10. Januar 2014, ein Heimspiel der Nürnberg Ice Tigers. Kurz vor Schluss prallen Tyler Haskins von den Gästen aus Wolfsburg und der Nürnberger James Pollock mit den Köpfen zusammen. Pollock bleibt eine Weile auf dem Eis liegen und wankt dann langsam vom Spielfeld. Im Krankenhaus die Diagnose: Gehirnerschütterung. In Zukunft könnte die binnen Minuten feststehen. Ein solcher Test, das ist die Vision von Peter Biberthaler, Professor für Unfallchirurgie am Klinikum rechts der Isar in München.
"Die beiden Spieler sollten dann an den Spielfeldrand gehen. Es wird mit einer kleinen Nadel ein Pieks in den Finger gemacht. Da wird ein Tropfen Blut auf diesen Test aufgetragen. Dann wartet man die Zeit, die das braucht, um zu funktionieren. Das dürfte so zwischen zwei und drei Minuten sein. Und dann kann man direkt ablesen: Ja, da ist eine Erhöhung oder nein, da ist keine Erhöhung."
Nämlich ein erhöhter Wert eines bestimmten Strukturproteins aus dem Gehirn. Es wird für sehr kurze Zeit ins Blut abgegeben, wenn es zu einer Gehirnerschütterung kommt.
"Die Blut-Hirn-Schranke, also die Grenze zwischen den Blutgefäßen und den Gehirnzellen, geht ganz kurz auf. Und dann können diese Strukturproteine im Blut ausgeschwemmt werden. Meistens geht die dann aber auch schon wieder zu. Das wissen wir aus tierexperimentellen Untersuchungen. Der Anstieg dieses Parameters ist sehr schnell und findet innerhalb von 20 Sekunden statt."
Daher könnte sich das Strukturprotein der Hirnzellen als Biomarker eignen, der eine Gehirnerschütterung augenblicklich anzeigt. Dass so etwas im Prinzip funktioniert, hat Peter Biberthaler in einer Studie mit Sportlern nachgewiesen.
"Das waren Profi-Eishockeyspieler. Einmal in München von den Straubinger Tigers. Und dann in Rochester, das ist eine Stadt im Staat New York. Dort ist auch Eishockey ein starker Sport. Und das war eine Kooperationsstudie, bei der wir sowohl in Nordamerika als auch hier in München Patienten eingeschlossen und untersucht haben."
Die Ärzte haben von jedem Spieler mehrere Blutproben genommen. Einmal vor Beginn der Saison, um einen Grundwert des Hirnzell-Proteins zu haben. Der ist nämlich nicht bei jedem Menschen gleich hoch. Und außerdem mehrmals während der Saison – von unverletzten Sportlern und auch jeweils unmittelbar nach einer Schädelverletzung. Die ereilte immerhin fast jeden zweiten Spieler. Und wenn bei denen später im Krankenhaus eine Gehirnerschütterung diagnostiziert wurde, war auch der Wert des Strukturproteins im Blut deutlich erhöht. Grundsätzlich besteht also ein Zusammenhang dieses Blutwerts mit der Verletzung des Schädels, sagt Peter Biberthaler, aber:
"Man muss ganz klar sagen: Der Test steht im Moment nicht als Spielfeldrand-Test zur Verfügung. Das ist eines der mittelfristigen Ziele. Aber bevor man so etwas machen kann, muss man erst mal nachweisen, dass es überhaupt funktioniert. Und das haben wir jetzt erstmals gemacht."
Denkbar sind Teststreifen, mit denen der Wert dieses Proteins im Blut rasch bestimmt werden kann, so wie es Diabetiker beim Blutzucker tun. Die Industrie ist an einer Entwicklung interessiert, sagt Peter Biberthaler. Der Bedarf dürfte jedenfalls da sein – nicht nur beim Eishockey, sondern auch beim Fußball, Basketball und beim Boxen. Doch ob und wann aus dem Forschungsergebnis wirklich ein Test für den Spielfeldrand wird, das ist im Moment noch offen.