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Sportjournalist Köster zu Löws WM-Analyse
"Ein überzeugender Neuanfang sieht anders aus"

Joachim Löws Selbstkritik nach zwei Monaten des Nachdenkens sei ein seltener, aber sehr nötiger Schritt gewesen, sagte Philipp Köster, Chefredakteur der Fußballzeitschrift "11 Freunde", im Dlf. Der erhoffte große Schnitt nach dem deutschen WM-Aus im Juni sei aber ausgeblieben.

Philipp Köster im Gespräch mit Jörg Münchenberg |
    29.08.2018, Bayern, München: Deutsche Fußball-Nationalmannschaft, Präsentation der WM-Analyse und Kader-Bekanntgabe für die Länderspiele gegen Frankreich und Peru. Bundestrainer Joachim Löw (l) und Teammanager Oliver Bierhoff bei der Pressekonferenz.
    Präsentation der Analyse zur Fußball-WM (picture alliance / dpa / Sven Hoppe)
    Jörg Münchenberg: Das war gestern beides: Selbstanklage, aber auch zugleich ein demonstratives Zeichen der Zuversicht. Ja, er traue sich durchaus zu, das Nationalteam wieder titelfähig zu machen. Und ja, auch der Trainer sei geradezu arrogant in Russland aufgetreten – so Joachim Löw. Zu wenig Feuer und Leidenschaft, aber das will und muss der Bundestrainer wieder entfachen. – Am Telefon nun der Fußballexperte Philipp Köster von der Fußballzeitschrift "11 Freunde". Herr Köster, ich grüße Sie!
    Philipp Köster: Guten Morgen! Ich grüße Sie.
    Münchenberg: Herr Köster, würden Sie sagen, das war ein überzeugender Auftritt gestern des Bundestrainers?
    Köster: Nein, das war ein zwiespältiger Eindruck und Auftritt, denn Joachim Löw hat sich selbstkritisch gegeben. Das hörte man selten, dass er selber von sich konstatierte, er sei zu arrogant gewesen, seine Taktik sei zu arrogant gewesen, er habe die falsche Taktik gewählt. Diese Kritik musste er, glaube ich, auch nach zwei Monaten Nachdenken unbedingt mal von sich geben. Ansonsten allerdings blieb der große Schnitt aus, auf den man gehofft hatte. Lediglich der Co-Trainer Thomas Schneider muss gehen. Aber sogar Urs Siegenthaler, der Cheftaktiker, der sich ja gerade im ersten Spiel gegen Mexiko ganz schön vercoacht und vertan hatte, was die deutsche Taktik anging, der durfte bleiben. Ein überzeugender Neuanfang sieht eigentlich anders aus.
    Münchenberg: Dann fragen sich auch viele, kann dieser alte neue Bundestrainer noch einmal genug motivieren?
    Köster: Das fragen sich viele und das ist auch eine berechtigte Frage. Man fragt sich ja schon ein bisschen, was da so in der Nationalmannschaft passiert ist: All das, was man seit 2006 aufgebaut hatte, dieses positive Leitbild, dass man nah am Volke sein will, dass man sich als Team versteht, dieser Marketing-Claim zusammen, und die Mannschaft war ja auch sehr, sehr präsent in der Öffentlichkeit. Und dann gibt es solche Grüppchenbildungen. Es war ja teilweise so, dass bis spät in die Nacht Online-Spiele gezockt wurden. Der Bundestrainer hat es wohl auch so angehen lassen, dass man mit dem Gestus nach Moskau gefahren ist, wir sind Weltmeister, uns kann niemand was. Da muss er schon ein bisschen deutlicher und, wie ich finde, auch noch mal ein bisschen eindringlicher erklären, was da eigentlich in dieser Mannschaft und mit dem Trainer passiert ist in den letzten vier Jahren.
    Bonus von 2014 "langsam aufgebraucht"
    Münchenberg: Hätten Sie sich eigentlich einen klaren Personalschnitt gewünscht, dass Löw gehen muss?
    Köster: Prinzipiell hat Joachim Löw große Verdienste. Es war auch sein großer Verdienst, dass Deutschland 2014 Weltmeister geworden ist. Aber diesen Bonus, den hat er so langsam aufgebraucht, weil man sich natürlich auch immer fragen muss, wie geht so jemand mit Erfolg um. Offenbar hat er das selbstzufrieden gemacht, träge. Das hat dazu geführt, dass man sich selber nicht mehr so wahnsinnig angestrengt hat. Ich hätte mir mehr Feuer, mehr Leidenschaft gewünscht. Ich hätte mir auch klarere Ausrichtungen taktisch gewünscht, wie man mehr Tempo ins Spiel bringen will. Da waren sehr viele Allgemeinplätze drin und man fragte sich wirklich: Für all das, was Joachim Löw da gesagt hat, dafür hat er jetzt tatsächlich acht Wochen Bedenkzeit gebraucht?
