Sechzehn "Geschichten aus Deutschland" sind nun im aktuellen Heft, der Nummer 151 von "Sprache im technischen Zeitalter" versammelt - und alle nur denkbaren Toniagen und Schreibweisen werden durchgespielt. Der Österreicher Walter Klier zeigt zum Beispiel in seinen ernüchternden "kleinen Geschichten", dass Schriftsteller eben doch nichts Prophetisches haben, sonder eher dazu disponiert sind, epochale historische Augenblicke zu verpassen. In den Tagen des Mauerfalls widmete sich Klier lieber einer "riesigen Schweinhaxe" und ausgedehnten Zechtouren mit Kollegen, als auf den Fortgang deutscher Geschichte zu warten. Viel näher unter die Ereignisse gemischt sind ostdeutsche Autoren wie Katja Lange-Müller und Reinhard Jirgl. Sie erzählen von der langen Geschichte der Enttäuschungen, die das wiedervereinigte Deutschland vor allem seinen östlichen Bewohnern bescherte - und von den neuen deutschen Erfolgsmenschen, den - wie Jirgl formuliert - "fitgestylten höhengesonnten Bestien für das 21. Jahrhundert".
Solch traditionelle Deutschland-Kritik, die sich bei Jirgl zur wortgewaltigen Verfluchung steigert, findet ihre reizvolle Gegenfigur in den melancholischen Reportagen und Reisebildern von Helmut Böttiger und Katrin Hillgruber. Die Erinnerung an die untergegangene DDR hat sich hier einige auratische Bilder bewahrt, Reminiszenzen an eigentümlich zeitlose Landschaften, die der gesamtdeutschen Modernisierung zum Opfer gefallen sind.
Die ertragreichsten Deutschland-Erkundungen in diesem Heft stammen indes von Marcel Beyer und Kathrin Röggla. Es sind genuin literarische Texte, präzise erzählerische Momentaufnahmen aus Dresden und Brandenburg. Hier wird nichts verallgemeinert oder thesenhaft proklamiert, sondern alles aus genauen Beobachtungen gewonnen. Hier kann das literarische Gespräch über Deutschland zehn Jahre nach dem Mauerfall ansetzen - diese detailgesättigten punktuellen Perspektiven sind allemal aufschlussreicher als nervtötende Debatten über den sogenannten Wende-Roman.