Verschwörungstheoretiker griffen häufig in eine linguistische Trickkiste - so die Beobachtung von David Römer. Der promovierte Germanist untersucht an der Universität Trier Verschwörungserzählungen und berichtet über sogenanntes Entlarvungsvokabular - und den Zusammenhang von Populismus und Verschwörungstheorie.
David Römer: In unseren Untersuchungen zu sprachlichen Mustern in Verschwörungstheorien, die wir seit zwei Jahren an der Universität Trier durchführen, ist uns aufgefallen, dass innerhalb von Verschwörungstheorien immer wieder bestimmte Wörter auftauchen, die bestimmte Funktionen erfüllen. Intensiver untersucht haben wir das mal am Beispiel des Terroranschlags auf den Berliner Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz, im Jahr 2016 war das, und in Bezug auf den Wortschatz, bei Verschwörungstheorien, die sich um diesen Anschlag ranken, konnten wir feststellen, dass dort ein spezifisches Vokabular vorhanden ist, das man als Entlarvungsvokabular bezeichnen könnte. Das heißt, es werden ganz gezielt bestimmte Wörter eingesetzt, mit denen versucht wird, sozusagen Zweifel an der offiziellen Version, wie wir sie kennen, wie der Anschlag stattgefunden hat, zu säen, indem darauf verwiesen wird, mit Hilfe solcher Zauberwörter, wie sie sagen, dass hinter der offiziellen Darstellung eine verborgene Wahrheit liegt.
Negationswörter zehnmal so häufig wie im Standarddeutsch
Stephanie Rohde: Welche Wörter sind das konkret?
Römer: Dazu zählen zunächst einmal eine große Menge an Negationswörtern zum Beispiel wie "nicht" und "kein" oder auch relativierende Ausdrücke wie "angeblich", "vermeintlich", "wohl" und so weiter. Diese Wörter werden eingesetzt in Verschwörungstheorien und zwar zehnmal so häufig wie im standardgeschriebenem Deutsch und erfüllen da in erster Linie die Funktion, Zweifel an der offiziellen Darstellung der uns bekannten Wirklichkeit zu säen.
Rohde: Wie genau wirkt denn die eigene Version der Geschichte glaubwürdiger, wenn ich so Begriffe benutz wie "vermeintlich" oder "sogenannt" - was passiert da sprachlich?
Römer: Das hängt im Grunde damit zusammen, wie Verschwörungstheorien aufgebaut sind und wie sie funktionieren. Und zwar setzen sie sich im Grunde aus zwei Plots zusammen, das hatte ich eben schon mehr oder weniger angedeutet, einer offiziellen Version oder einem sichtbaren Plot und einer inoffiziellen Version, einem unsichtbaren Plot, der sozusagen die verschwörungstheoretische Darstellung der Ereignisse erhält. Die Verschwörungstheorie beziehungsweise der unsichtbare Plot verweist immer auf den sichtbaren Plot, also die uns bekannte Wahrheit und versucht, dort irgendwelche Ungereimtheiten aufzudecken. Und dieses Aufdecken von Ungereimtheiten, das funktioniert sprachlich eben mithilfe solcher Negationswörter oder mit Hilfe solcher relativierenden Ausdrücke, die Zweifel säen an bestimmten Darstellungen.
Angeblich gegen die Gesetze der Physik
Rohde: Sie sagen auch, dass man unabhängig vom Inhalt schon an bestimmten Argumentationen sehen kann, dass es sich um eine Verschwörungserzählung handelt. Was sind denn so Beispiele für typische Argumentationsmuster?
