Burkhard Müller-Ullrich: Ja, natürlich bedeutet Mehrsprachigkeit immer, auf mehreren Ebenen denken. Das setzt eine Multikompetenz voraus, eine Art von, ja, Sprachkreativität auf mehreren Levels, im Grunde auch den komparatistischen Blick, der so eine Art Lückenbewusstsein darstellt. Das heißt, die Sprachen entsprechen einander ja nie ganz genau, und um da Entsprechungen zu finden, heißt das auch, dass man mit Lücken leben muss. Es gibt manchmal einfach nicht das entsprechende Wort auf der anderen Seite. Das lehrt eine gewisse Demut und damit komme ich jetzt zum höchsten kulturellen Ziel sozusagen, eine Art Empathiefähigkeit. Das heißt also: Sprachen lernen – das ist im Grunde die Goethe-Philosophie – macht auch friedlich.
Lücket: Kulturelle Vielfalt ist also auch sprachliche Vielfalt, so kann man das verstehen. Trotzdem ist es doch oft gerade die Sprache, die eine scheinbar unüberwindliche, kulturelle Grenze darstellt. Was sind denn die Voraussetzungen für den gelingenden Dialog zwischen den Kulturen in Bezug auf Mehrsprachigkeit?
Müller-Ullrich: Na ja, das klang bis jetzt ja auch von mir so, als ob das alles sehr freiwillig wäre. Das ist es nicht, denn das Problem Sprache ist immer auch verbunden mit modernen Anpassungsproblemen, und – geben wir dem Kind einen Namen – mit Migration. Es geht um Migration, Mehrsprachigkeit ist eine Tatsache, so wie Migration eine Tatsache ist, und damit haben wir schon eigentlich ganz andere Betrachtungsvoraussetzungen. Früher hat man eigentlich Mehrsprachigkeit auch als einen Makel empfunden, also es gab so einen Homogenitätsdiskurs, vor allem in Ländern, die ihre Minderheiten unterdrückt haben, also man könnte sogar Frankreich – was ja sehr zentralistisch war – dazurechnen, das heißt also, dass die Minderheitensprachen immer zurückgedrängt wurden. Heute sieht man das ganz anders. Heute sieht man in jedem Fall, dass Mehrsprachigkeit ein großer Vorteil ist, übrigens auch für das Gehirn. Heute ist Mehrsprachigkeit hochgelobt, aber gleichwohl: Die Menschen, die es erleben, die haben natürlich Probleme. Es gab einen schönen Ausblick nach Indien in diesem Zusammenhang, in Indien ist Mehrsprachigkeit von ganz anderer Bedeutung. Indien ist ein 22-sprachiges Land, das sind nur die offiziellen Sprachen, also von Hindi über Bengali, Telugu, Tamil und Urdu und was es da alles gibt. Dort geht die Bevölkerung, vor allem die arbeitende Bevölkerung, die immer per se mehrsprachig ist, mit dem Phänomen ganz anders um. Man benutzt die Sprachen hinreichend, aber nicht perfekt. Deswegen: Sprachen werden eher so als palimpsestartige Gewächse betrachtet, also Palimpsest waren ja diese mittelalterlichen Pergamente, wo man drauf schrieb, dann wurde das wieder runtergewaschen, weil das Material teuer ist und wieder neu drauf geschrieben. Es war Victor Hugo, der auch Europa als Palimpsest einmal bezeichnet hat, eine ganz kluge Bemerkung in dem Zusammenhang, und man kann sagen, Identität ist eine sinnlose Frage, wenn es um Mehrsprachigkeit geht.
Lücket: Heißt das, dass man auf Identität dann einfach verzichten sollte?
Müller-Ullrich: Nein, das kann natürlich alles für Europa so nicht gelten. Wir haben im Hintergrund eigentlich immer die alte Entgegensetzung zwischen Erweiterung und Vertiefung. Es gibt in diesem Zusammenhang ganz interessante Studien in der Schweiz, und zwar über die interne Migration in der Schweiz. Die Schweiz ist ja ein Land, wo man im Inland auswandern kann, und da ist zum Beispiel herausgekommen: Wie lernt der Mensch die Sprachen? Es kommt nicht darauf an, wie lange er im anderen Sprachbereich ist, es kommt nicht darauf an, wie alt er selbst ist und begabt dazu, es kommt auch nicht auf die Vorkenntnisse an. Es kommt auf die Freundschaften an. Freundschaften sind das Entscheidende, das heißt, die wirklich soziale Integration ist das, was auch das Sprachding dann ausmacht.
