Ralf Krauter: Es gibt eine ganze Reihe von Krankheiten, die die Patienten im Wortsinne der Sprache berauben. Sie denken noch Sätze, können sie aber nicht mehr äußern. Forscher versuchen schon länger, Gedanken hörbar zu machen. In der heutigen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Nature wird jetzt ein neues System vorgestellt, das verständlicher klingt, weil es einen Umweg geht. Mein Kollege Volkart Wildermuth hat die Arbeit gelesen. Können Stumme jetzt wieder sprechen?
Volkarth Wildermuth: Nein, so weit sind die Forscher aus San Francisco wirklich noch nicht. Ihre fünf Versuchspersonen konnten sprechen, das war nicht ihr Problem. Sie leiden an einer Epilepsie. Der Anfallsherd sollte chirurgisch entfernt werden und um den zu finden, wurde in einer ersten Operation der Schädel geöffnet und dann auf der linken Seite eine Elektrodenmatte direkt aufs Gehirn gelegt.
Volkarth Wildermuth: Nein, so weit sind die Forscher aus San Francisco wirklich noch nicht. Ihre fünf Versuchspersonen konnten sprechen, das war nicht ihr Problem. Sie leiden an einer Epilepsie. Der Anfallsherd sollte chirurgisch entfernt werden und um den zu finden, wurde in einer ersten Operation der Schädel geöffnet und dann auf der linken Seite eine Elektrodenmatte direkt aufs Gehirn gelegt.
Anschließend wurde alles wieder zugenäht und dieses Matte, etwa halb so groß wie eine Postkarte belauschte in den nächsten Tagen oder Wochen die Aktivität der Nervenzellen. Eigentlich um die epileptischen Anfälle ganz genau zu vermessen. Aber in der Zwischenzeit haben die Patienten vor allem Langeweile und nehmen deshalb gerne an Experimenten teil. In diesem Fall haben die Forscher sie gebeten, mehrere hundert Sätze laut vorzulesen. So konnte sie über die Elektroden ein komplexes Signal aus dem Gehirn aufzeichnen. Und das haben sie dann aufwändig analysiert und am Ende mit dem Ergebnis einen Sprachgenerator gesteuert.
Gehirngesteuerte Sprachgenerator klingt verwaschener als das Original
Krauter: Wie haben sie das Nervenfeuern denn in Sprache umgesetzt?
Wildermuth: Dazu nutzt man lernende Computerprogramme. Die bekommen einerseits die Daten aus dem Gehirn und außerdem die Aufnahme der dazugehörigen Lautfolgen. Und nach und nach lernen sie immer besser, sozusagen eine Brücke zwischen beidem zu bauen. Der Clou der aktuellen Arbeit ist, dass sie in diesen Lernprozess einen Zwischenschritt eingebaut haben und zwar ein Modell des menschlichen Sprechapparates mit Lippen, Zunge, Kehlkopf und so weiter.
Wildermuth: Dazu nutzt man lernende Computerprogramme. Die bekommen einerseits die Daten aus dem Gehirn und außerdem die Aufnahme der dazugehörigen Lautfolgen. Und nach und nach lernen sie immer besser, sozusagen eine Brücke zwischen beidem zu bauen. Der Clou der aktuellen Arbeit ist, dass sie in diesen Lernprozess einen Zwischenschritt eingebaut haben und zwar ein Modell des menschlichen Sprechapparates mit Lippen, Zunge, Kehlkopf und so weiter.
Aus den Gehirndaten wurden sozusagen zuerst die Anweisungen für die rund hundert Sprechmuskeln extrahiert. Und erst aus deren Bewegungen wurden dann die Laute erzeugt. Dieser Zwischenschritt ist entscheidend und zwar weil es viel weniger Muskelsignale gibt als mögliche Worte. Die Lernaufgabe für das Computerprogramm wurde so entscheidend einfacher.
Krauter: Und wie klingt das Ergebnis?
Wildermuth: Der gehirngesteuerte Sprachgenerator klingt viel verwaschener als das Original. Aber die Forscher haben die Sätze auch von vielen Testhörern protokollieren lassen und da war das Ergebnis, dass doch viele Worte verstanden wurden. Es gab einen Testhörer, der schaffte es 82 von hundert Sätzen korrekt abzuschreiben. Im Durchschnitt wurden etwas weniger als die Hälfte der Worte erkannt. Das klingt jetzt vielleicht nicht sehr überzeugend, aber wenn man sich mal die Praxis anguckt, dann ist oft klar, was das Thema eines Gesprächs ist, das erhöht die Trefferrate.
