Archiv


Sprachliches Kraftfeld

Brigitte Kronauers neuer Roman "Zwei schwarze Jäger" wird in den Feuilletons fast einmütig enthusiastisch gefeiert. Vom neuen "Schwebetrick" der Autorin war die Rede, von ihrer allegorischen Eleganz, dem Maskenball der Poesie, einem Kraftfeld der Sprache, die wie ein lauerndes Raubtier sprungbereit und elastisch sei.

Von Annemarie Stoltenberg |
    "Man musste sich eben die Zeit mit Langeweile kurzweilig machen!", heißt einer der ebenso makellosen wie rätselhaften Sätze von Brigitte Kronauer, bei der man sich alles Mögliche vorstellen kann, aber eben keine einzige Sekunde Langeweile. Eine Frau, derem Verstand man sich leicht unterlegen fühlt und sich wünscht, man könnte so luzide, treffend und analysierend über sie sprechen, wie sie in ihren literarischen Essays über andere Autoren. Verführt und hingerissen von ihrer Sprache verirrt man sich leicht im Inhalt ihres Romans: "Zwei schwarze Jäger". Die Gelegenheit ist günstig, die Autorin selbst zu fragen:

    "Es gibt im langen ersten Kapitel eine Lesung, wo eine Schriftstellerin zwei Geschichten vorliest, die von dem Publikum ziemlich desinteressiert aufgenommen werden bis auf den einladenden Herrn Schüssel, der eine Lieblingsgeschichte hat. Das sind die "Zwei schwarzen Jäger" und da geht es darum, dass die Utopien, die Visionen, die wir im Leben haben, so eine große Bedeutung haben. In derselben Nacht verschafft er sich unter einem Vorwand Eintritt in das Zimmer der Autorin, um mit ihr noch darüber zu reden: Über die Lebensvisionen, die ganz verschiedene Formen eben annehmen können. Ihr ist das peinlich und lästig. Dann bricht dieses Kapitel ab. Mit einem Eklat bricht es ab. Dann kommen sieben so halblange Geschichten, die scheinbar gar nichts damit zu tun haben, aber man merkt, dass plötzlich Figuren auftauchen, die in den anderen Geschichten dann auch erscheinen, in einer etwas gedrehten Perspektive. Und im dritten Kapitel – es geht immer um Visionen dabei - sind die Geschichten meist sehr klein, und ich denke mir, sie stellen Verbindungsglieder her. Man kennt das Personal. Auch jetzt geht es immer im Minimalformat um die kleinen Hoffnungen, Lebenssehnsüchte, Utopien und ganz zum Schluss steht ein Brief. Den findet die Autorin nach paar Jahren. Den hat ihr der Einladende offenbar nach der Lesung geschrieben. Da geht er noch einmal auf diese Visionen ein und schreibt dann zum Schluss: Waren Sie in Radebeul? Waren Sie in Moritzburg? Die erste Geschichte des zweiten Teils steigt da ein. Das ist die einzige historische Erzählung, eine barocke Erzählung und daran kann man schon merken, an diesen Brief, den die Autorin ursprünglich ja schon viel früher gelesen hat, er hat in ihr gewirkt. Aber dann kommt der entscheidende Satz: Aber es wäre doch uferlos gewesen, wenn ich diesem Mann noch geantwortet hätte. Ihre Antwort besteht – wie es sich für eine Schriftstellerin gehört - nicht in der Theorie, sondern in der Erzählung, die der ersten Erzählung folgen die ganzen Geschichten. Sie sind ihre Antwort auf dieses Gespräch über die Utopien also eine Gesprächsnacht mit den Folgerungen. Das ist der Inhalt der Geschichte."

    Bei "Zwei schwarze Jäger" entsteht gelegentlich der Eindruck, Brigitte Kronauer webe Alltagserfahrungen hinein und habe Freude am Versteckspiel dabei. Bisweilen stelle ich mir eine kichernde, über die eigenen Einfälle vergnügte Autorin vor:

    "Die unverwüstliche Lebensfreude ist bei mir nicht mehr so erosionsfest, will ich mal sagen. Ich habe eigentlich den Eindruck, dass meine letzten Bücher doch einige ziemliche düstere Komponenten haben und ich selber sogar beim Schreiben dagegen ankämpfen musste, dass die nicht überhand nahmen. Auch bestimmte Ereignisse haben mich manchmal wirklich zu einer Art Menschenfeindin gemacht. Aber ich weiß, dass das ein völlig destruktives Gefühl ist.Und es ist letztlich auch ein Gefühl, dass einen beim Schreiben nicht weiter bringt. Es bringt einen manchmal zu Spitzen und zu Schwärzen, die wichtig sind. Es ist eher was, was ich unterdrücken muss. Die Bedrohung dieser Lebensfreude ist mir in den letzten Jahren doch sehr bewusst geworden."

