Bosman, Super League, Diarra
Gerichte oder Sportverbände - wer besitzt die Kompetenzhoheit?

Das Bosman-Urteil 1995 war der Anfang, seit diesem Zeitpunkt nehmen der Europäische Gerichtshof und andere Gerichte immer mehr Einfluss auf den Sport und beschneiden damit die Kompetenzen der internationalen Sportverbände. Eine Analyse.

Von Piet Kreuzer |
Ein Schild vor dem Europäischen Gerichtshof.
Der Europäische Gerichtshof entschied im Fall des ehemaligen Fußball-Profis Lassana Diarra gegen den Fußball-Weltverband FIFA. In dem Fall ging es um Transferregeln im Fußball. Laut Ansicht des EuGH waren die Regeln der FIFA nicht mit EU-Recht vereinbar. (IMAGO / Horst Galuschka / IMAGO / Horst Galuschka)
"Der Sport hat sich lange Zeit damit gar nicht auseinandergesetzt und hat gesagt, der Sport macht sein eigenes Geschäft. Die viel zitierte Autonomie des Sports kommt hier zum Tragen, und spätestens seit 1995, spätestens seit Bosman ist aber deutlich, dass das nicht so ist und seitdem sind sehr viele Dinge passiert", sagt Jürgen Mittag.
Der Professor für Sportpolitik an der Deutschen Sporthochschule Köln beobachtet die europäische Sportpolitik schon lange. Mittlerweile gibt es zahlreiche Entscheidungen, in denen sich Gerichte gegen die Praxis der Verbände aussprechen.

Niederlage für die FIFA im Fall Diarra

"Wir wissen, dass der Europäische Gerichtshof im Dezember 2023 drei ganz entscheidende Urteile gesprochen hat, die zur ISU (Internationale Skating-Union), Super League und Royal Antwerpen, und dies ist eine Entscheidung mehr", spielt der belgische Anwalt Martin Hissel auf den Fall Diarra an. Gemeinsam mit Jean-Louis Dupont hat er den französischen Profi vertreten, ob er nach einer Kündigung den Veren wechseln darf. Im Mittelpunkt standen dabei das Arbeitsrecht und das Recht auf Freizügigkeit in der EU. Hier erlitt der beklagte Weltfußball-Verband eine herbe Niederlage.
Die Causa Royal Antwerpen war ähnlich gelagert. Es ging um die sogenannte Home-grown-player-Regel. Danach muss eine bestimmte Anzahl von jungen Spielern im eigenen Verein oder im nationalen Verband ausgebildet worden sein. Der EuGH bewertet die Regel als kartellrechtswidrig, wenn der Handel zwischen den EU-Mitgliedsstaaten beeinträchtigt und der Wettbewerb zwischen Klubs beschränkt werde. In den Fällen der Internationalen Eislauf-Union ISU und Super League wurde den internationalen Föderationen das Recht abgesprochen, ein Monopol auf die Ausrichtung von Wettbewerben zu haben.

"Monopol der Verbände kann nicht weitergehen"

Der Sport sei Teil der Wirtschaft und müsse dementsprechend auch behandelt werden, meint Martin Hissel. Denn in den meisten Fällen geht es um Wettbewerbsrecht, nicht um sportspezifische Angelegenheiten. "Das zeigt, dass dieses Monopol, dass die internationalen Verbände sich geschaffen haben, einfach nicht so weitergehen kann."
Für Hissel ist die logische Folge, dass die Kompetenzen der internationalen Verbände beschnitten werden müssen. "Die Verbände können mitmachen, können mitspielen, aber nicht als Gesetzgeber. Was die Nationalmannschaft angeht, können die Verbände gerne weitermachen."

Sportrechtler Stopper plädiert für Miteinander der Parteien

Der deutsche Sportrechtsexperte Martin Stopper bewertet die juristische Lage anders. Er plädiert für ein Miteinander der Parteien: "Diese Gesamtsituation führt aus meiner Sicht nicht in die richtige Richtung, weil diese Verunsicherung für Sportveranstalter insgesamt Unruhe auslöst, die der besonderen Stellung des Sports letztendlich auch nicht gerecht wird."
Deshalb wünscht sich Stopper eine andere Lösung: "Wir brauchen sportspezifische Regelungen, die einen Rahmen abstecken, in welchen Regionen oder in welchem Umfang sich der organisierte Sport bewegen darf, ohne in unzulässiger Weise Macht auszuüben oder in unzulässiger Weise den Wettbewerb zu beschränken."

"Es geht um Sport, nicht um Kartellrechtsstreitigkeiten"

Die Lösung müsste die Politik schaffen, in diesem Fall der europäische Gesetzgeber: "Es gibt Gruppenfreistellungsverordnungen, die Rahmen festlegen können für besondere Wirtschaftsgruppen. Und der Sport ist eine besondere Wirtschaftsgruppe. Und das kann auf der Grundlage der Entscheidung, die wir jetzt haben, durch den Europäischen Gerichtshof dazu führen, dass man mehr Verbindlichkeit und Zuverlässigkeit schafft, um wieder das in den Vordergrund zu stellen. Es geht nämlich um den Sport und nicht um die Kartellrechtsstreitigkeiten, die den Sport ja belasten und verunsichern."
Auch Europa-Politik-Experte Mittag sieht noch Chancen für die Verbände. Der EuGH habe die sportspezifischen Aspekte wie Transfers oder bei der Vermarktung nicht ausgeschlossen. Aber sie müssten erklärt werden. Das hätten die Sportverbände bisher nicht getan. Um ihre Autonomie zu erhalten, müssten sie stärker mit dem EU-Recht kompatibel sein. "Sonst würde der EuGH, die EU-Kommission durchgreifen, und sonst würden die Verbände weiter an Recht und an Einfluss verlieren."

Ski-Verband verliert vor Landgericht München

Auf einer anderen Ebene, dem Landgericht München, erlitt in der vergangenen Woche der Internationale Ski-Verband eine Schlappe. In seiner Entscheidung erklärte das Landgericht, der FIS-Beschluss vom 26. April, die TV-Rechte für die Wettkämpfe in Zukunft zentral zu vermarkten, würde gegen europäisches Kartellrecht verstoßen. Auch nutze der Weltverband seine marktbeherrschende Stellung aus. Daher dürfe die FIS dem DSV die internationalen Medienrechte nicht entziehen, um sie zentral zu vermarkten.
Martin Stopper, der den DSV juristisch vertreten hat, sagt dazu: "Also, die Zentralvermarktung war nicht das Problem. Es war nur die Art und - Weise, wie der Weltverband versucht hat, sich mit Rechten auszustatten, die ihnen nicht gehörten."
Die weitreichenden Rechte der internationalen Sportverbände – für das europäische Recht sind sie häufig zu weitreichend.