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Fußball-WM in Katar
Sportswashing mit deutscher Beteiligung?

Deutschland will unabhängiger von russischem Gas werden. Die Bundesregierung schaut deswegen auf Katar als möglichen Energielieferanten und wirbt um engere Beziehungen. Zu viel öffentliche Kritik am WM-Gastgeber dürfte dabei hinderlich sein.

Von Mathias von Lieben |
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD, M) wird auf dem Flughafen Dschidda von Khalid bin Faisal Al Saud (r), Gouverneur von Mekka, vor dem A340 der Luftwaffe empfangen. Neben Saudi-Arabien besucht der Kanzler die Vereinigten Arabischen Emirate und Katar.
Bundeskanzler Scholz wird in Dschidda empfangen. (picture alliance / dpa / Kay Nietfeld)
Anfang April grübelte Innen- und Sportministerin Nancy Faeser noch darüber, ob sie die deutsche Fußball-Nationalmannschaft bei der WM in Katar vor Ort unterstützen wird. Wichtig sei für ihre Entscheidung, betonte sie damals, „dass wir natürlich darauf achten müssen, dass auch arbeitsrechtliche Standards in dem Land eingehalten werden, Menschenrechtsstandards eingehalten werden.“
Die Probleme sind bekannt: Seit der WM-Vergabe sollen in Katar mindestens 6.500 Gastarbeiter gestorben sein. Homosexualität wird mit bis zu sieben Jahren Gefängnis oder sogar mit dem Tod bestraft. Nun gibt es zwar laut Amnesty International erste, dezente Reformen mit Blick auf die Arbeitsbedingungen – das sei aber bei weitem nicht genug. Und trotzdem hatte Sportministerin Faeser bei einer Veranstaltung des Redaktionsnetzwerks Deutschland Anfang August einen Entschluss gefasst: "Ich fahre zur WM, weil ich die Themen vorher ansprechen werde.“

Katar-Reise mit DFB-Präsident Neuendorf

Vorher heißt Ende Oktober/Anfang November. In diesem Zeitraum will Faeser laut ihrem Ministerium gemeinsam mit DFB-Präsident Bernd Neuendorf nach Katar reisen, um damit offenbar ihren späteren WM-Besuch zu legitimieren. „Um all die Themen, die noch nicht umgesetzt sind, anzusprechen. Also die Arbeitsbedingungen zu hinterfragen, zu gucken, was ist von der ILO-Norm schon umgesetzt und was nicht, was betrifft Gleichberechtigungsfragen. Politik ist auch dafür verantwortlich diese Themen anzusprechen, damit das Sportereignis nicht davon belastet wird.“
Ein nicht belastetes sportliches Großereignis. Solche Töne hörte man jüngst auch von Bundeskanzler Olaf Scholz. „Das wird – wie wir schon gehört haben – ein sportliches Großereignis, das Fußballfans weltweit zusammenführen wird und auch viele aus Deutschland werden kommen. Ich wünsche Katar viel Erfolg für seine Gastgeberrolle bei der allerersten WM in der Region", sagte Scholz bei einer Pressekonferenz vor wenigen Tagen am Ende seines Besuchs in Katar.
Bundeskanzler Olaf Scholz (l.) und der Emir von Katar, Tamim bin Hamad Al Thani
Bundeskanzler Olaf Scholz (l.) und der Emir von Katar, Tamim bin Hamad Al Thani (Kay Nietfeld / dpa / Kay Nietfeld)
Die im Februar ausgerufene Zeitenwende kann man hier auch im deutsch-katarischen Verhältnis deutlich merken. Der Kanzlerbesuch war der neueste Schritt mehrerer Etappen, seit Ende März Wirtschaftsminister Robert Habeck das deutsche Interesse an Energielieferungen hinterlegte. Inzwischen wirbt der Kanzler um vertiefte Beziehungen: „Hier in Doha habe ich mit dem Emir über LNG-Lieferungen im Lichte der aktuellen Energiekrise gesprochen und wir wollen da weitere Fortschritte bald erreichen.“
Auf die Nachfrage eines Journalisten, ob der Kanzler zur Fußball-WM reisen werde, entgegnete er: "Die Frage, wie wir dahinfahren, ist selbstverständlich zeitnah zu entscheiden. Aber das wird schon so sein, dass da jemand dabei ist."

