Sandra Schulz: Alle Details kennen wir erst übermorgen, aber eine Kehrtwende zeichnet sich schon ab. Offenbar hat Lance Armstrong, gefallener Held des Radsports, erstmals den Einsatz von Doping gestanden, nachdem er ihn ja jahrelang geleugnet hat.
Armstrong war mit seinem Leugnen nicht allein, die Deutschen Jan Ulrich und Erik Zabel, die haben es auch getan, und seine Teamkollegen Tyler Hamilton und Floyd Landis. Die haben aber schon vor Armstrong reinen Tisch gemacht. Drei Monate ist es jetzt her, da erkannte ihm der Radsportweltverband alle Tourtitel ab, lebenslange Sperre inklusive, und jetzt also das Doping-Geständnis. Als Bühne hat sich Lance Armstrong ein Interview mit der US-Talkmasterin Oprah Winfrey ausgesucht. Gleich zehn Leute hat er mitgebracht, unter anderem zwei Anwälte. Das Doping-Geständnis – wir müssen es heute Morgen noch mit einem "offenbar" versehen, wir können uns nur auf Medienberichte beziehen, denn die Sendung, die ist zwar schon aufgezeichnet, aber noch nicht ausgestrahlt, sie läuft erst in den frühen Morgenstunden am Freitag. Aber wie gesagt: Dass es das Doping-Geständnis gibt, darin sind sich die Berichterstatter jetzt schon einig, und das wollen wir in den kommenden Minuten einordnen. In Berlin ist uns jetzt der ARD-Doping-Experte Hajo Seppelt zugeschaltet. Guten Morgen!
Hajo Seppelt: Guten Morgen.
Schulz: Herr Seppelt, jahrelang hat Lance Armstrong alle Doping-Vorwürfe bestritten. Jetzt gesteht er sie offenbar ein. Warum?
Seppelt: Ja, das ist in der Tat eine komplette Kehrtwende. Aber die hat sicherlich nichts damit zu tun, dass es plötzlich ein reuiger Sünder ist, dass hier ein Saulus zum Paulus geworden ist. Es hat mit Sicherheit mit Kalkül, mit Strategie zu tun. Der, der diesen Fall seit Jahren beobachtet, der weiß, dass bei ihm alles Programm ist, dass alles immer einen Hintergrund hat, und so ist es auch diesmal. Das US-Justizministerium hat ja mit ihm oder vor allem seinen Beratern umfangreiche Sondierungsgespräche geführt in den letzten Wochen. Dabei ging es um die Frage, ob ihm wo möglich noch ein weiterer Prozess drohen könnte, zum Beispiel wegen Betrugs. Und Armstrong hat offensichtlich da so eine Art Deal erzielt. Es gibt in den USA ein spezielles Gesetz, das ist der Whistleblower Act, eine Art Informantengesetz, und das führt dazu, wenn Leute aussagen, Personen Aussagen in Fällen, in denen es um einen Schaden an staatlichen Organisationen geht, also in diesem Fall die Post der USA, US Postal – das ist ja der Radsport-Sponsor gewesen über mehrere Jahre vom Team Armstrongs -, und wenn es darum geht, Schadenersatzforderungen zu erheben, und es gibt jemand, der als Whistleblower, als Informant dort Informationen weitergibt, dann kann sogar derjenige davon profitieren, bekommt bis zu 30 Prozent der Schadenersatzsumme dann auf sein Konto. Also es könnte sogar am Ende sein, dass Armstrong hier eher der Profiteur, denn der Verlierer ist. Außerdem spekuliert er darauf, dass er wo möglich eine reduzierte Sportsperre bekommt. Der inzwischen über 40-Jährige will ja an Triathlon-Wettkämpfen, an offiziellen Triathlon-Wettkämpfen teilnehmen, er ist aber lebenslang gesperrt für jeden Sport unter dem Dach des IOC, und insofern ist es für ihn jetzt vielleicht die Chance, diese Strafe zu reduzieren, möglicherweise ein oder zwei Jahre nur zu bekommen. Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, dass die US-Antidoping-Agentur sich auf diesen schmutzigen Deal einlässt.
Schulz: Heißt aber auch, dass, wenn er jetzt zum Rundumschlag ausholt, Funktionäre schon zittern müssen?
