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Sportler bei Protesten gegen Corona-Maßnahmen
Prominente Werbeträger für Verschwörungsmythen

Eine diverse Bewegung mit Verschwörungserzählern und Rechtsextremen lehnt die Corona-Maßnahmen in Deutschland ab und geht dagegen auf die Straße. Drei Sportler sind zu wichtigen Köpfen der Bewegung geworden: Alexandra Wester, Joshiko Saibou und Thomas Berthold.

Von Maximilian Rieger |
Ex-Fußballnationalspieler Thomas Berthold bei einer Großdemonstration am 29.08.2020 in Berlin gegen die bestehenden Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie. Wegen Nichteinhaltung der polizeilichen Auflagen wurde die Demonstration durch die Polizei beendet.
Ex-Fußballnationalspieler Thomas Berthold bei der Demo gegen die Corona-Maßnahmen am 29. August 2020 in Berlin (imago images / Future Image)
"Macht einen donnernden Applaus für den Basketballer Joshiko Saibou, für die Leichtathletin Alexandra Wester und für den Fußball-Weltmeister Thomas Berthold!"
Berlin, gestern Nachmittag. Unter dem Applaus von tausenden Menschen betreten Alexandra Wester, Joshiko Saibou und Thomas Berthold die Bühne der Querdenken-Initiative. Die Initiative veranstaltet seit Wochen in ganz Deutschland Demos gegen die Corona-Maßnahmen – und verharmlost dabei das Coronavirus, an dem laut Weltgesundheitsorganisation mehr als 800.000 Menschen gestorben sind.
Wester und Saibou hatten Anfang August die erste große Demo in Berlin besucht, ohne Mundschutz. Saibous Verein, die Baskets Bonn, kündigt ihm daraufhin fristlos – weil sein Verhalten ein Infektionsrisiko darstelle, so der Club. Saibou und seine Freundin Wester glauben aber, dass seine Meinung Grund für die Kündigung gewesen sei:
"Auch Joshiko und ich mussten im Leistungssport dafür einbüßen, dass wir die aktuellen Regierungsmaßnahmen hinterfragt haben. Wenn du als Sportler eine Meinung hast, die nicht dem Mainstream entspricht, dann kriegst du ganz oft zu hören: Als Sportler hast du eine Vorbildfunktion. Oh ja, dessen bin ich mir bewusst. Ich bin nämlich Vorbild, mir eben nicht alles gefallen zu lassen."
Weitspringerin Alexandra Wester bei ihrem Erfolg beim Hallen-ISTAF in Berlin 2016.
Weitspringern Alexandra Wester (hier beim Hallen-ISTAF 2016 in Berlin) unterstützt die Querdenker-Bewegung. (imago/sportfoto/Matthias Koch)
Das, was Wester im Schatten der Siegessäule als Meinung "Abseits des Mainstreams" bezeichnet, sind in ihrem Fall auch Verschwörungserzählungen. In ihren Instagram-Stories verbreitet Wester seit Monaten die Ideen der Q-Anon-Bewegung. Q-Anons glauben, dass US-Demokraten, Banken und Medien sich verschworen haben – eine Erzählung, die an antisemitische Stereotype anknüpft. Die Verschwörung soll Kinder in Gefängnissen halten und ihnen ein körpereigenes Hormon abzapften – für die "Eliten". Beweise gibt es dafür keine – trotzdem glauben immer mehr Menschen dieser Erzählungen. Was auch daran liegt, dass Prominente wie Xavier Naidoo oder Wester diese kruden Ideen verbreiten, meint Katharina Nocun, Mit-Autorin des Buches "Fake Facts – Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen.":
"Problematisch ist natürlich: Viele Menschen haben ein Vertrauensverhältnis zu Prominenten. Das heißt, wenn ich einen Sänger gut finde, einen Sportler gut finde, dann bin ich vielleicht eher bereit, auf einen Link zu klicken, auf eine Argumentation einzugehen, die ich sonst eher als absurd abtun würde."
US-Präsident am 18. April 2018 bei einer "Make America Great Again" Veranstaltung in Washington Township, Michigan, USA
Verschwörungsmythen - Die Bewegung „QAnon“ wird zur Religion
Korrupte Eliten foltern unterirdisch Kinder, das Coronavirus ist eine Bio-Waffe und Donald Trump der Erlöser. Die Verschwörungserzählungen von "QAnon" bedienen alte Muster und Feindbilder. Vor allem weiße Trump-Fans fühlen sich angesprochen, doch die Digitalsekte wächst auch außerhalb der USA.
"Querdenker" freuen sich über prominente Unterstützung
Auch die Organisatoren von Querdenken wissen, wie wichtig prominente Köpfe sind – das zeigt die Freude eines Veranstalters, als Thomas Berthold vor drei Wochen auf einer Demo in Stuttgart spricht:
"Und das wir jetzt einen bei uns haben, der einfach als Gesicht bekannt ist, der die Prominz hat, wo die Menschen damit erreicht werden, das bedeutet uns sehr viel."
Kaum verwunderlich, dass sowohl Berthold als auch Wester und Saibou in einem kurzen Video auftauchen, mit dem die Initiative die Demo gestern in Berlin beworben hat. In dem Video distanziert sich der Veranstalter von Rassismus – und sollten doch Rechtsradikale kommen, solle man die nicht beachten.
