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Sprachenstreit in Luxemburg
Widerstand gegen EU-Zuwanderer wächst

Luxemburg ist das Flächenland mit dem höchsten Ausländeranteil in Europa. Fast jeder Zweite hat keinen luxemburgischen Pass. Die Wirtschaft des Landes braucht die Zuwanderer aus den EU-Nachbarstaaten, doch der Unmut wächst. Eine Petition, die Luxemburgisch zur ersten Amtssprache erklären will, fand in Rekordzeit so viele Unterstützer wie noch nie.

Von Malte Pieper |
    Luxemburg ist nicht nur das reichste Land innerhalb der EU, auch weltweit verfügt das kleine Großherzogtum nominal über das höchste Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner.
    Der Großherzogliche Palast in Luxemburg Stadt (imago stock&people)
    Er ist wohl der Mann des Jahres in Luxemburg. Ein Mann, der eine steile Karriere hingelegt hat. Bis zum Sommer kannte kaum jemand Lucien Welter. Dann setzte der sich eines Abends vor seinen Computer und tippte eine Eingabe, eine Petition an das luxemburgische Parlament. Mit überraschendem Erfolg, wie er selbst einräumt. Binnen kürzester Zeit wurde sein Anliegen, seine Petition, die erfolgreichste aller Zeiten im Großherzogtum:
    "Ich bin positiv überrascht, ich hätte nicht gedacht, dass es so schnell geht. Das ist schon ein Erfolg", lächelt Welter. Sein Anliegen lässt sich in wenigen Worten zusammenfassen: Luxemburgisch soll erste Amtssprache werden, will heißen, die Sprache der luxemburgischen Ureinwohner soll weiter aufgewertet werden, soll sich endlich von den anderen beiden dort verwendeten Sprachen, Deutsch und Französisch, abheben. Eine Forderung, die inzwischen extrem polarisiert, erklärt Fernand Fehlen, der renommierteste Sprachsoziologe des Landes: "Die luxemburgische Gesellschaft hat sich in den vergangenen 20 Jahren enorm gewandelt: Von einer kleinen, übertrieben gesagt, ländlichen Gesellschaft, ist sie jetzt kosmopolitisch geworden."
    Luxemburg ist das reichste EU-Land - genau das ist sein Problem
    Und was für eine. Luxemburg ist nicht nur das reichste Land innerhalb der EU, auch weltweit verfügt das kleine Großherzogtum nominal über das höchste Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner. Die Gehälter sind international überdurchschnittlich, von der Rente mal ganz zu schweigen.
    Was ist es also dann, was zu solchem Unwohlsein führt? Jean-Lou Siweck atmet erst einmal tief ein. Siweck ist Chefredakteur des "Luxemburger Worts", der mit Abstand größten Zeitung im Land. "Sehen Sie", sagt er, "unser Erfolg wird uns durchaus zum Problem. Wir sind so erfolgreich, dass extrem viele Menschen zu uns ziehen."
    Allein seit 2006 ist Luxemburg von 450 auf 550.000 Einwohner gewachsen, also um gut 100.000 innerhalb von zehn Jahren. Nur noch ganz knapp stellen die Einheimischen noch die Mehrheit im eigenen Land. In der Hauptstadt Luxemburg dagegen sind sie bereits heillos in der Minderheit: "Da ist es nicht erstaunlich, dass sich die Einheimischen Fragen stellen!"
    Zumal fast alle inzwischen die negativen Seiten des immensen Wachstums auch zu spüren bekommen. In Luxemburg herrscht Wohnungsnot. Vor allem bezahlbare Wohnungen sind extreme Mangelware. Familien bauen deshalb ihre Häuser immer öfter im angrenzenden Belgien, Frankreich oder Deutschland. Ganz einfach weil sie sie in ihrem eigenen Land nicht mehr bezahlen können. Die Strecke zur Arbeit wird dadurch immer länger, die Staus auch, das Pendeln mitunter zur Tortur.
    Die Sprachenfrage ist ein Zeichen für tiefliegendere Probleme
    Andererseits dominieren im täglichen Leben die Ausländer, weil die Luxemburger die "einfachen" Jobs nicht mehr machen. Dann trifft man eben auf die französische Verkäuferin beim Bäcker, die weder Luxemburgisch noch Deutsch spricht. Oder den portugiesische Taxifahrer, der schon einmal in die falsche Richtung davonfährt. Von daher wird die Frage immer häufiger gestellt: "Wo wollen wir eigentlich hin?", unterstreicht Chefredakteur Jean-Lou Siweck. "Was wird Luxemburg morgen sein? Wird es noch immer ein Land sein, in dem eine Mehrheit von Luxemburgern lebt und es eben Ausländer gibt, die für eine kürzere oder längere Zeit zu uns kommen und deren Kinder sich dann integrieren? Integrieren in dem Sinne, dass sie Luxemburger werden und nicht weiter auffallen."
    Oder aber verwischen alle Grenzen und Luxemburg wird irgendwann irgendwie zu einem multikulturellen Einheitsbrei? Ganz ähnlich sieht es auch Sprachsoziologe Fernand Fehlen: "Diese Sprachenfrage in Luxemburg ist immer ein Indikator für andere Probleme, denn im alltäglichen Leben funktioniert die Kommunikation zwischen Luxemburgern und Nicht-Luxemburgern in der Regel sehr gut, weil die Luxemburger alle durch die Bank mehrsprachig sind."
    Lucien Welter ficht das hingegen kaum an. Er bleibt bei seiner Petition, will der luxemburgischen Sprache endlich den Stellenwert verschaffen, der ihr seines Erachtens zusteht. Als ersten Schritt will er alle Gesetze des Landes aus dem Französischen ins Luxemburgische übertragen. Auch wenn Experten warnen, dass die luxemburgische Sprache gar nicht genug Worte, um juristische Sachverhalte präzise genug auszudrücken.
    Mitte Januar wird Welter vom Parlament angehört werden und "ich erwarte, dass dann auch was passiert und mein Anliegen nicht in der Versenkung verschwindet", sagt er.Selbst wenn, wie wohl zu erwarten, Welters Anliegen nicht unmittelbar aufgegriffen und Luxemburgisch zur ersten Amtssprache erklärt wird. Klar ist angesichts des Zuspruchs, der gelernte Koch hat einen Stein ins Rollen gebracht, ob es eine wahre Lawine wird, dürfte allerdings erst in einigen Jahren klar sein.