Seppelt: Funktionäre müssen mit Sicherheit zittern, denn er hat zwar ankündigen lassen, wie zu vernehmen war, dass er keine Athleten-Namen nennen wird, also keine von Mitfahrern, die wo möglich auch gedopt haben, aber er will wohl Sportfunktionäre belasten, und das ist eigentlich die sportpolitisch entscheidende Dimension bei dieser ganzen Angelegenheit. Wird der Welt-Radsport-Verband, dem ja seit Jahren nachgesagt wird, dass er mit Armstrong gekungelt habe – da geht es darum, dass er wo möglich Doping-Praktiken unterstützt habe, davon gewusst habe zumindest oder sie gar gedeckt habe. Wenn das rauskommt, dann wäre das tatsächlich eine erdrutschartige Entwicklung für einen Weltsportverband, denn das wäre in der Tat einmalig. Das hat es bisher in dieser drastischen Form noch nicht gegeben, dass man quasi dann Belege, Beweise hat von der entscheidenden Person, die darüber aussagt, dass hochrangige Spitzenfunktionäre ihn beim Doping quasi gedeckt haben. Wenn das rauskommt, dann wäre das natürlich ganz klar mit personellen Konsequenzen, oder zumindest mit der Forderung nach personellen Konsequenzen verbunden, allen voran Hein Verbruggen, der bis 2005 der Präsident der UCI war über gut zwei Jahrzehnte, genauso wie Pat McQuaid, der seit 2005 im Amt ist, sein Nachfolger, dem ja auch nachgesagt wird, dass er das Problem eher verharmlost hat. Aber nicht nur die UCI muss fürchten, auch beispielsweise der Eigner des Teams von Lance Armstrong, Thom Weisel, ein Kalifornier, von dem es auch heißt, er habe sehr viel mehr gewusst, als bisher erzählt worden ist. Auch er muss also jetzt befürchten, dass es ihm richtig jetzt dreckig gehen könnte, was die Ermittlungen der USADA, der Welt-Antidoping-Agentur, und auch des Justizministeriums betreffen und vor allem eben der Aussagen von Lance Armstrong.
Schulz: Die Frage ist natürlich schon oft gestellt worden. Wir haben jetzt noch eine knappe Minute, deswegen auch an dieser Stelle noch mal. Dieses Geständnis, ist das eine Chance auf einen Neustart im Radsport?
Seppelt: Diese Frage ist in der Tat häufig gestellt worden und ich glaube, dass tatsächlich es natürlich klar davon abhängt, wie substanziell das ist, was er dann am Freitag erzählen wird. Es ist dann eine Chance für einen Neuanfang, wenn tatsächlich rauskommen sollte, dass die UCI, was alle sowieso schon längst geglaubt haben, da ein Teil dieses Vertuschungssystems gewesen ist. Wenn das so ist und dann personelle Konsequenzen gezogen werden, dann bedeutet dieses, dass der UCI-Präsident gehen muss, dass sein Vorgänger aus dem IOC rausgeschmissen wird. Das müsste die zwangsläufige Konsequenz sein. Und dann in der Tat, wenn im Sportsystem neue Köpfe was zu sagen haben, wenn dort neue Leute sind – und da gibt es ja entsprechende Forderungen -, dann kann ich mir vorstellen, dass im Radsport endlich das passiert, was seit Jahren passieren muss, nämlich dass Konsequenzen gezogen werden, glaubwürdige, und dass es einen Neuanfang gibt.
Schulz: Der ARD-Doping-Experte Hajo Seppelt hier heute in den "Informationen am Morgen". Danke für diese Einschätzungen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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Spätes Geständnis - US-Medien: Lance Armstrong räumt Doping ein
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Hajo Seppelt: Guten Morgen.
Schulz: Herr Seppelt, jahrelang hat Lance Armstrong alle Doping-Vorwürfe bestritten. Jetzt gesteht er sie offenbar ein. Warum?
Seppelt: Ja, das ist in der Tat eine komplette Kehrtwende. Aber die hat sicherlich nichts damit zu tun, dass es plötzlich ein reuiger Sünder ist, dass hier ein Saulus zum Paulus geworden ist. Es hat mit Sicherheit mit Kalkül, mit Strategie zu tun. Der, der diesen Fall seit Jahren beobachtet, der weiß, dass bei ihm alles Programm ist, dass alles immer einen Hintergrund hat, und so ist es auch diesmal. Das US-Justizministerium hat ja mit ihm oder vor allem seinen Beratern umfangreiche Sondierungsgespräche geführt in den letzten Wochen. Dabei ging es um die Frage, ob ihm wo möglich noch ein weiterer Prozess drohen könnte, zum Beispiel wegen Betrugs. Und Armstrong hat offensichtlich da so eine Art Deal erzielt. Es gibt in den USA ein spezielles Gesetz, das ist der Whistleblower Act, eine Art Informantengesetz, und das führt dazu, wenn Leute aussagen, Personen Aussagen in Fällen, in denen es um einen Schaden an staatlichen Organisationen geht, also in diesem Fall die Post der USA, US Postal – das ist ja der Radsport-Sponsor gewesen über mehrere Jahre vom Team Armstrongs -, und wenn es darum geht, Schadenersatzforderungen zu erheben, und es gibt jemand, der als Whistleblower, als Informant dort Informationen weitergibt, dann kann sogar derjenige davon profitieren, bekommt bis zu 30 Prozent der Schadenersatzsumme dann auf sein Konto. Also es könnte sogar am Ende sein, dass Armstrong hier eher der Profiteur, denn der Verlierer ist. Außerdem spekuliert er darauf, dass er wo möglich eine reduzierte Sportsperre bekommt. Der inzwischen über 40-Jährige will ja an Triathlon-Wettkämpfen, an offiziellen Triathlon-Wettkämpfen teilnehmen, er ist aber lebenslang gesperrt für jeden Sport unter dem Dach des IOC, und insofern ist es für ihn jetzt vielleicht die Chance, diese Strafe zu reduzieren, möglicherweise ein oder zwei Jahre nur zu bekommen. Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, dass die US-Antidoping-Agentur sich auf diesen schmutzigen Deal einlässt.