    Münchenberg: Auf der anderen Seite sagt Löw auch, er will sich selber treu bleiben. Ist das nicht auch aus seiner Sicht verständlich und damit auch ein bisschen überzeugend?
    Köster: Ich finde es ja prinzipiell gut, dass er sagt, es war nicht alles verkehrt, was wir in den letzten vier Jahren gemacht haben. Wir müssen an Stellschrauben drehen. Prinzipiell halte ich an unserer taktischen Linie fest. Das ist ja alles verständlich. Nur gleichzeitig ist trotzdem die Frage, wie will man das erreichen, wie kriegt man mehr Feuer hinein. Wenn man sich zum Beispiel die taktischen Ausführungen des Bundestrainers angehört hat, das war schon, sagen wir mal, so, dass man das sich eigentlich auch nach zehn Minuten Internet-Recherche hätte zusammenklauben können. Jeder der vor dem Fernseher saß, hat gesehen, dass es der deutschen Mannschaft im Tempo und im Aufbauspiel gefehlt hat und dass sie zu behäbig von links nach rechts geschlichen ist. Da hätte man sich eigentlich gewünscht, dass er das Publikum ernster nimmt und es möglicherweise auch mitnimmt in seine tieferen und eingehenderen taktischen Überlegungen.
    Münchenberg: Nun wurde ja erst vor kurzem der Vertrag von Löw verlängert. Außerdem stand ja offenbar auch kurzfristig jetzt kein anderer Trainer zur Verfügung. Ist das letztlich der Grund, warum dann Löw jetzt doch bleiben durfte?
    Köster: Das sind Vorgänge, über die man eigentlich als Fan und auch als Journalist ein bisschen den Kopf schütteln muss, dass der Vertrag von Joachim Löw ja schon vor der WM eilends verändert wurde, dass direkt nach dem Aus, wo man eigentlich gesagt hätte, das sollen die Herren jetzt mal aufarbeiten, gleich der Vertrag noch mal bestätigt und verlängert wurde. Die Ergebenheitsadressen aus der DFB-Spitze haben sicherlich auch dazu geführt, dass sich Joachim Löw und auch Oliver Bierhoff sehr sicher im Sattel gefühlt haben und dann tatsächlich auch in der Fehleranalyse zwar selbstkritisch zugange gegangen sind, allerdings gleichzeitig auch den ganz großen Schnitt, den ganz großen Personalumbruch und auch tatsächlich die allzu harte Selbstkritik vermieden haben.
    Grindel und Löw "halten sich gegenseitig über Wasser"
    Münchenberg: Damit haben Sie es schon angedeutet: Auch DFB-Boss Grindel steht ja mächtig unter Druck, auch wegen des schlechten Krisenmanagements in der Causa Özil. Kann man da jetzt so weit gehen und sagen, da versuchen, sich zwei Angeschlagene gegenseitig Halt zu geben?
    Köster: Tatsächlich! Die halten sich gegenseitig über Wasser. Derzeit hat niemand ein Interesse an einer großen Personaldiskussion, gerade vor dem Hintergrund, dass ja Ende September auch über die deutsche Bewerbung für die Euro 2024 entschieden wird. Da ist jetzt Ruhe die erste Bürgerpflicht. Grindel ist froh, dass es Kontinuität gibt, und ich glaube, der war auch sehr, sehr froh, dass es in dieser Pressekonferenz keine weiteren Attacken auf ihn gab und dass sich momentan die Diskussion um ihn wieder ein bisschen beruhigt hat. Das war tatsächlich gegenseitige Hilfestellung von zwei Leuten, die gerade keinen besonders guten öffentlichen Stand haben.
    Münchenberg: Nun herrscht ja weiter Sprachlosigkeit zwischen Löw und Özil, Herr Köster. Es gab offenbar keinen Kontakt mehr seit dem Rücktritt von Özil zu seinem Bundestrainer. Wirft das nicht auch ein bisschen ein schlechtes Licht auf Löw selber? Er hätte ja eigentlich nur zum Hörer greifen müssen.
