leistungswettbewerb vor:
    "Aktuell sehen wir in Tabellen die Leute oben, die nicht unbedingt gewinnen, weil sie den klügsten Manager haben. Sondern sie gewinnen, weil sie die reichsten Sponsoren haben."
    Um das zu verändern, brauche es weitere Faktoren, die die Vereine bewerten und in den Tabellenplatz einfließen: Es könnte zum Beispiel auch das soziale Engagement eines Klubs berücksichtigt werden: "Wir möchten auch honorieren, wenn ein Klub nachhaltig agiert, und wir geben dafür Punkte. Wir möchten auch honorieren, wenn der Klub ein Frauenteam hat. Ich glaube, das ist ein total interessanter Punkt, um zu verändern, worauf wir schauen. Dann kann uns immer noch Leistung wichtig sein. Aber sie ist vielleicht nicht das einzige, was uns wichtig ist."
    Auch Nölleke stimmt zu, das "Engagement außerhalb des Platzes, also diese enorme gesellschaftliche Strahlkraft, die der Fußball hat, auch tatsächlich gewinnbringend" einzusetzen. Zugleich schränkt er ein, dass viele am Leistungssport wegen der Leistung interessiert sind.

    Veränderungen im Fußball brauchen Veränderungen in der Gesellschaft

    Aber wer kann diese Veränderungen realistischerweise vorantreiben? Laut Schwermer wäre es falsch, die Verantwortung maßgeblich auf die Fans abzuwälzen. Vielmehr müsse die Gesellschaft ihren Teil beitragen:
    "Wenn der kapitalistische Leistungssport, den wir heute erleben, ein Abbild der Gesellschaft ist, dann bedeutet es, dass die Gesellschaft sich ändern muss."