Römer: Argumentationsmuster, die wir in Verschwörungstheorien immer wieder finden, ein Argumentationsmuster dafür immer finden in Bezug auf unser Weihnachtsmarktbeispiel ist zum Beispiel die Behauptung, dass etwas nicht wahr ist, wenn es gegen die Gesetze der Physik zu verstoßen scheint. So wurde etwa festgestellt, also wir haben Youtube-Kommentare zu Videos, in denen von einer Verschwörung in Bezug auf den Anschlag ausgegangen wird, untersucht. Und in diesen Kommentaren wurde immer festgestellt etwa, dass die Poller an der schmalen Gasse, wo der Lkw hindurchfuhr, gar nicht beschädigt waren oder dass verschiedene Buden des Weihnachtsmarktes unversehrt blieben und so weiter und so fort. Und ausgehend von dieser Beobachtung wurde dann in den Kommentaren behauptet: Weil das aber physikalisch unmöglich sei, dass der Sattelschlepper da durchgefahren ist, ohne etwas zu beschädigen, könne der Anschlag nicht stattgefunden haben. Wenn etwas physikalisch oder naturgesetzlich unmöglich ist, dann ist es nicht wahr. Und das ist eigentlich ein prototypisches Argumentationsmuster, das wir in fast allen Verschwörungstheorien finden.
Metaphern aus dem Theater
Rohde: Und haben Sie auch jetzt über die verschiedenen Verschwörungstheorien hinweg sprachliche Bilder gefunden, die immer wieder vorkommen, bei denen man hellhörig werden muss?
Römer: Ja, haben wir auf jeden Fall. Metaphern sind besonders interessant für unser Projekt, weil Metaphern ein sprachliches Phänomen sind, das unsere Wahrnehmung stark strukturiert insofern, als dass sie uns sozusagen Sachverhalte in Begriffen anderer Sachverhalte verstehen lassen und also Plausibilitätseffekte erzeugen. Verschwörungstheorien nutzen diesen Plausibilitätseffekt von Metaphern, um eben ihre verschwörungstheoretische Darstellung zu begründen. Und in verschwörungstheoretischen Texten finden wir in fast allen Texten zu allen Verschwörungstheorien Metaphern aus dem Theaterbereich. Diese suggerieren, dass im Hintergrund geheime Mächte am Werk sind und, um in diesem Bild zu bleiben, die Fäden ziehen würden. Zum Beispiel wird in diesem Zusammenhang aus Sicht von Marionetten und Puppenspielern gesprochen und etwa davon, dass man hinter den Vorhang schauen soll, dem Theater ein Ende machen muss und so weiter und so fort.
Rohde: Sie haben jetzt verschiedene Mittel aufgezählt unter anderem Argumentationsmuster und Metaphern. Wie kann man denn sprachlich gesehen Eindeutigkeit erzeugen, die keinen Zweifel mehr zulässt? Ist das einfach eine Kombination aus den Dingen? Oder muss man noch mehr tun? Vielleicht auch in der Art und Weise, wie man das vorträgt, mit welcher Vehemenz?
Römer: Also die Art und Weise, wie das vorgetragen wird, mit welcher Vehemenz und mit welchem Nachdruck, spielt sicher auch eine Rolle dafür, wie überzeugend sprachliche Äußerungen sind. Ich würde schon sagen, dass es eine Mischung und das Zusammenspiel der verschiedenen sprachlichen Mittel ist und dass die in ihrem Zusammenwirken noch mal mehr Überzeugungskraft entfalten als ein einzelnes Argument oder eine einzelne Metapher.
Rohde: Kann man denn Verschwörungstheorien an der Sprache komplett erkennen? Oder ist das jetzt ein bisschen zu einfach, wenn man sagt: gut, jetzt habe ich diese drei, vier Mittel, die ich kenne, und jetzt sehe ich direkt Verschwörungstheorien.
Römer: Also ich würde nicht sagen, dass das nicht möglich ist, Verschwörungstheorien an der Sprache zu erkennen, dass das nicht funktionieren würde. Die Frage ist, ob man das will. Und das ist jetzt nicht etwas, was wir machen wollen, sozusagen ein Modell entwickeln, an dem man dann feststellen kann: okay, das und das und das kommt vor in den Texten, also ist das eine Verschwörungstheorie. Aber sicher ist es so, dass die sprachlichen Mittel, die wir jetzt herausgearbeitet haben, wenn die häufig vorkommen, dass man dann schon stark davon ausgehen kann oder dass das starke Indizien für das Vorliegen einer Verschwörungstheorie sein können. Ich will aber davor warnen, dann daraus zu schließen, dass jeder, der zum Beispiel eine Inszenierungsmetapher oder von Puppenspielern spricht, Verschwörungstheoretiker oder Verschwörungstheoretikerin sei. Also das daraus zu schließen, ist vielleicht die Gefahr.
