Die Begeisterung schallte einem in den letzten Wochen aus vielen Kanälen entgegen. Es war die Vorfreude auf das Masters – auf das bedeutendste Golfturnier des Jahres. Sechs Monate hatten die Anhänger der Sportart in diesem Jahr warten müssen. Weil es coronabedingt verschoben worden war. Doch kaum jemand schien derart euphorisiert wie die selbst ernannten Experten in ihren YouTube-Videos, die das Prestigeereignis als Rummelplatz für eine ganz besondere Leidenschaft sehen. Fürs Zocken.
Kein Wunder. "Wetten auf Golf ist in den letzten Monaten förmlich explodiert", schrieb die Washington Post vor einer Woche und nannte zwei Hauptgründe: Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vor zweieinhalb Jahren, die das bis dahin existierende landesweite Wettverbot aufhob. Und die Bereitschaft der Organisatoren der Sportart – und hier vor allem der amerikanischen PGA Tour – das Geschäft anzuheizen, um mitzuverdienen.
"Nur die Spitze des Eisbergs"
"Ich glaube, das ist nur die Spitze des Eisbergs", sagt Jason Sobel, Golfjournalist, der nach mehreren Jahren als Mitarbeiter klassischer Sportmedien wie der Fernsehsender ESPN und Golf Channel seit einiger Zeit für "Action Network" arbeitet, einem erfolgreichen Informationsdienst für Sportzocker: "Die PGA Tour hat vier Partnerschaftsverträge mit großen Wettbüros. Und eine Abmachung mit Draft Kings, einem Spezialanbieter für ‘Fantasy Sports’. Das wird in den nächsten Jahren noch stärker wachsen. Und ich bin nicht so naiv zu glauben, dass es dabei nicht um Geld geht."
Das Wettgeschehen besteht übrigens längst nicht mehr nur aus Prognosen über die Gewinner. Weil jedes Profi-Turnier vier Tage dauert und in einem gemächlichen Tempo vonstatten geht, gibt es zahllose Möglichkeiten für Nebenwetten. Wie weit schlagen Spieler den Ball? Wie gut ist ihre Form beim Putten auf den Grüns?
"Wenn Wettbüros solche Dinge anbieten wollen – sagen wir: ‘Wer schlägt auf dem 13. Loch den Ball weiter – Jon Rahm oder Bryson DeChambeau?’ kann man das mittlerweile in Echtzeit abwickeln. Aber die entscheidenden Informationen dazu hat nur die PGA Tour. Und die verlangt dafür eine nette, kleine Kommission von den Wettanbietern."
Kriminalistik-Professor warnt vor Naivität
Der Kanadier Declan Hill, Kriminalistik-Professor an der Universität Newhaven, warnt seit Jahren vor der Naivität, mit der in den Vereinigten Staaten die Gefahren von Wettbetrug und Korruption ignoriert werden. So sagte er 2018: "Die USA erinnern mich an Deutschland um 2003 herum. Sie glauben einfach nicht, dass ihnen so etwas passieren wird. Sie denken, sie sind auf magische Weise gewappnet, weil Amerikaner ehrlicher sind als Bürger anderer Länder."
Die Freigabe per Gerichtsbeschluss sorgte für eine unübersichtliche Situation. Bislang haben nur 20 Bundesstaaten Sportwetten zugelassen. Hill verglich das in dieser Woche gegenüber dem Deutschlandfunk mit folgender Analogie: "Das ist so, als wenn etwas in Bayern und Berlin erlaubt ist, aber nicht in Franken und Hamburg. Ein Traum für alle, die an Geldwäsche interessiert sind. Und es hat das illegale Wettgeschäft kaum beeinflusst. Stattdessen gibt es Transaktionen überall im Land, bei denen das Geld hin- und herfließt. Die Entscheidung des Supreme Court war hervorragend. Die Legalisierung ist der einzige gangbare Weg. Aber schauen Sie, was in Deutschland passiert ist, als man den Wettmarkt geöffnet hat. Ein paar Jahre danach hat man entdeckt, dass hunderte von Fußballspielen verschoben worden waren. Jetzt warten wir in Amerika darauf, dass dies ebenfalls passiert."
Hills Prognose: Es wird schon bald zu einem ähnlichen Skandal kommen. Vielleicht nicht im Golf, aber vermutlich im Collegesport. Dort sind die Athleten lupenreine Amateure und verdienen keinen Cent. Bessere Kandidaten für Bestechungsversuche von Wettbetrügern gibt es nicht.