Über Depression im Sport werde seit Robert Enkes Tod zwar mehr gesprochen, sagte Valentin Markser im Deutschlandfunk. Dennoch gebe es eine "unheilvolle Allianz", die das Thema seelische Erkrankungen im Leistungssport klein hielten: Sportler, die Probleme verdrängten. Trainer, die heilfroh seien, wenn Sportler "Alles klar" sagten. Die Öffentlichkeit, für die das alltägliche Leben der Sportler uninteressant sei - auch weil in den Medien nach Erfolgsgeschichten gesucht werde. Das Umfeld, das Angst um Jobs habe. Und Vereine und Verbände, die Angst um ihr Produkt hätten.
Sportler, Eltern und Trainer seien ein Team mit besten Absichten, gerade wenn es die Begleitung junger Sportler betreffe. "Wenn sie verstehen, dass sie eigentlich ein Ziel verfolgen - nämlich langfristig einen guten Sportler zu bekommen - dann geht das nicht gegen den Sportler und gegen seine Gesundheit." Die seelische Gesundheit gehöre dazu. Eltern und Trainer sollten genauso viel Interesse an der persönlichen Entwicklung des Sportlers haben wie an kurzfristigen sportlichen Erfolgen. Nur das garantiere sowohl einen sportlichen Erfolg als auch eine gute Karriere nach der sportlichen Karriere.
"Sportpsychiater fehlen"
Auf dem Gebiet der Vereine und Verbände sei auch nach dem Tod des Ex-Nationaltorhüters Robert Enke nichts passiert. Alle beschäftigten nun zwar Sportpsychologen. Diese seien aber vor allem für die mentale Vorbereitung auf Wettkämpfe zuständig. Sportpsychiater oder sportpsychiatrische Berater fehlten dagegen.
Markser war früher selbst Spitzensportler gewesen. Als Torwart gewann er mit dem VfL Gummersbach Meister-, Pokal- und Europapokaltitel. Bekannt wurde er vor zehn Jahren als Arzt von Robert Enke, nachdem sich der Nationaltorhüter im November 2009 das Leben genommen hatte. Markser hatte Enke wegen dessen Depressionen behandelt.
Markser sagte, dass psychische Krankheiten bei Leistungssportlern in der Bevölkerung immer noch kein Thema sind: "Man geht davon aus, dass alle Leistungssportler seelisch gesund sind, man setzt es praktisch voraus, und beschäftigt sich nicht damit." Der 66-Jährige ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Buchautor und Mitbegründer des Instituts für Sportpsychiatrie in Köln.
Auch unter geschulten Menschen habe lange Zeit eine Selektionsthese vorgeherrscht: Wer seelisch anfällig sei, schaffe es gar nicht in die Bundesligen oder zu Olympischen Spielen. "Zehn Jahre später wissen, wir, dass es anders ist. Wir Behandelnde und wir Sportler wussten es schon damals", sagte Markser.
"Schädigungen im seelischen Bereich bei zu-viel-Sport"
Der Sportpsychiater hat zusammen mit seinem Kollegen Karl-Jürgen Bär erst kürzlich das Buch "Seelische Gesundheit im Leistungssport" herausgegeben, das sich an Sportler und ihr Umfeld richtet.
"Wir haben viele Nebenwirkungen, schädigende Wirkungen, die durch zu viel Sport entstehen. Und das ist im körperlichen Bereich ganz selbstverständlich, da kümmert sich die Sportmedizin drum. Dass es im seelischen Bereich auch schädigende Wirkungen des zu-viel-Sport oder der Umstände, in denen Leistungssport betrieben wird, gibt - das ist wenig bekannt", sagte der Sportpsychiater.
"Um die Gesamtpersönlichkeit kümmern"
Es gebe unter Sportlern ähnlich viele seelische Störungen wie in der Gesamtbevölkerung, in einigen Disziplinen sogar mehr. Als Beispiel nennt Markser Essstörungen in Sportarten, in denen Aussehen oder Gewicht eine große Rolle spielten.
Markser empfiehlt, Sportler regelmäßig zu untersuchen. Schließlich sei der Druck oft immens. Mentale Techniken, die Sportler deswegen erlernten, bezögen sich aber auf den Wettkampf. "Nur: Zwischen den Wettkämpfen müssen wir uns um die seelische Gesundheit kümmern und um die Gesamtpersönlichkeit."
Hilfsangebote für Menschen mit Depressionen, Suizidgefährdete und ihre Angehörigen: Wenn Sie sich in einer scheinbar ausweglosen Situation befinden, zögern Sie nicht, Hilfe anzunehmen.
Hilfe bietet unter anderem die Telefonseelsorge in Deutschland unter 0800-1110111 (kostenfrei) und 0800-1110222 (kostenfrei) oder online unter https://www.telefonseelsorge.de.
Eine Liste mit bundesweiten Beratungsstellen gibt es unter https://www.suizidprophylaxe.de/hilfsangebote/adressen.
Hilfe bietet unter anderem die Telefonseelsorge in Deutschland unter 0800-1110111 (kostenfrei) und 0800-1110222 (kostenfrei) oder online unter https://www.telefonseelsorge.de.
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Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.