Eigentlich sollte die Hymne der UEFA Champions League in dieser Saison nicht mehr in Budapest erklingen. Der heimische Verein Ferencváros war nach achtbaren Leistungen in der Gruppenphase ausgeschieden. Doch plötzlich kehrte der internationale Fußballzirkus in die Hauptstadt Ungarns zurück. Insgesamt sechs Champions- und Europa-League-Partien wurden seit Beginn des Jahres in Budapest ausgetragen, zwei weitere sind bereits geplant. Alle ohne Beteiligung einer ungarischen Mannschaft.
Aber das stört Ministerpräsident Viktor Orbán nicht, denn auch die Ausrichtung der Spiele dient als Propagandawerkzeug. Das sagt der regierungskritische Journalist János Kele von der Webseite 24.hu: "Er ist sportbesessen. Er ist der festen Überzeugung, dass Sport im Besonderen den Gemeinschaftsgeist und den Nationalstolz stärkt. Zudem sollte man wissen, dass ein Eckpfeiler der Politik der Fidesz-Partei darin besteht, ständig herauszuheben, dass die Ungarn dazu bestimmt sind, Großartiges im Leben zu leisten – beispielsweise bei der Ausrichtung großer Turniere."
Journalist: "Regierung versucht von Covid-Statistiken abzulenken"
Während Fußballteams aus England und Deutschland aufgrund der Corona-Beschränkungen nicht ins jeweils andere Land reisen konnten, öffnete Budapest ganz bewusst die Tore. Nach den Partien von Liverpool und Manchester City stellten die Reporter der ungarischen Staatsmedien Jürgen Klopp und Pep Guardiola Suggestivfragen, wie großartig die Infrastruktur und die organisatorischen Abläufe waren. Kele dazu:
"Balázs Fürjes, der starke Mann der Fidesz in Budapest, der unter anderem für die Ausrichtung von internationalen Sportevents verantwortlich ist, zitierte dann eine positive Aussage Klopps in einem Tweet – quasi um die linksliberale Opposition, die hohe Investitionen in den Sport ablehnt, zu widerlegen. Aus meiner Sicht ist es augenscheinlich, wie die Regierung alles versucht, um mit diesen Events von der Realität, gerade von den Covid-Statistiken, abzulenken."
Ungarn ist einer der Corona-Hotspots in Europa, auch weil die Regierung das öffentliche Leben lange Zeit nicht einschränken wollte. Dass die Sieben-Tage-Inzidenz im Land derzeit bei über 500 liegt, scheint die UEFA nicht zu stören. Die Verbindungen zwischen dem europäischen Fußballverband und den Machthabern in Ungarn sind hervorragend. Eine Schlüsselperson ist dabei Sándor Csányi. Der Banker ist einer der wohlhabendsten Menschen des Landes, Besitzer des hochklassigen Handballteams in Szeged, Präsident des ungarischen Fußballverbands und darüber hinaus Vizepräsident der UEFA sowie des Weltverbands FIFA. Ein umtriebiger Mann, wie der freie Sportjournalist Botond Csepregi erklärt:
"Er und seine Bankengruppe OTP waren schon lange sehr einflussreich hier in Ungarn. Er war schon immer eine große Persönlichkeit. Der Staat musste sich einst gut mit ihm stellen. Vor dem Regierungswechsel 2010 sollte Csányi mehrmals Präsident des Fußballverbands werden. Der Fußball befand sich in einer schlechten Verfassung und deshalb wollte der Verband, dass der reichste Mann Ungarns das Steuer übernimmt. Als er schließlich Verbandspräsident wurde, war es allerdings eher ein Kompromiss zwischen diesen einflussreichen Mächten: Orbán, Fidesz und Csányi."
Vier EM-Spiele geplant, Olympia im Visier
Anfangs stand Csányi der Regierungspartei skeptisch gegenüber. Mittlerweile tritt er aber als treuer Gehilfe Orbáns auf. Ihm kommt zugute, dass er ein enges Verhältnis zu UEFA-Präsident Aleksander Čeferin pflegt. 2019 kam Čeferin zur Einweihung der Budapester Puskás Arena, in die sein Verband vergangenes Jahr kurzerhand den Europäischen Supercup und nun auch die Champions- und Europa-League-Partien verlegen durfte. Im Sommer sollen in der Arena vier Spiele der Europameisterschaft stattfinden. Budapest wurde außerdem schon das Finale der Europa League 2023 zugesprochen. Auch große Teile der diesjährigen U21-EM werden in Ungarn ausgetragen.
Die Anstrengungen der ungarischen Regierung gehen aber weit über den Fußball hinaus. Ab dem 11. März fand in der Hauptstadt der erste Weltcup im Fechten nach einjähriger Pause statt – dort sind übrigens inzwischen Corona-Infektionen bei Teilnehmenden bekannt, auch im deutschen Team. Ab dem 18. März lief das Olympia-Qualifikationsturnier der Ringer. Anfang des nächsten Jahres gastiert die europäische Handball-Elite im Rahmen der EM, im Sommer 2023 dann die Leichtathleten bei ihrer WM. Für Csepregi ist die langfristige Vision klar:
"Hinter diesen Anstrengungen verbirgt sich das Ziel, die Olympischen Spiele auszurichten. Budapest hatte sich um die Spiele 2024 beworben, aber die Bewerbung wurde aufgrund eines Referendums zurückgezogen. Das Referendum wurde nicht abgehalten, denn Orbán zog die Bewerbung vorher zurück. Alles ist darauf ausgerichtet, zu beweisen, dass Ungarn in der Lage ist, Olympische Spiele zu veranstalten."
Das Ziel seien nun die Spiele 2036. Bis zur Bewerbung möchte Orbán die eigene Bevölkerung darauf einschwören und Budapest als einen zentralen Ort des internationalen Sports etablieren. Und wie es scheint, spielen die Sportverbände bei seinen Plänen mit.