"Die ein oder andere Gefolgschaft möglicherweise verhindern"
Rohde: Welche Gegenmittel gibt es denn eigentlich sprachlich, um verschwörungstheoretisches Sprechen zu entlarven oder dem etwas entgegenzusetzen?
Römer: Was wir bezwecken mit unserem Projekt, ist keine ausgefeilte Gegenstrategie und auch nicht der Versuch, Verschwörungstheorien zu widerlegen, indem man beispielsweise aufzeigt, wie widersinnig Argumentationen sind, sondern einfach darüber aufzuklären, wie Sprache funktioniert, wie sie in Verschwörungstheorien funktioniert und wie mit Sprache solche Plausibilitätseffekte erzielt werden und vielleicht - das ist unsere Hoffnung, die sich damit verbindet - die ein oder andere Gefolgschaft möglicherweise zu verhindern. Aber alles andere halte ich für schwierig, zu versuchen, einen Gegenentwurf zu machen.
"Populismus und Verschwörungstheorien haben gemeinsame Feindbilder"
Rohde: Welche Parallelen sehen sie zwischen Verschwörungserzählungen und der Sprache der Populisten?
Römer: Es ist ja auch nicht zufällig, dass zum Beispiel häufig der Rechtspopulismus sich verschwörungstheoretischer Gedanken bedient, beziehungsweise dass Verschwörungstheorien ein zentrales Element rechtspopulistischer Ideologie sind. Den Zusammenhang zwischen Populismus und Verschwörungstheorien erkennt man meines Erachtens am besten an dem gemeinsamen Feindbild, das Populismus und Verschwörungstheorien teilen, nämlich die da oben, beziehungsweise die Eliten, zum Beispiel die politischen Eliten, die Regierungen oder Institutionen, die Geheimdienste und Militär oder Finanzeliten. Weitere Feindbilder, die Populismus und Verschwörungstheorien häufig teilen, sind zum Beispiel auch der etablierte Journalismus, die Massenmedien, so etwa die Wahrnehmung von einer systemgesteuerten Lügenpresse. Und auch die traditionelle Wissenschaft. Populisten und Verschwörungstheoretiker*innen wollen gleichermaßen das Volk aufklären, indem sie die angeblichen Komplotte von Eliten eben, die nicht im Interesse des Volkes handeln würden, enthüllen. Und ja, da sieht man schon sozusagen die Verwandtschaft zwischen Populismus und Verschwörungstheorien.
Ein weiterer Punkt ist, dass Verschwörungstheorien und Populismus die Wirklichkeit beide auf drastische Weise vereinfachen. Also man kann sagen, sowohl der Populismus als auch Verschwörungstheorien liefern einfache Lösungen für komplexe Probleme. Alles ist entweder schwarz oder weiß. Nicht zuletzt können wir eine Parallele zwischen Populismus und Verschwörungstheorien darin sehen, dass sich beides insbesondere auf sozialen Netzwerken formiert. Dies erscheint, wenn man so will, zunächst konsequent, insofern die etablierten Medien im populistischen Denken ja häufig Teil einer Verschwörung sind. Hinzu kommt, dass in den meisten Teilen der Öffentlichkeit wie zum Beispiel traditionelle Medien und Wissenschaft Populismus angeprangert wird und Verschwörungstheorien als sozusagen der Vernunft widersprechend gelten. Und in diesen Teilöffentlichkeiten wie sozialen Netzwerken dringt eben der gesellschaftliche Konsens nicht vor, und die Wissenschaft hat dort auch keine Deutungshoheit. Das heißt, zu vielen politischen Diskursen gibt es also dort keine gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzung. Die werden in Teilöffentlichkeiten verhandelt, indem von unterschiedlichen Wirklichkeiten ausgegangen wird. Und von dieser Fragmentierung der Öffentlichkeit, die ich eben so ein bisschen versucht habe zu beschreiben, profitieren gleichermaßen Populismus und Verschwörungsglauben. Um es kurz zu sagen: Beides scheint durch die eigene Logik des Mediums begünstigt zu werden.
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