Hat die Deutsche Telekom bei der Etablierung ihres Radrennstalls Anfang der Neunziger Jahren Doping quasi mit in Auftrag gegeben? Was hat der Sponsor über die Jahre gewusst? Das ist eine der zentralen Fragen, mit der sich das jüngst veröffentlichte Gutachten beschäftigt, in dem es beispielsweise heißt:
"Manches spricht nach den Recherchen der Evaluierungskommission Freiburger Sportmedizin dafür, dass Doping gewissermaßen zum Auftrag bei der Neuaufstellung des Team Telekom gehörte und dass Mitarbeiter des Konzerns ein Doping-Team zunächst initiieren ließen, dass dann in der Folge buchstäblich selbstbewegend deviant weiteragieren konnte. Fast alles spricht auch dafür, dass dieses Dopingsystem in Absprache mit Joseph Keul installiert wurde."
Während für den Beginn des Radsponsorings noch eine Vermutung zum Ausdruck kommt, könne für die Endphase ab 2006 dagegen gesagt werden,
"dass da im Konzern eigentlich recht sicheres Wissen vorhanden war und auch nachweisbar ist, dass mit der sportmedizinisches Betreuung irgendwas nicht in Ordnung war und dass da ein Erpressungspotenzial von Seiten Jan Ullrich bestanden hat. Das ist nun beweisbar",
sagt Andreas Singler, Autor des Gutachtens. Telekom-Sprecher Stephan Althoff widerspricht dem vehement:
"Wir wissen von dem systematischen Doping seit 2007, wir kennen es im Prinzip seit dem Outing von Rolf Aldag und Erik Zabel, das war 2007. Vorher haben wir als Unternehmen nichts von dem systematischen Doping gewusst. Es hat uns alles sehr überrascht. Insbesondere, wenn man die Ärzte auch kennt und mit denen ja über Jahre zusammengearbeitet hat. Das war dann auch schon ein Schlag ins Gesicht fürs Unternehmen."
"Vorwurf absurd"
Auch der Vorwurf der Mitwisserschaft von Beginn an, sei absurd, so Althoff. Aber geht die Deutsche Telekom gegen das Gutachten auch juristisch vor?
"Singler sagt ja nicht, wir wussten das. Sondern Singler sagt, er glaubt, dass er Indizien dafür hat, dass wir es wussten und das ist ja dann die Frage, ist so etwas justiziabel? Und genau das müssen sich jetzt unsere Juristen anschauen und dann müssen wir das in aller Ruhe entscheiden."
Von der Universität Freiburg, die das Gutachten veröffentlicht hat, heißt es dazu:
"Die Universität Freiburg hält es für außerordentlich wichtig, dass das vorliegende Gutachten die Geschehnisse rund um das Team Telekom/T-Mobile in der Freiburger Sportmedizin wissenschaftlich aufarbeitet und zu weiterführenden Einsichten und Schlussfolgerungen kommt. Insofern bedeutet jedes weitere Gutachten ein Erkenntnisfortschritt."
"Gutachten ist Privatangelegenheit"
Aber wie viel Erkenntnis steckt wirklich da drin? Das Bemerkenswerte an dieser Veröffentlichung: Diese wurde nicht von der im März demissionierten Evaluierungskommission genehmigt. Weiter noch, es gehörte gar nicht zum Auftrag der Kommission, sagt dessen ehemaliger stellvertretender Vorsitzender, der Forensiker Hellmut Mahler:
"Dieses Gutachten ist die Privatangelegenheit von Herrn Dr. Singler und von der Universität Freiburg. Das gehört nicht zum Begutachtungsumfang der Kommission, und das ist eine Entscheidung dieser beiden Parteien."
Hellmut Mahler hat die 208 Seiten erst gar nicht gelesen. Aber andere Mitglieder der letzten Kommissionszusammensetzung, die diese kennen, distanzieren sich von dem Inhalt mit dem Hinweis, dass es sich um Spekulationen handele und keine wissenschaftliche Arbeit, weil die Belege fehlten.