Schulz: Heißt aber auch, dass, wenn er jetzt zum Rundumschlag ausholt, Funktionäre schon zittern müssen?
Seppelt: Funktionäre müssen mit Sicherheit zittern, denn er hat zwar ankündigen lassen, wie zu vernehmen war, dass er keine Athleten-Namen nennen wird, also keine von Mitfahrern, die wo möglich auch gedopt haben, aber er will wohl Sportfunktionäre belasten, und das ist eigentlich die sportpolitisch entscheidende Dimension bei dieser ganzen Angelegenheit. Wird der Welt-Radsport-Verband, dem ja seit Jahren nachgesagt wird, dass er mit Armstrong gekungelt habe – da geht es darum, dass er wo möglich Doping-Praktiken unterstützt habe, davon gewusst habe zumindest oder sie gar gedeckt habe. Wenn das rauskommt, dann wäre das tatsächlich eine erdrutschartige Entwicklung für einen Weltsportverband, denn das wäre in der Tat einmalig. Das hat es bisher in dieser drastischen Form noch nicht gegeben, dass man quasi dann Belege, Beweise hat von der entscheidenden Person, die darüber aussagt, dass hochrangige Spitzenfunktionäre ihn beim Doping quasi gedeckt haben. Wenn das rauskommt, dann wäre das natürlich ganz klar mit personellen Konsequenzen, oder zumindest mit der Forderung nach personellen Konsequenzen verbunden, allen voran Hein Verbruggen, der bis 2005 der Präsident der UCI war über gut zwei Jahrzehnte, genauso wie Pat McQuaid, der seit 2005 im Amt ist, sein Nachfolger, dem ja auch nachgesagt wird, dass er das Problem eher verharmlost hat. Aber nicht nur die UCI muss fürchten, auch beispielsweise der Eigner des Teams von Lance Armstrong, Thom Weisel, ein Kalifornier, von dem es auch heißt, er habe sehr viel mehr gewusst, als bisher erzählt worden ist. Auch er muss also jetzt befürchten, dass es ihm richtig jetzt dreckig gehen könnte, was die Ermittlungen der USADA, der Welt-Antidoping-Agentur, und auch des Justizministeriums betreffen und vor allem eben der Aussagen von Lance Armstrong.
Schulz: Die Frage ist natürlich schon oft gestellt worden. Wir haben jetzt noch eine knappe Minute, deswegen auch an dieser Stelle noch mal. Dieses Geständnis, ist das eine Chance auf einen Neustart im Radsport?
Seppelt: Diese Frage ist in der Tat häufig gestellt worden und ich glaube, dass tatsächlich es natürlich klar davon abhängt, wie substanziell das ist, was er dann am Freitag erzählen wird. Es ist dann eine Chance für einen Neuanfang, wenn tatsächlich rauskommen sollte, dass die UCI, was alle sowieso schon längst geglaubt haben, da ein Teil dieses Vertuschungssystems gewesen ist. Wenn das so ist und dann personelle Konsequenzen gezogen werden, dann bedeutet dieses, dass der UCI-Präsident gehen muss, dass sein Vorgänger aus dem IOC rausgeschmissen wird. Das müsste die zwangsläufige Konsequenz sein. Und dann in der Tat, wenn im Sportsystem neue Köpfe was zu sagen haben, wenn dort neue Leute sind – und da gibt es ja entsprechende Forderungen -, dann kann ich mir vorstellen, dass im Radsport endlich das passiert, was seit Jahren passieren muss, nämlich dass Konsequenzen gezogen werden, glaubwürdige, und dass es einen Neuanfang gibt.
Schulz: Der ARD-Doping-Experte Hajo Seppelt hier heute in den "Informationen am Morgen". Danke für diese Einschätzungen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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