Eigentlich sollte der Grundschulsport die zentrale Instanz sein, um Kinder und Jugendliche auf die außerschulische Sport- und Bewegungswelt vorzubereiten. Will sagen: Der Grundschulsport sollte eine Art motorischer Grundkompetenz vermitteln, um überhaupt an der ganzen Vielfalt dieser Bewegungs-, Spiel- und Sportkultur teilhaben zu können. Die schnöde Wirklichkeit sieht allerdings anders aus, sagen Experten wie Philip Julius von der Universität Kassel.
"Definitiv ist das eine katastrophale Situation! Wir sind auch an Grundschulen, wo die räumlichen Voraussetzungen katastrophal sind zum Teil, wir bringen unsere Bälle mehr oder weniger auch selber mit, mit denen wir arbeiten."
Viele Schüler verknüpfen schlechte Erfahrungen mit Schulsport
Auf ihrer Jahrestagung in Hannover schlagen die Sportpädagogen Alarm: Noch immer verknüpfen viele Kinder und Jugendliche ihren Schulsport mit überwiegend schlechten Erfahrungen: Da fallen Stunden aus, da fehlen mit den Räumlichkeiten auch die didaktischen Konzepte – was kein Wunder ist, denn an vielen Grundschulen wird noch immer fachfremd unterrichtet.
"Und dem entsprechend versuchen wir, da quasi ein alternatives Programm noch anzubieten, um eben genau nicht das zu erreichen, dass die Kinder sagen: Ich verbinde mit Sport 'ne volle Halle, wo wir kaputte Bälle haben und einmal die Woche schwitzen sollen, und das war´s!"
Ein Projekt animiert zu mehr Bewegung in der Freizeit
Dribbeln, Passen, Werfen: Die Forschergruppe um Julius lockt den Nachwuchs mit Ballspielen in Schule und Freizeit. In Kooperation mit dem Handball Bundesligisten MT Melsungen sowie aktuell 12 Grundschulen wurde ein regionales Ballsportzentrum aufgebaut. Das Projekt "ballstars" bringt einerseits den Kindern zusätzliche Bewegung in der Freizeit, ermöglicht den Wissenschaftlern zugleich aber auch die systematische Erfassung der motorischen, technischen und taktischen Fortschritte der Probanden. Das ist mehr als reine Talentförderung, versichert Julius:
"Die Absicht ist eigentlich, Kinder dazu zu bringen, auch wieder im freizeitsportlichen Bereich mehr Sport zu treiben."
Gefühltes Übergewicht als Sorgenquelle
Zentrales Thema auch dieser Konferenz in Hannover ist die Ausbildung der Sportlehrkräfte. Empathie ist hilfreich im Zusammenhang. Ein Reizthema unter anderen: Wie gelingt der inklusive Sportunterricht? Sebastian Ruin von der Deutschen Sporthochschule Köln dazu:
"Ich glaube, dass man an gewisse Grundfesten von Sportunterricht vielleicht rangehen muss. Also wenn ich ein Verständnis von Körper als ein funktionales Objekt hab, das an normierte Bewegungsausführung herangebracht werden muss, dann wird das sicherlich – das liegt auf der Hand – für gewisse Klientel schwierig!"
Doch das Unbehagen im Sportunterricht kann auch auf einer falschen Wahrnehmung des eigenen Körpers und der eigenen Fähigkeiten beruhen. Elke Grimminger-Seidensticker untersucht mit Forscherkollegen das Phänomen des gefühlten Übergewichts. Auf immerhin 25 Prozent schätzt sie den Anteil jener Kinder, die normal- oder sogar untergewichtig sind, sich aber als zu dick fühlen. In ihrer Studie kann die Professorin für Sportdidaktik an der TU Dortmund nachweisen …
"... dass Kinder mit gefühltem Übergewicht höhere sportunterrichtsbezogene Sorgen aufweisen und das bedeutet, sie wünschen sich eher Situationen, in denen sie nichts vormachen müssen, in denen sie Körperkontakt vermeiden können, in denen eben der Körper nicht im Fokus steht."
Bewegung hilft beim Lernen
Kognitionswissenschaftler preisen den Vorteil von Bewegung: Das menschliche Gehirn lernt vom Körper und erinnert sich besser, wenn Aktivität in den Lernprozess eingebaut ist. Michael Kolb, Professor für Bewegungs- und Sportpädagogik an der Universität Wien kennt die vielen Klagen über die schwindenden motorischen Kompetenzen, er gibt aber zu bedenken:
"Diese Beobachtung der Älteren an die Jüngeren, dass die Jüngeren immer schlechter werden gibt's eigentlich seit den alten Griechen, das ist ein pädagogischer Topos über die Generationen hinweg. Die Schule ist sicherlich kein bewegungsfreundlicher Raum, und alles, was dazu dient, diese Sitzzeiten zu minimieren, ist bestimmt förderlich für die Kinder. Die tägliche Sportstunde ist eine lange Forderung auch der Bewegungs- und Sportpädagogik."
Die tägliche Sportstunde als Pilotprojekt
Im österreichischen Burgenland gibt es die tägliche Sportstunde schon. Sport- und Bildungsministerium finanzieren das Pilotprojekt. Eigens geschulte und bei den Sportdachverbänden angestellte Lehrkräfte organisieren in den Schulen zusätzlich zum normalen Sportunterricht Bewegungspausen und Einheiten am Nachmittag.
Interview-Studien mit einzelnen Akteuren, der Einsatz von Videokamera und Tablet im Unterricht: Auch darüber diskutieren sie auf ihrer Tagung in Hannover. Was aber müssen angehende Sportlehrkräfte eigentlich wissen, um ihren Beruf zu meistern? Michael Kolb sagt:
"Die Grundkompetenz aus meiner Sicht ist: Schau, was da draußen in der Sport- und Bewegungswelt los ist, versuche das auch aufzunehmen und schau, wie Du das an Kinder- und Jugendliche irgendwie heranbringst und ihnen zeigst einfach diese Vielfalt dieser Bewegungs- und Sportkultur, nicht eine Monokultur von wenigen einzelnen Sportarten. Ich glaube, es geht um Anschlussfähigkeit, mit offenen Augen durch die Welt gehen und schauen, was sich verändert und was man noch Neues einbringen kann – auch noch mit 60 oder 65!"