Lücket: Sprachenvielfalt, Migration, Integration – Themen einer Konferenz des Goethe-Instituts, die Burkhard Müller-Ullrich für uns in Berlin besucht hat.
Lücket: Kulturelle Vielfalt ist also auch sprachliche Vielfalt, so kann man das verstehen. Trotzdem ist es doch oft gerade die Sprache, die eine scheinbar unüberwindliche, kulturelle Grenze darstellt. Was sind denn die Voraussetzungen für den gelingenden Dialog zwischen den Kulturen in Bezug auf Mehrsprachigkeit?
Müller-Ullrich: Na ja, das klang bis jetzt ja auch von mir so, als ob das alles sehr freiwillig wäre. Das ist es nicht, denn das Problem Sprache ist immer auch verbunden mit modernen Anpassungsproblemen, und – geben wir dem Kind einen Namen – mit Migration. Es geht um Migration, Mehrsprachigkeit ist eine Tatsache, so wie Migration eine Tatsache ist, und damit haben wir schon eigentlich ganz andere Betrachtungsvoraussetzungen. Früher hat man eigentlich Mehrsprachigkeit auch als einen Makel empfunden, also es gab so einen Homogenitätsdiskurs, vor allem in Ländern, die ihre Minderheiten unterdrückt haben, also man könnte sogar Frankreich – was ja sehr zentralistisch war – dazurechnen, das heißt also, dass die Minderheitensprachen immer zurückgedrängt wurden. Heute sieht man das ganz anders. Heute sieht man in jedem Fall, dass Mehrsprachigkeit ein großer Vorteil ist, übrigens auch für das Gehirn. Heute ist Mehrsprachigkeit hochgelobt, aber gleichwohl: Die Menschen, die es erleben, die haben natürlich Probleme. Es gab einen schönen Ausblick nach Indien in diesem Zusammenhang, in Indien ist Mehrsprachigkeit von ganz anderer Bedeutung. Indien ist ein 22-sprachiges Land, das sind nur die offiziellen Sprachen, also von Hindi über Bengali, Telugu, Tamil und Urdu und was es da alles gibt. Dort geht die Bevölkerung, vor allem die arbeitende Bevölkerung, die immer per se mehrsprachig ist, mit dem Phänomen ganz anders um. Man benutzt die Sprachen hinreichend, aber nicht perfekt. Deswegen: Sprachen werden eher so als palimpsestartige Gewächse betrachtet, also Palimpsest waren ja diese mittelalterlichen Pergamente, wo man drauf schrieb, dann wurde das wieder runtergewaschen, weil das Material teuer ist und wieder neu drauf geschrieben. Es war Victor Hugo, der auch Europa als Palimpsest einmal bezeichnet hat, eine ganz kluge Bemerkung in dem Zusammenhang, und man kann sagen, Identität ist eine sinnlose Frage, wenn es um Mehrsprachigkeit geht.
Lücket: Heißt das, dass man auf Identität dann einfach verzichten sollte?
Müller-Ullrich: Nein, das kann natürlich alles für Europa so nicht gelten. Wir haben im Hintergrund eigentlich immer die alte Entgegensetzung zwischen Erweiterung und Vertiefung. Es gibt in diesem Zusammenhang ganz interessante Studien in der Schweiz, und zwar über die interne Migration in der Schweiz. Die Schweiz ist ja ein Land, wo man im Inland auswandern kann, und da ist zum Beispiel herausgekommen: Wie lernt der Mensch die Sprachen? Es kommt nicht darauf an, wie lange er im anderen Sprachbereich ist, es kommt nicht darauf an, wie alt er selbst ist und begabt dazu, es kommt auch nicht auf die Vorkenntnisse an. Es kommt auf die Freundschaften an. Freundschaften sind das Entscheidende, das heißt, die wirklich soziale Integration ist das, was auch das Sprachding dann ausmacht.
Lücket: Sprachenvielfalt, Migration, Integration – Themen einer Konferenz des Goethe-Instituts, die Burkhard Müller-Ullrich für uns in Berlin besucht hat.