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Unklares Label
Was eine Stadt zur Sportstadt macht

Potsdam, Magdeburg, Gelsenkirchen. Es gibt viele Städte in Deutschland, die sich mittlerweile als Sportstadt bezeichnen. Aber: Wie definiert man dieses Label überhaupt? Hinter einer Sportstadt kann sich mehr verbergen als internationale Großsportevents.

Von Raphael Späth |
Eine Frau geht in Ulm an überdimensioniertem Piktogrammen vorbei. Diese Piktogramnme wurden von Ottl Aicher an der Ulmer Hochschule für Gestaltung (HfG) entworfen.
Überdimensionierte Piktogrammen von Läufern in der Stadt Ulm. Sie wurden dort für die Olympischen Spiele 1972 in München entworfen. (Stefan Puchner dpa)
„Im Grunde ist das Label Sportstadt nicht geschützt, es gibt keine klare Definition dafür. Viele Städte versuchen sich natürlich, sich als Sportstadt zu vermarkten. In Deutschland, aber auch weltweit.“
Berlin, München, Hamburg, Köln. Fast alle großen Städte in Deutschland werben mit dem Label Sportstadt. Sportökonom Henning Vöpel beschäftigt sich schon lange mit der Frage, was eine Sportstadt ausmacht – und hat im Laufe der Jahre mehrere Kriterien herausgearbeitet.
„Sportevents sind wichtig, dass Profi-Sport beheimatet ist, der Breitensport muss natürlich einen Platz haben in solchen Städten. Das ist wichtig, dass es eben auch eine Tradition gibt in solchen Städten für den Sport. Die Sportinfrastruktur muss gut sein. Also das ist eine Vielzahl von Kriterien, die am Ende dafür stehen, ob man Sportstadt sich nennen darf oder nicht.“

Fokus auf Nischensportarten und Nachwuchs

All das ist in den großen Städten Deutschlands vorhanden. Aber: Auch kleinere Städte schmücken sich inzwischen mit dem Prädikat „Sportstadt“. Eine davon: Riesa im sächsischen Landkreis Meißen. Eine 35.000 Einwohner-Stadt, gelegen zwischen Leipzig und Dresden. Schon vor über 30 Jahren hat man dort das Potenzial des Sports erkannt, heute basiert das Sportkonzept der Stadt auf mehreren Säulen.
„Zum einen haben wir Veranstaltungen in unserer Arena. Da suchen wir uns inzwischen Nischensportarten, die nicht so im Fokus stehen, wie Cheerleading, Darts, Enduro, wie die Tanzweltmeisterschaften“, erklärt Oberbürgermeister Marco Müller.
„Und zum anderen ist uns die gesellschaftliche Aufgabe genauso wichtig: Gesundheitserhaltung, eine lebenswerte Stadt, die Stadt attraktiver machen. Und natürlich trägt das auch dazu bei, dass man einen Bekanntheitsgrad erreicht. Denn wir wollen natürlich unser Riesa ein bisschen publik machen.“
Der Schwerpunkt in Riesa liegt heute auf der Förderung des Nachwuchs- und Breitensports. Kinder sollen zum Sportmachen animiert, Talente gefördert und das Gemeinschaftsgefühl gestärkt werden.
„Durch die Historie gewachsen ist das eine Marke, die ‚Sportstadt Riesa‘, und darauf wollen wir auch weiterhin setzen. Auch wenn sich die Inhalte ein bisschen verschoben haben, ist es weiterhin eine wesentliche Marke. Und natürlich ist es auch im Sinne der sogenannten weichen Standortfaktoren wichtig, um Menschen zum Zuzug nach Riesa zu bewegen.“

Imagegewinn durch internationale Wettkämpfe

2010 wurde die Stadt vom sächsischen Landessportbund als sportfreundliche Kommune ausgezeichnet. In wenigen Wochen findet in Riesa die Deutsche Cheerleading-Meisterschaft statt. Großes Highlight im Herbst: Die Weltmeisterschaft im Showdance, mit Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus der ganzen Welt.
„Natürlich haben auch ganz besonders wir als kleine Stadt auch immer die Kosten im Fokus, aber wir dürfen natürlich auch nicht die Umweg-Rentabilität vergessen. Also es ist ganz besonders wichtig für unsere Hotels, für die Gastronomie, die Einzelhändler, die Dienstleister. Und damit profitiert auch die Stadt Riesa, so dass man das rechtfertigen kann. Und natürlich wollen wir uns auch weiterhin fokussieren auf internationale Wettkämpfe, weil das einfach ein riesiger Imagegewinn für die Stadt ist.“