Grundsätzlich sei die Veröffentlichung von Erkenntnissen, die in den 8,5 Jahren gesammelt wurden zu begrüßen, betont der Heidelberger Sportpädagoge Prof. Gerhard Treutlein, ebenfalls ehemaliges Kommissionsmitglied:
"Das macht schon sehr wohl Sinn, aber das hätte man schon besser machen können, wenn offen und ehrlich mit den verbliebenen Kommissionsmitgliedern gespielt worden wäre."
Gerhard Treutlein und die fünf anderen Mitglieder Perikles Simon, Fritz Sörgel, Hans Hoppeler sowie die Vorsitzenden Letizia Paoli und Hellmut Mahler kritisierten immer wieder den schleppenden Zugang zu den Akten, die unter anderem in den Privaträumen einer Angestellten lagerten und deren Zugang sie sich hätten mit kriminologischen Mitteln erkämpfen müssen. Mahler vermutet dahinter zum einen eine mögliche Unerfahrenheit der Uni im Umgang mit einem solchen Kommissionsauftrag, bei dem es mehr Mittel und Personal bedurft hätte.
"Das andere ist, dass es sich im Laufe der Jahre mir einen Eindruck vermittelt hat, den ich vorher nie für möglich gehalten hätte, in meiner ganzen beruflichen Laufbahn nicht, dass es da noch weitere Interessen gibt im Umfeld von Freiburg, die eine Aufklärung gezielt erschweren oder verhindern sollten. Die müssen jetzt nicht direkt aus der Universität kommen, aber dieser Eindruck, den hatte ich im Laufe der Jahre und das wurde immer mehr."
Professor Keul im Fokus
Was bleibt, ist ein fragmentarisches Bild von dem, was in der Freiburger Sportmedizin bis ins Jahr 2007 passierte. Eine Ahnung, dass dort nicht nur Sportler aktiv gedopt wurden, sondern, dass dort unter dem als Koryphäe geltenden und im Jahr 2000 verstorbenen Professor Joseph Keul wohl auch keine gute Wissenschaft praktiziert wurde.
"Keul hat ein System etabliert, dessen Aufgabe tatsächlich, wenn man es einfach formuliert, war, die Sportler fitter zu machen für Medaillen. Das ist vielleicht auch sein Verständnis von Sportmedizin gewesen. Das hat mit der reinen Lehre, mit der Wissenschaft erstmal nicht viel zu tun."
Statt Wissenschaft also aktive Dopinghilfe, ein politisch gewollter Auftrag?
"Das sind auch andere Strukturen, die das Ganze befördert haben, politische Strukturen, deren Intention dann allerdings wahrscheinlich erfüllt wurde, wenn es darum ging, Sportlern eine Stätte zu schaffen, bei der ihnen geholfen wird mehr Medaillen zu produzieren, dann ist die Aufgabe der Politik da erfüllt worden."
Mit dem Schaden, dass es viele Opfer gibt, vor allem erst einmal Sportler, die für Medaillen langfristig krank gespritzt wurden, daneben sieht Hellmut Mahler auch weitere Opfer:
"Es ist die Wissenschaft selbst, die Wissenschaftler, die kein Vorankommen hatten, weil sie sich diesem System, diesem Diktat nicht unterworfen haben. Und es sind auch die Wissenschaftler Opfer, die Arbeiten bekommen haben, die keinen hohen wissenschaftlichen Wert haben. Das kann ein Student der Medizin nicht erkennen in so einem frühen Zeitpunkt, dass ihm da eine Doktorarbeit offeriert wird, deren wissenschaftlicher Wert zweifelhaft ist und dass das deshalb geschieht, weil die Prämisse des Institutsleiters eine ganz andere als die wissenschaftliche."
Die Veröffentlichung zum Doping bei der Telekom von Andreas Singler aus der vorvergangenen Woche spielt entsprechend in der Gesamtbetrachtung nur eine Rolle am Rand. Was die Erkenntnisse aus der jahrelangen Kommissionsarbeit betrifft, so wollen die ehemaligen Mitglieder der letzten Kommission diese der Allgemeinheit in jedem Fall noch zur Verfügung stellen, wie und wann ist noch nicht klar.