Bundespräsident, Kanzler und Wirtschaftsminister eingeladen

Dass das nicht nur Sportministerin Nancy Faeser ist, ist auch in Katars Interesse. „Der Emir hat alle seine Gesprächspartner aus Deutschland, das war zuletzt der Bundespräsident, der Kanzler und Wirtschaftsminister Habeck, sehr nachdrücklich zu einem Besuch der Fußball-WM eingeladen“, sagt Nico Fried, Politikchef des „Stern“ und ehemaliger Leiter der Parlamentsredaktion der Süddeutschen Zeitung: Und das wurde in Berlin auch durchaus so verstanden, dass die Beziehungen auch durchaus belastet werden, wenn die Bundesregierung jetzt ein großes Bohei macht um die WM in dem Sinne, dass sie sagt: da können wir aber nicht hin aus menschenrechtlichen Gründen.“
Ist vielleicht ein Besuch der Fußball-WM und eine wohlwollendere Haltung gegenüber dem Turnier von katarischer Seite sogar zur Bedingung für Energielieferungen gemacht worden? Das weist ein Regierungssprecher auf Deutschlandfunk-Anfrage zurück. Auch das Innenministerium verneint eine solche Verbindung. Ministerin Faeser treffe ihre Entscheidung über den Besuch von Sportveranstaltungen selbst und nicht die Regierungen anderer Staaten.
„Es wird nicht offen ausgesprochen, dass man sagt, wenn ihr nicht nach Doha kommt zu den Fußballspielen, dann schließen wir mit euren Firmen auch keine Verträge ab", sagt Journalist Fried, der seit Jahren über das Kanzleramt berichtet und Olaf Scholz auch während seiner Golf-Reise begleitet hat. „Aber es wäre auch nicht klug das so zu machen, das setzt natürlich die Deutschen viel mehr unter Druck, weil sie immer davon ausgehen müssen, das wenn man diese Fußball-WM zu negativ behandelt, dass es sich dann auch auf zum Beispiel Gaslieferverträge oder andere wirtschaftliche Beziehungen auswirken kann. Und so steht man quasi unter dem Druck eines gewissen Wohlverhaltens, wenn man nicht das Risiko eingehen will, dass der Emir und seine staatlichen Firmen, die diese Verträge abschließen, sagen, och da waren aber andere netter zu uns während der WM, dann geben wir denen mal das Gas.“

"Eine Art Reinwaschen durch den Sport"

Der Spagat zwischen öffentlicher Kritik an Menschenrechtsverletzungen in Katar und wirtschaftlicher Interessenswahrung. Er dürfte für die deutsche Politik unter diesen Vorzeichen immer schwieriger werden. Und es stellt sich die Frage, ob Bilder deutscher Regierungsmitglieder in katarischen WM-Stadien nicht sogar dabei helfen, das schlechte Image Katars in der Welt aufzupolieren? „Naja es ist eine Art Reinwaschen durch den Sport, durch die Aufwertung eines Landes über ein Sportereignis", so Fried.
Die Bundesregierung wisse aber, dass sie ein gutes Verhältnis zu Katar brauche. Noch seien keine Verträge über Energielieferungen abgeschlossen. Und deswegen fährt sie laut Fried einen zweiseitigen Kurs. Einerseits das Lob für Reformen beim WM-Gastgeber: „Und gleichzeitig sagt man immer so ein bisschen für das heimische Publikum auch, das ist aber noch nicht der Standard, den wir uns vorstellen und wir setzen drauf, dass da mehr kommt. Das ist Realpolitik. Man hat keine Alternative zu den Energielieferungen aus dieser Region und man versucht bei dem Imagegewinn, den man den Kataris beschert, es einigermaßen so zu halten, dass es auch zu Hause noch vertretbar ist.“