Sportförderung steigert die Lebensqualität der Region

„Für andere - und das ist eigentlich auch ein Trend, den wir seit vielen Jahren beobachten – wird die interne Perspektive auf den Sport immer wichtiger. Also die Lebensqualität in Städten, in Großstädten zumal zu entwickeln“, sagt Sportökonom Henning Vöpel.
Viele große Städte in Deutschland verzichten inzwischen auf die ganz großen Sportereignisse, investieren stattdessen lieber in den Breitensport und den Ausbau der Sportinfrastruktur.
„Gerade für mittlere und größere Städte ist das eine gute Möglichkeit, die Lebensqualität und das Lebensgefühl der Menschen direkt zu adressieren und zu sagen: Man findet hier für die Familie gute Lebensbedingungen vor, man hat die Work-Life-Balance, man hat Digital Detox, man kann irgendwie Sport machen, man hat ein gutes Umfeld.“

Musterbeispiel Hamburg

Eine Stadt, der das ideal gelungen ist, ist Hamburg:
„Hamburg hat im Nachgang der gescheiterten Olympia-Bewerbung 2024 eine andere Strategie gewählt, die aber ganz interessant ist, nämlich die „Active City Strategie“. Also genau die Idee, dass der Sport sich eben nicht nur repräsentiert über Sportevents und Profi-Sport, die eben auch teuer sind. Sondern es gibt auch eine Strategie der Stadtentwicklung, der Sportentwicklung, die eher auf den Breitensport fokussiert ist, auf die Lebensqualität von Sport. Und das hat hier in Hamburg sehr gut funktioniert und man hat eben auch international über dieses Konzept, über diese Strategie durchaus Beachtung gefunden.“
Henning Vöpel hat in einer Studie festgestellt: Vom Label „Sportstadt“ profitiert die Stadt Hamburg auch finanziell: Der Wirtschaftsfaktor Sport erzeugt in Hamburg über eine Milliarde Euro pro Jahr an Wertschöpfung.
„Sport ist weiterhin expandierend, ist heute wahrscheinlich eines der wenigen verbliebenen weltweiten Lagerfeuer, also man versammelt sich um den Sport, es ist Gesprächsthema. Und vor dem Hintergrund ist natürlich der Sport für Städte in der Vermarktung als Region, als Stadt immer ein enormer ökonomischer Faktor.“
Trotzdem: Im Ranking der Städte, die weltweit am meisten mit Sport assoziiert werden, ist Hamburg nicht zu finden.

Bekanntheitsgrad entscheidend für Sportstadt-Ranking  

„Niemand kann objektiv sagen, dass Hamburg mehr Sportstadt ist als München“, sagt Lars Haue-Pedersen, Geschäftsführer von BCW Sports. Das Kommunikations-Unternehmen erstellt jährliche eine Rangliste der 50 bekanntesten Sportstädte der Welt.
„Wir haben von Anfang an festgelegt: Es geht um Wahrnehmung. Was denken die Leute? Unsere Welt der Kommunikation ist darauf ausgelegt, wie Menschen etwas wahrnehmen. Und wie man diese Wahrnehmung ändern kann.“
Neben einer qualitativen Umfrage unter den größten Sportverbänden wird mit einem speziellen Analysetool auch untersucht, wie häufig der Name der Stadt im Kontext mit Sport in den Sozialen Medien genannt wird.
Das Ergebnis: „Unser Ranking zeigt, dass Städte, die Gastgeber von Großereignissen wie den Olympischen Spielen waren oder zukünftig sein werden, sehr weit oben landen“, erklärt Geschäftsführer Lars Haue-Pedersen.
„Die Menschen reden einfach darüber. Und egal, ob in einem positiven oder negativen Kontext: Die Menschen haben Tokio zum Beispiel auf einmal mit Sport verbunden. Und das ist interessant. Weil man Tokio in diesem Fall normalerweise überhaupt nicht mit Sport verbinden würde. Wer an Tokio denkt, denkt an japanische Kultur, große Autofirmen, eine Arbeiterstadt mit einer hohen Suizidrate unter jungen Menschen. Also an eher negative Dinge. Und auf einmal hat man Tokio auch mit Sport verbunden. Sport bringt also ein neues Element für das Bild einer Stadt.“
Vor allem eher unbekanntere Großstädte wie Abu Dhabi oder Baku nutzen inzwischen Sportgroßereignisse, um das eigene Image aufzupolieren. Auf den ersten Plätzen des Rankings stehen aber auch heute noch westliche Metropolen New York, London und Paris. Die, trotz ihres hohen Bekanntheitsgrades, auch weiterhin viel Geld in Breiten- und Spitzensport investieren.
„Sport kann nicht das einzige sein, was eine Stadt zu bieten hat. Aber für viele Städte ist es eine weitere attraktive Facette, auch für die weltweite Wahrnehmung. Und egal ob man Sportgroßereignisse gutheißt oder nicht: Sie sind eine fantastische Medienplattform.“