Cansu Kaya hält einen kleinen Ranzen in die Höhe. Sie versucht, dem 13-jährigen Senat das Wort "Schultasche" beizubringen. Gar nicht so einfach: "Also, Senat was ist das? „Der Schultasche, ähm die Schultasche." Sehr gut. Was ist das? Der Schwamm..."
Cansu Kaya und ihre Kommilitonin Tugba Yazici stehen in einem bunt-gestrichenen Raum in einem Flüchtlingsheim in Köln. Vor ihnen sitzt eine Gruppe Kinder, mit Ordnern und Bleistiften ausgerüstet. Cansu und Tugba, 22 und 23 Jahre alt, sind Teil eines Projektes der Kölner Universität: 25 Lehramtsstudierende geben jungen Flüchtlingen einmal pro Woche kostenlosen Deutschunterricht.
Die Kinder in der Notunterkunft gehen in der Regel nicht zur Schule, weil viele Familien noch nicht registriert wurden und noch keiner Kommune zugewiesen sind. Die Idee zu dem Projekt kam von der Stadt Köln. Sozialarbeiterin Sabine Fexer, die sich vor Ort um die Kinder und Jugendlichen kümmert, erklärt: "Die Idee ist dadurch entstanden, dass man gemerkt hat, dass die Notunterkunft so langsam aus allen Nähten platzt, dass es immer mehr Kinder und Jugendliche gibt, für die es weder was zu spielen gibt – noch können die lernen."
Lange Warteliste
Das Uni-Projekt startete letztes Semester – erst mal probeweise. Für dieses Semester standen über 90 Studierende auf der Warteliste für den ungewöhnlichen Unterricht. Für sie lohnt es sich, denn sie können sich die Zeit als Studienleistung anrechnen lassen. Aber die Arbeit ist nicht mit einem normalen Praktikum zu vergleichen, sagt Mona Massumi vom Zentrum für LehrerInnenbildung (ZfL) an der Uni Köln:
"Weil es ja zum einen darum, dass die Kinder ein gutes Gefühl bekommen in einer kleinen Arbeitsatmosphäre und zusätzlich natürlich Deutsch lernen. Zum anderen ist es uns auch wichtig, dass die Studierenden eine gute fachliche Vorbereitung bekommen, dass sie überhaupt agieren können mit den Kindern, aber auch, dass sie emotional und psychisch aufgefangen werden."
Denn die Kinder kommen aus Krisengebieten wie Syrien oder dem Irak. Deshalb müssen die Lehramtsstudierenden an einem Vorbereitungsseminar teilnehmen. Dort geht es um methodische Grundlagen, aber auch um den Status der Flüchtlinge und den Umgang mit Traumatisierten. So berichtet etwa Lehrerin Mona Massumi von einer schwierigen Begegnung eines Studenten. Dessen Schüler war ohne Eltern nach Deutschland gekommen:
"Gerade für Kinder, die ihre Eltern verloren haben, ist es nicht so einfach Wortschatzübungen zu machen, wo es um Familienaufstellungen oder -Konstellationen geht."
Nähe und Distanz
Und auch Tugba Yazici fiel es in ihrer ersten Unterrichtsstunde schwer, die Lebensgeschichten der Kinder auszublenden:
"Ich habe mir Gedanken darüber gemacht, die Kinder sind jetzt hier in einem fremden Land, die verstehen mich nicht, ich verstehe sie nicht, wie müssen sie sich fühlen. Und das hätte man abstellen müssen, damit man einen vernünftigen Unterricht führen kann".
Der schmale Grat zwischen Distanz und Nähe funktioniert mittlerweile besser. Dazu gehört auch, zu akzeptieren, dass mancher Schüler von heute auf morgen nicht mehr auftaucht. Und Cansu und ihre Freundin Tugba haben gelernt, dass man flexibel sein muss – und sich auch über kleine Fortschritte freuen darf. Gerade bei Kindern, die anfangs kein einziges Wort deutsch gesprochen haben. Heute gibt es aber ein Wort, das alles sofort verstehen: "Und jetzt schreiben wir einen kleinen Test."
"Als angehende Lehrpersonen haben wir nun mal diese Heterogenität in Klassen. Es sind nun mal nicht nur deutsche Kinder, nicht nur Kinder mit Migrationshintergrund, auch Flüchtlingskinder innerhalb der Klassen. Und insofern, denke ich, dass es ganz wichtig ist, sich auch während des Studiums zu beschäftigen."