    Eine der Figuren in Brigitte Kronauers Roman sorgt sich, wie man Kindern die Welt erklären soll, ohne dass sie verzweifeln und kampflos aufgeben. Sorgen, wie uralte Mumien im Text verpackt. Brigitte Kronauer ist eine Meisterin sprachlicher Verwirrspiele. Sie rafft Wirklichkeit, ballt, setzt sie neu zusammen und verblüfft ihre Leser buchstäblich Satz für Satz.

    "Ich bin ja eine Gegnerin des angeblich autobiografischen Schreibens, weil das immer dieses Attribut der Authentizität zu haben scheint. Ich halte da gar nichts von, weil ich glaube, dass man in dem Moment, in dem man über eine Sache schreibt, diese Sache sehr stark verändert. Aber es ist tatsächlich so, gerade weil ich weiß, dass ich die Dinge dann schon so rum drehe und einbaue, dass sie in meine Vorstellung von dem Ganzen passen. Das ist eine Versuchung, der ich sehr gerne und mit Vergnügen nachgebe, tatsächlich Dinge aus der Wirklichkeit, autobiografische Details, Dinge, die ich an Freunden beobachtetet habe, rein zu bringen. Das ist aber auch eine ambivalente Sache. Man muss sehr vorsichtig sein, dass man Leute nicht kränkt. Es gibt immer diese Menschen, die sich sehr stark belauert fühlen - also nicht in meinem engsten Umkreis, die sind Gottseidank sehr souverän in der Beziehung, aber bei Bekannten muss man aufpassen, dass sie nicht plötzlich meinen, sie würden porträtiert und da muss man dann verschleiern und verändern."

    Am Anfang ihres Schreibens in den 70er-Jahren war Brigitte Kronauer beeinflusst vom sogenannten nouveau roman, der aus Frankreich kam, vertreten durch die Gruppe Oulipo, Raymond Queneau oder Jacques Roubaud. Inzwischen sei der nouveau roman tot, sagt sie, aber er habe seine Aufgabe erfüllt:

    "Der Nouveau Roman ist für mich in meinen 20er-Jahren interessant gewesen, weil er so eine Art Tabula rasa Effekt hatte. Also während ich von dieser symbolischen, bedeutungsschwangeren Nachkriegsliteratur gewissermaßen umwandert war, haben die gesagt: Schluss mit allen Bedeutungen, Schluss mit allem Tiefsinn. Wir fangen jetzt wirklich mit der schieren, ja, ich könnte sagen bedeutungslosen, genauen Beschreibung an. Mich hat das einfach mit einem Sauerstoffschub versorgt, dass man wirklich sich einbilden konnte, man finge bei Null an."

    Schon in ihrem Roman "Frau Mühlenbeck im Gehäus" mit einer stabilen, entschlossen handelnden Heldin, hatte Brigitte Kronauer den nouveau roman überwunden. Sie wundert sich, dass ihre Bücher immer als artifiziell und schwer lesbar gelten. Das ist keinesfalls ihre Absicht, sondern eine klare, verständliche Sprache. Zur Symbolik der "Zwei schwarzen Jäger", Figuren, die vor der Villa Borghese stehen, sagt sie:

    "Es gibt in dieser ersten Geschichte ein zerstrittenes Paar, das sich diese Skulptur ansieht. Und die Frau beobachtet das zunächst gleichgültig. Dann wird ihr klar, was da stattfindet. Nämlich, dass da zwei Schwarze sind, die nicht nur an die Löwen gekettet sind, als Jagdtiere, sondern umgekehrt auch diese Sklaven mit Eisenringen um Hals und Fuß und Handgelenke an diese Löwen. Also ein unauflösliches Gespann. Was uns natürlich in einem hohen Maß unmenschlich vorkommt. Sie sieht darin aber, nachdem sie erst sehr schockiert ist, plötzlich ein Bild für ihre Liebe oder Leidenschaft zu diesem Mann, auch wenn sie im Moment mit ihm in der zu jeder Leidenschaft gehörenden Dissonanz ist , dass so aneinander gekettet sind . So kommt ihr das im ersten Moment vor. In einem zweiten Schritt - während sie das Tier anstarrt, die beiden - da wird klar, dass das viel interessantere Bild für sie darin besteht, dass sie beide jeweils getrennt voneinander, wie auch die beiden Figuren, an ihre Vision, an ihre ursprüngliche Idee von dieser großen Liebe gekettet sind. Und dass sie eigentlich diese Vorstellung, eine große Liebe zu erleben und sich auch danach zu sehnen, sie zu erleben, das ist, was sie aneinander hält."

    Stress unter Leuten, die sich lieben: Zerrüttungen, Idiotien. Aus Verneinung Utopien und Melodien gestalten – so kann man den Roman von Brigitte Kronauer beschreiben. Sie macht es ihren Lesern nicht unbedingt leicht, man wird nicht gerade mit Marzipankugeln beworfen. Es ist schon eher Schwarzbrotlektüre.

    Brigitte Kronauer: "Zwei schwarze Jäger". Verlag Klett-Cotta. 286 Seiten, 21,90 Euro.