"Aus meiner Sicht ist es so, dass hier Ordnungspolitik und Symbolpolitik in einer Sache gemacht wird, wo eigentlich klassische Integrationspolitik, die anerkennt und Angebote macht, gefragt wäre."
Der Religionssoziologe Alexander-Kenneth Nagel hält nicht viel von den Plänen des Bundesinnenministeriums, die besagen, dass Geistliche in Zukunft zuerst einen Deutschtest ablegen müssen, bevor sie nach Deutschland einreisen dürfen. Obwohl auch Nagel es wichtig findet, dass Geistliche in Deutschland deutsch sprechen können. Aber durch Zwangsmaßnahmen erreiche die Politik deutlich weniger als durch Förderangebote.
"Schon vor neun Jahren hat es eine Initiative gegeben des BAMF, des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge - ‚Imame für Integration‘ hieß das - wo projektförmig Imame der Diyanet oder Ditib in deutscher Sprache und kulturkundlich ausgebildet werden sollten. Und ausgebildet worden sind."
"Es gibt einen starken Druck von innen"
Statt die Einreisebestimmungen für Geistliche zu verschärfen, sollten besser solche Projekte neu aufgelegt werden, meint der Professor der Universität Göttingen. Denn in migrantisch-geprägten Gemeinden werde die deutsche Sprache ohnehin immer wichtiger. Nagel hat beobachtet,
"dass es in den Gemeinden – und das ist tatsächlich nicht nur bei den muslimischen Gemeinden der Fall, sondern ich denke bei fast allen religiösen Migrantengemeinden – von innen her einen ganz starken Druck gibt, Deutsch als liturgische Sprache, Deutsch als Gemeindesprache einzuführen. Das liegt einfach am Generationswechsel. Für die zweite, für die dritte Generation ist das Deutsche viel naheliegender."
Geistliche haben Vorbildfunktion
Wie das geplante Gesetz genau aussehen soll, das ist im Bundesinnenministerium offenbar noch nicht so richtig klar. Auf Anfrage geht ein Sprecher auf konkrete Fragen nicht ein, sondern schreibt allgemein: Geistliche würden eine Vorbildfunktion übernehmen und seien wichtig für das friedliche Zusammenleben. Die Bundesregung sei überzeugt, dass Geistliche ihre "integrative Wirkung besser entfalten können", wenn sie deutsch sprechen, und zwar von Anfang an. Deswegen die geplanten Sprachtests vor der Einreise. Mit Blick auf die laufenden Gespräche könne das Ministerium mehr derzeit leider nicht sagen.
Einige Muslime äußerten Kritik an den geplanten Deutschtests, manche begrüßen sie aber auch. Etwa der islamische Theologe Samet Er, Deradikalisierungsberater aus Hannover. Er twitterte: "Finde ich gut so".
"Was bringt mir ein Imam, der 20 Jahre an der größten islamischen Universität studiert hat, aber keine Antworten auf den deutschen Kontext hat? Mit dem kann ich hier in Deutschland nichts anfangen."
"Sprache ist ein wichtiges Definitionsmerkmal"
Das geplante Gesetz könnte nicht nur muslimische Gemeinden vor Probleme stellen, sagt der Religionssoziologe Alexander Nagel, sondern auch andere Religionsgemeinschaften: Buddhisten, Hindus – aber besonders auch christliche Gemeinden. Denn unter dem Dach der deutschen Kirchen gibt es viele Gemeinden, in denen kein Deutsch gesprochen wird – und das sei von den Kirchen auch so gewollt.
"In der katholischen Kirche heißen die Auslandsgemeinden ‚muttersprachliche Gemeinden‘ - gerade deswegen, weil die Seelsorge in der je eigenen Sprache erteilt werden soll."
Fast 400 dieser katholischen "muttersprachlichen Gemeinden" gibt es in Deutschland. Und so warnte die katholische Bischofskonferenz als die Pläne des Ministeriums bekannt wurden, die sprachlichen Hürden für ausländische Geistliche dürften nicht zu hoch gelegt werden.
"Auch im evangelischen Kontext ist von Gemeinden anderer Sprache und Herkunft die Rede. Also auch hier ist die Sprache ein ganz wichtiges Definitionsmerkmal. Es gibt Fälle, wo das gesamte Gemeindeleben zum Beispiel in englischer oder koreanischer Sprache gelebt wird und auch die Pastoren von Mutterkirchen aus Ghana, aus Korea oder aus den jeweiligen Herkunftsländern bestellt und eben auch bestallt werden."
Ein Perspektivwechsel kann helfen
Das geplante Gesetz könnte also auch Gemeinden vor Schwierigkeiten stellen, auf die es das Bundesinnenministerium vermutlich gar nicht abgesehen hat – weil sie eben keine islamischen Gemeinden sind. Um zu verstehen, was eine Sprachlernpflicht vor der Einreise für Religionsgemeinschaften bedeuten würde, schlägt der Religionssoziologe Alexander Nagel einen Perspektivwechsel vor: denn auch die deutschen Kirchen schicken Geistliche ins Ausland, um dort deutsche Christinnen und Christen zu betreuen, natürlich auf Deutsch.
"Zum Beispiel in Finnland oder in Simbabwe."
Auch die deutschen Kirchen würden also wohl Probleme bekommen,
"wenn man die jetzt plötzlich verpflichten würde, die Sprache der jeweiligen Aufnahmeländer zu erlernen und auch gottesdienstliche oder seelsorgerliche Handlungen in dieser Sprache durchzuführen – denn das wäre ja erforderlich, um der anvisierten Vorbildfunktion genügen zu können."