Wildermuth: Der gehirngesteuerte Sprachgenerator klingt viel verwaschener als das Original. Aber die Forscher haben die Sätze auch von vielen Testhörern protokollieren lassen und da war das Ergebnis, dass doch viele Worte verstanden wurden. Es gab einen Testhörer, der schaffte es 82 von hundert Sätzen korrekt abzuschreiben. Im Durchschnitt wurden etwas weniger als die Hälfte der Worte erkannt. Das klingt jetzt vielleicht nicht sehr überzeugend, aber wenn man sich mal die Praxis anguckt, dann ist oft klar, was das Thema eines Gesprächs ist, das erhöht die Trefferrate.
Man kann auch nachfragen, also es ist durchaus vorstellbar mit so einem System eine sinnvolle Kommunikation aufzubauen. Man muss sich halt ein wenig reinhören. Ich hatte selbst eine Bekannte mit massiven Sprachprobleme. Anfangs habe ich sie kaum verstanden, später ging es ziemlich gut. Also für einen Vorteil in der Praxis muss ein solches System nicht perfekt sein.
Funktionsfähigkeit bei Sprechproblemen muss erprobt werden
Krauter: Die Versuchsteilnehmer haben aber sowieso laut gesprochen. Funktioniert das Ganze denn auch, wenn man nur still in Gedanken vor sich hin spricht?
Wildermuth: Ja, dazu gibt es naturgemäß keine Aufnahmen, aber die Grundstruktur der Sprache lässt sich auch dann auslesen, wenn die Muskeln im Sprechapparat gar nicht angesteuert werden. Wobei hier muss man klar sagen: Das könnte bei Patienten mit Sprechproblemen durchaus anders sein. Wenn das Gehirn die Muskeln gar nicht mehr ansteuern kann, dann ist es durchaus vorstellbar, dass beim stillen Sprechen die Nervensignale nach und nach schwächer werden, es fehlt dann ja auch das akustische Feedback. Aber das müsste in Studien mit echten Patienten erprobt werden.
Krauter: Das ist am Ende der Knackpunkt: welche Patienten wären wohl bereit, sich so eine Elektrodenmatte aufs Gehirn operieren zu lassen?
Wildermuth: Es gibt ja einzelne querschnittgelähmte Patienten, die diesen Schritt gegangen sind, um zum Beispiel den Rollstuhl oder einen Roboterarm mit ihren Gedanken zu kontrollieren. Es gibt Systeme, die Elektroden auf dem Schädel als Kommunikationskanal nutzen, aber da gelingt es derzeit nur Worte mühsam Buchstaben für Buchstabe auf einen Bildschirm zu schreiben. Damit kann man einzelne wichtige Botschaften übermitteln, aber eben nicht sprechen. Natürliche Sprache enthält um die 150 Worte in der Minute, das ist ein ganz anders Tempo.
Wildermuth: Ja, dazu gibt es naturgemäß keine Aufnahmen, aber die Grundstruktur der Sprache lässt sich auch dann auslesen, wenn die Muskeln im Sprechapparat gar nicht angesteuert werden. Wobei hier muss man klar sagen: Das könnte bei Patienten mit Sprechproblemen durchaus anders sein. Wenn das Gehirn die Muskeln gar nicht mehr ansteuern kann, dann ist es durchaus vorstellbar, dass beim stillen Sprechen die Nervensignale nach und nach schwächer werden, es fehlt dann ja auch das akustische Feedback. Aber das müsste in Studien mit echten Patienten erprobt werden.
Krauter: Das ist am Ende der Knackpunkt: welche Patienten wären wohl bereit, sich so eine Elektrodenmatte aufs Gehirn operieren zu lassen?
Wildermuth: Es gibt ja einzelne querschnittgelähmte Patienten, die diesen Schritt gegangen sind, um zum Beispiel den Rollstuhl oder einen Roboterarm mit ihren Gedanken zu kontrollieren. Es gibt Systeme, die Elektroden auf dem Schädel als Kommunikationskanal nutzen, aber da gelingt es derzeit nur Worte mühsam Buchstaben für Buchstabe auf einen Bildschirm zu schreiben. Damit kann man einzelne wichtige Botschaften übermitteln, aber eben nicht sprechen. Natürliche Sprache enthält um die 150 Worte in der Minute, das ist ein ganz anders Tempo.
Dieses neue System könnte eine direkte Kommunikation ermöglichen, und das ist für einzelne Patienten sicher attraktiv genug, um auch über die Implantation von Elektroden in den Schädel nachzudenken. Die Autoren denken da an Patienten mit ALS, bei denen Lähmungen immer weiter fortschreiten und auch die Stimme wegnehmen. In der Anfangsphase könnten sie das System sogar noch mit gesprochener Sprache trainieren. Die Autoren führen auch Schlaganfälle als Anwendungsgebiet an. Da scheint mir aber die klassische Logopädie vorerst vielversprechender.