    Köster: Joachim Löw sagt ja selber, er habe angerufen, er habe auch SMS geschickt, aber keine Antwort erhalten. Klar ist: Mesut Özil ist tief verletzt. Seine Rücktrittserklärung sprach ja Bände. Ich glaube, dass er auch nach wie vor natürlich einen Vorwurf erhebt, der immer wieder dementiert wird, aber der auch nicht so richtig zurückzuweisen ist, nämlich dass Özil in dieser ganzen Kampagne, die gegen ihn lief, gerade von rechtsnationaler Seite, dass er dort sträflich von den Verantwortlichen der Nationalmannschaft, nicht unbedingt nur von Löw und von Bierhoff, sondern vor allen Dingen von der DFB-Spitze, im Stich gelassen worden ist. Ich glaube, dass dieser Konflikt auch noch nicht zu Ende ausgetragen ist. Die Äußerungen von Joachim Löw auf der Pressekonferenz waren jedenfalls nicht geeignet, um tatsächlich dieser Diskussion einen ordentlichen und würdigen Abschluss zu geben.
    Münchenberg: Sie sagen, die Affäre oder der Konflikt ist noch nicht ausgestanden. Mit was rechnen Sie da?
    Köster: Na ja. Man muss ja sehen, welches Bild jetzt ganz, ganz viele jugendliche Kicker mit Migrationshintergrund in Deutschland davon bekommen haben. Das große Signal der Özil-Causa war ja, wir sind eigentlich in der Nationalmannschaft nicht gewünscht, wir sind Leute, die zwar gut Fußball spielen können, aber wenn es darum geht, dann den Adler auf der Brust zu tragen, dann sind wir doch eher Deutsche zweiter Klasse. Ich glaube, der DFB muss sehr, sehr viel tun und seine Anstrengungen noch extrem verstärken, um gerade diesen jungen Talenten, von denen es in Deutschland ja wirklich viele gibt, die durchaus ein bisschen hin- und hergerissen sind zwischen Deutschland und der Türkei, dass man diesen jugendlichen Kickern auch eine sportliche und fußballerische Heimat bietet.
    "Ein paar von den jungen Leuten hat Löw ja nominiert"
    Münchenberg: Aber ist das, Herr Köster, nicht vielleicht auch ein Problem für Joachim Löw, dass es zu wenig guten Nachwuchs jetzt aus der Bundesliga selber gibt, weil die Bundesliga im Vergleich zu den Ligen in England zum Beispiel oder auch Spanien doch eher ziemlich abgerutscht ist?
    Köster: Ja, das ist natürlich unser großes Gejammer, dass wir jetzt plötzlich nicht mehr konkurrenzfähig sind. Noch vor vier und sogar noch vor zwei Jahren sind wir mit Polonaise durch die Nachwuchs-Leistungszentren marschiert und haben gesagt, wie großartig das alles ist. Dann haben wir 2017 den Confed Cup noch gewonnen und sind U21-Europameister geworden. Damals war nicht alles schlecht und jetzt ist nicht alles gut. Ich glaube, zumindest ein paar von den jungen Leuten hat Löw ja auch nominiert: Kai Havertz aus Leverkusen zum Beispiel oder Thilo Kehrer, der gerade von Schalke zu Saint-Germain gewechselt ist. Das sind junge Leute, die sicherlich jetzt noch nicht eine goldene Generation sind, wie das die Weltmeister von 2014 waren, aber die viel Hoffnung machen und die vor allen Dingen etwas ins Löw-Spiel und ins Spiel der Nationalmannschaft bringen können, was gerade schmerzlich vermisst wird, nämlich Tempo und Kreativität und Engagement.
    Münchenberg: Herr Köster, ganz kurz noch: Was trauen Sie jetzt der Mannschaft unter ihrem neuen alten Trainer noch zu?
    Köster: Sie muss selber, glaube ich, wissen, was sie will und ob sie mit diesem Trainer weiterarbeiten will. Dann wird sie, glaube ich, wenn diese Botschaft von Neuanfang gekommen ist und passiert ist, auch in den nächsten Spielen versuchen, begeistert zu spielen und deutlich engagierter als noch in Russland. Wenn sie allerdings sagt, wir machen einfach so heiter weiter wie bisher, was bisher war, war auch nicht alles verkehrt, und wir spielen weiter unseren Stiefel runter, dann könnte es auch eine sehr, sehr kurze Ära Löw werden jetzt nach diesem Aus in Russland.
    Münchenberg: … sagt Philipp Köster. Er ist Chefredakteur von "11 Freunde". Herr Köster, vielen Dank für Ihre Zeit heute Morgen.
    Köster: Bitte schön.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.