Ein Hotelzimmer in der Casino-Stadt Atlantic City in New Jersey. Der Fernseher ist auf den Casino-Werbekanal voreingestellt. Alle fünf Minuten wechseln sich Spots verschiedenster Anbieter von Online-Sportwetten ab. Die sind seit 2018 in den USA legal und erleben seitdem einen Ansturm, der kein Ende zu finden scheint. 7,6 Milliarden US-Dollar wurden alleine während des diesjährigen Super Bowls, dem Finalspiel der US-amerikanischen Football-Liga, verwettet.
Der Bundesstaat New Jersey war es, der Sportwetten per Klage am Obersten Gerichtshof möglich machte. Der damalige Gouverneur Chris Christie suchte neue Einnahmenquellen für den klammen Staat, klagte gegen ein Gesetz das Sportwetten verbot – und gewann. Atlantic City, die Zocker-Hauptstadt New Jerseys, war darauf vorbereitet, erzählt David Rebuck, Oberaufseher der Wettkontrollbehörde in New Jersey: "Wir haben viel von den Europäern gelernt, was sie tun, aber wir wollten den Schalter nicht umlegen, weil ihr Geschäftsmodell es den Sportwettenanbiertern erlauben würde, direkt zu den Menschen zu gehen."
Auf Sportwettenmodelle in Europa geschaut
Rebuck und seine Mitarbeiter hatten sich Sportwettmodelle in Europa angeschaut, daraus gelernt, sie aber nicht kopiert. Denn eine Sache gefiel ihnen nicht. Die Sportwettenanbieter konnten ihre Angebote online direkt an Spieler vermarkten – die bestehenden Casinos wären leer ausgegangen. "Deshalb haben wir in New Jersey ein Hybridmodell entwickelt, das es den Betreibern von Kasinos und Rennbahnen ermöglicht, im Wesentlichen zwei Arten von Sportveranstaltungen anzubieten. Eine auf ihrem Gelände und eine online."
New Jerseys Lösung: die Casinos bekommen die Wettlizenzen und Online-Anbieter dürfen ihre Sportwetten dann im Bundesstaat anbieten – müssen aber in irgendeiner Form in einem Casino präsent sein. Durch ein Café oder eine Bar etwa. "Sie dürfen nicht spielen oder ein Konto erstellen, bevor Sie nicht verifiziert sind."
Nur wer sich im Bundesstatt befindet, kann auch zocken
Wer über Wettanbieter, die ihre Angebote in New Jersey haben, zocken will, muss sich im Bundesstaat befinden. Ein Schritt mit dem Smartphone über Staatsgrenze und der Account ist blockiert. Rebuck und sein Team überwachen daher die Position eines Online-Wettaccounts im Bundesstaat auf den Meter genau. Dass dieses Geschäftsmodell funktioniert, zeigt ein Blick in die Casinos von Atlantic City. Während sich an den klassischen Spielautomaten, Roulette- und Pokertischen nur ein paar Touristen versammeln, sind die Sportbars – meist direkt am Eingang gelegen – gut gefüllt.
Bequeme Sessel, günstige Getränke, unzählige Bildschirme mit Fußball, Rennsport, Football, Rugby und vielem mehr. Gewettet wird mit dem Smartphone in der einen, dem Drink in der anderen Hand. Geredet wird wenig, schon gar nicht in Mikrofone von deutschen Journalisten. Dafür spricht Atlantic Citys Bürgermeister Marty Small Sr. gerne mit der deutschen Presse: "Sport- und Onlinewetten haben uns während der Pandemie enorm geholfen, und New Jersey ist sehr schnell zur Nummer eins der Sportwetten im Land geworden, und wir sind sehr froh darüber, dass Atlantic City viel damit zu tun hat."
Atlantic City - Armut, Kriminalität, Drogen, schwindende Touristenzahlen
Rund 22.000 Menschen arbeiten in der Casino-Industrie in Atlantic City aktuell. Anfang 2000 waren es mehr als doppelt so viele. Schon oft sei Atlantic City abgeschrieben worden, aber immer größer und stärker zurückgekommen sagt Bürgermeister Small Sr. Beim Blick über seine Schulter aus seinem vollverglasten Büro auf die Stadt, klingt das aber mehr wie ein Wunsch als eine Tatsache.
Atlantic City kämpft. Gegen Armut, Kriminalität, Drogen, schwindende Touristenzahlen – die Haupteinnahmequelle für die Casinos. Der Glanz der Strandpromenande entlang des stürmischen Atlantiks ist längst abgeblättert. Der Sportwetten-Hype kommt daher sehr gelegen.
Zwei Millionen Menschen in den USA sind spielsüchtig
Rund 4,7 Milliarden US-Dollar an Einnahmen generierten die Casinos in ganz New Jersey 2021. 485 Millionen US-Dollar flossen davon in die Staatskasse. Geld aus den Taschen der Spielerinnen und Spieler. Zwei Millionen Menschen sind in den USA spielsüchtig. Für 20 Millionen beeinflusst das Zocken auf negative Weise ihre Arbeit oder ihr Sozialleben, schätzen Suchtexperten vom National Council on Problem Gambling.
David Rebuck ist daher der Überzeugung, dass der nächste Schritt mehr Kontrolle durch die Sportwettanbieter sein muss. Die könnten mit der Technologie hinter ihren Online-Angeboten genau beobachten, wer ein Spielproblem habe oder entwickle. Rebuck will das in naher Zukunft zu einer der Voraussetzungen für Lizenzvergaben machen. Ob das so kommt, ist aber noch unklar. Und die Konkurrenz wird größer und größer. Denn seit 2018 haben mittlerweile 29 US-Bundesstaaten Online-Sportwetten legalisiert.