"Ich würde fünf Rechtsradikalen, die an einer Demo teilnehmen, überhaupt keine Aufmerksamkeit und Plattform schenken", meint Berthold. Der Weltmeister von 1990 scheint aber selber keine Berühungsängste mit Rechtsradikalen zu haben.
Thomas Berthold im Gespräch mit einem antisemitischen Blogger
Kurz nach seinem Auftritt in Stuttgart spricht er mit Oliver Janich, einem Blogger, der auf Youtube teils antisemitische Erzählungen verbreitet und in seinem Telegram-Kanal sagt, dass viele Leute, die heute an der Macht sind, eigentlich aufgehängt gehören. Janich spricht Berthold auch auf seine Tätigkeiten als TV-Experte für Sport1 und RTL an:
"Es ist ja zu erwarten, dass die Presse noch mehr auf dich einschlägt und du bist ja auch immer wieder als Moderator oder als Gesprächspartner gefragt, ich weiß nicht, ob du da aktuell einen festen Vertrag hast, befürchtest du da Nachteile?"
"Ich habe nie festen Verträge gehabt, Oliver. Du, wenn es so ist, bin ich bereit, auch die Konsequenzen zu tragen. Also ich habe da kein Problem mit."
Ex-Nationalspieler vertritt Positionen von Reichsbürgern
Das Gespräch druckt auch das Compact-Magazin ab, das der Verfassungsschutz als Verdachtsfall einstuft – weil das Blatt revisionistische, verschwörungstheoretische und fremdenfeindliche Motive bediene. Auch Berthold selbst äußert im Gespräch mit den Querdenkern Positionen, die teils von Reichsbürgern vertreten werden:
"Japan und Deutschland sind keine souveränen Staaten. Wir leiden noch unter den Kriegsfolgen, das ist so. Und bei weltpolitischen Angelegenheiten spielt auch Deutschland keine Rolle. Wir spielen immer nur eine Rolle in der EU, wenn es darum geht, zu zahlen. Aber sonst sind wir nur Nebenakteur."
Berthold ignoriert dabei, dass im 2-plus-4-Vertrag 1990 explizit die Souveränität Deutschlands festgeschrieben wurde. Bei seinen Auftritten verbreitet Berthold zudem unwissenschaftliche Thesen. Er warnt zum Beispiel davor, Masken zu tragen, obwohl Studien zeigen, dass Masken bei richtiger Anwendung das Virus eindämmen können. Zudem meint Berthold, das Coronavirus sei nicht gefährlicher als andere Krankheiten und führt als Beweis an, dass es in Deutschland nicht mehr Menschen als sonst gestorben seien. In Ländern wie Spanien, Frankreich oder Belgien ist aber eine Übersterblichkeit deutlich erkennbar.
Die Aussagen des bekannten Fußballers werden trotzdem fleißig geteilt – gefährlich, meint Expertin Katharina Nocun:
"Gerade beim Thema Gesundheit muss man sagen: Das ist kein Spaß. Wer nicht glaubt, dass das Virus existiert oder dass es gefährlich ist, der gefährdet durch sein Verhalten womöglich sich und andere."
Aktive Sportler*innen könnten aus Kader gestrichen werden
Je nachdem, wie stark die Aussagen auch das eigene Verhalten beeinflussen, könnten aktive Sportlerinnen wie Wester deswegen auch aus Nationalmannschaften oder Olympia-Kader fliegen, meint Wolf-Dietrich Walker, Professor für Sportrecht an der Uni Gießen:
"Allein der Umstand, dass ein Sportler Verschwörungstheorien erzählt, wird nicht dazu reichen, um ihn aus dem Kader auszuschließen. Aber wenn ein Sportler das damit verbindet, sich nicht an Hygienevorschriften zu halten und damit andere gefährdet, oder sich imageschädigend verhält, dann ist das möglich, zu sagen, das ist einem Verband nicht zumutbar, den im Kader zu haben."
DLV hatte sich von Westers Ansichten distanziert
Grundlage hierfür seien die Athletenvereinbarungen, die die Verbände und der Deutsche Olympische Sportbund mit den Sportlerinnen und Sportlern abschließen. Über einen möglichen Ausschluss würde dann die Verbandsspitze entscheiden, in Westers Fall also das Präsidium des Deutschen Leichtathletik Verbandes. Der Verband hatte sich von Westers Ansichten distanziert, sonst hatte es aber keine Konsequenzen gegeben – für Walker nachvollziehbar:
"Im konkreten Fall Wester war der Verband gut beraten nichts zu unternehmen, weil der der Fall Wester nicht direkt Einfluss auf den Verband hatte."
Das könnte sich aber ändern, wenn Wester an Wettkämpfen teilnehmen würde:
"Wenn das beispielsweise so ist, dass ein sportlicher Wettbewerb stattfindet, ausgerichtet vom Verband, und der Athlet sich im Rahmend des Wettbewerbs weigert, an die Hygienevorschriften zu halten, und vielleicht noch zum Ausdruck bringt, dass er sich auch in Zukunft nicht daran halten wird, dann könnte die Schwelle überschritten sein."
Auf Wester trifft das nicht zu, sie hat wegen einer Verletzung und Corona seit Monaten keinen Wettkampf mehr bestritten. Auf Instagram hat sie dennoch im Mai noch geschrieben, dass Olympia ihr Ziel sei – sollte sie die Norm schaffen, könnte auf den DLV eine komplizierte Entscheidung zukommen.