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Sportliche Bewertung
Standards und Disziplin als WM-Trends 2018?

Früher waren Weltmeisterschaften die großen Trendsetter, eine Art Weltmesse der Taktik und der Innovation. Das ist schon seit vielen Jahren vorbei. Was aber bleibt von der WM 2018: Abwehr-Disziplin und Tore nach Standards?

Von Matthias Friebe |
    Achtelfinale Kolumbien - England im Spartak-Stadion. Harry Kane aus England (oben) trifft per Elfmeter gegen Torwart David Ospina (r) aus Kolumbien zum 0:1.
    Sind Tore per Standards wie hier beim Elfmeter vom Engländer Harry Kane gegen Kolumbien das, was von der WM 2018 bleibt? (picture alliance/dpa - Christian Charisius)
    Die Fußball-Weltmeisterschaft 2018 lebt von der Spannung. "Hier gibt es viele Teams, die auf dem gleichen Niveau spielen. Es ist sehr schwierig, die Ergebnisse vorherzusagen", bilanziert Marco van Basten, technischer Direktor der FIFA.
    WM-Partien sind besonders ausgeglichen
    Er ist Teil der sogenannten Technical Study Group, einer Bewertungskommission, die aus den Eindrücken dieser WM einen Bericht erstellt zum Ist-Zustand des Fußballs. Eine der zentralen Erkenntnisse: Die Spiele sind ausgeglichen wie selten.
    "Die Balance des Wettbewerbs war wirklich spannend. Kleine Länder konnten wirklich groß auftreten hier", sagt Andrew Roxburgh, früherer schottischer Nationaltrainer.
    Lob für taktische Flexibilität
    "Am meisten beeindruckt hat mich die taktische Flexibilität, die wir gesehen haben, von Spiel zu Spiel, aber auch innerhalb der Spiele. Dazu das hoch intensive Pressing, was wir den Pep-Guardiola-Effekt nennen."
    Der Effekt eines Trainers, der gar nicht bei der WM dabei war. Schon als Coach in Barcelona und München und jetzt bei Manchester City ist er aber nach wie vor stilprägend.
    "Er hat einen Einfluss auf viele Spieler und Trainer. Das Spiel zeichnet sich durch den Aufbau von hinten und das Spiel in der Mitte aus, sodass du viel Ballbesitz hast."
    Enge Abwehrreihen
    Dem widerspricht allerdings der Eindruck, dass vor allem die Teams, die auf Ballbesitz gesetzt haben wie Deutschland oder Spanien früh nach Hause mussten. Balance sei hier das Zauberwort, so Marco van Basten. Es gehe darum, wie weit man sein eigenes Spiel öffne und so dem Gegner räume erlaube. Der Niederländer war früher selbst Stürmer.
    "Die Abwehrreihen waren so eng, dass es keinen Platz gab, um an den Ball zu kommen oder nur eine Sekunde zu haben für eine Torchance. Das ist typisch für dieses Turnier."
    Diese defensiven Bollwerke sind wohl der wahrnehmbarste Unterschied zum Vereinsfußball. Man müsse diese Entwicklung des Fußballs aber akzeptieren.
    "Es wird auch darauf eine Antwort geben. Aber Tatsache ist, die Quadratmeter für das Spiel werden immer weniger. Das heißt die Spieler müssen physisch und technisch noch stärker werden."
    Neutrale Fans möglicherweise weniger interessiert
    Den Vorwurf, das Niveau der Spiele sei aber ob dieses defensiven Bollwerks schlechter geworden, den weist Marco van Basten zurück:
    "Vielleicht, wenn Sie ein neutraler Fan sind, dann sind sie vielleicht weniger interessiert. Aber, wenn Sie die Menschen hier in Russland sehen, der Großteil ist sehr glücklich mit dem Niveau der Spiele."
    In Zahlen leicht belegbar, überdurchschnittlich viele Tore fallen bei dieser WM durch Standardsituationen, nach Freistößen oder Ecken.
    "In der letzten Champions League brauchte es 45 Ecken für ein Tor. Bei diesem Turnier sind es nur 30 Ecken für ein Tor, das zeigt eine enorme Effizienz", rechnet Andrew Roxburgh vor. Und das hat, nach Beobachtung der FIFA, auch einen Grund. Der Einsatz des Video-Schiedsrichters:
    Videoschiedsrichter sorgt für Fairness im Strafraum
    "Es gibt kein Halten mehr im Strafraum, keine Tricksereien. Sie wissen, dass sie bestraft werden. Ich glaube, der Video-Assistent hat einen massiven Effekt und wird auch zu einer weiteren Entwicklung des Spiels in der Zukunft führen."
    Glaubt Carlos Alberto Parreira. Der frühere brasilianische Trainer leitet die Bewertungskommission. Eine Sache ist für ihn aber auch 2018 noch immer unveränderbar. Trotz Struktur und defensiver Disziplin brauche es vor allem eins:
    Mit Talent gegen den Defensivtrend
    "Talent ist immer noch die größte Waffe, die ein Fußball-Team haben kann. Natürlich helfen dir Taktik und System, das Tempo oder auch die Vorbereitung. Aber Talent ist immer noch das Entscheidende."
    Ein genialer Moment von Kylian Mbappé oder Luka Modric könnte demnach also das WM-Finale entschieden, ein Spiel, für das aber wohl dasselbe gilt wie schon für das ganze Turnier, meint Marco van Basten:
    "Ein Finale zu spielen ist immer etwas Besonderes. Kleine Situationen werden den Unterschied machen. Es ist wie immer schwer vorherzusagen, was passieren wird."