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Sprachwunder in Strampelhosen

Vom ersten Schrei über das erste Wort bis zum ersten Satz - alle Eltern verfolgen fasziniert, wie ihr Kind die Sprache erobert. Wissenschaftlich gesehen stellt sich dabei die Frage, ob angeborener Sprachinstinkt die Kinder leitet, oder ob sie Worte auf dem selben Weg lernen wie etwa Tischsitten. Die deutsche Sprachentwicklungsstudie will hier endlich für umfangreiches Datenmaterial sorgen. Sie begleitet seit einigen Jahren 250 Kindern beim Erlernen der Sprache. Dabei zeigt sich, die Probanden in Windeln lernen viel schneller, als Forscher und Eltern ihnen zutrauen. Es gibt allerdings auch Ausnahmen. Rund sechs Prozent aller Kinder haben Sprachentwicklungsstörungen. Gestützt auf die neuen Befunde haben die Forscher für sie Hilfen entwickelt, die auch schon den ersten Praxistest bestanden haben.

Von Volkart Wildermuth |
    Die Sprache umfasst den ganze Kosmos des Denkens und Fühlens. Sie ist das Merkmal, das den Homo sapiens vom Rest des Tierreichs unterscheidet. Seit Jahrhunderten fragen die Gelehrten, was dieser menschlichsten aller Fähigkeiten zugrunde liegt. Beruht sie auf einer Art Sprachinstinkt, der das Kind auf angeborenen Wegen zur Grammatik leitet. Oder werden Worte im Grunde auf die gleiche Weise wie etwa Tischsitten gelernt, einfach über die unbewusste Beobachtung von Regelmäßigkeiten in der Umgebung. Früher wurde hier nur spekuliert, heute suchen die Forscher nach harten Daten. In Paris zum Beispiel hat Prof. Ghislaine Dehane extra einen Gehirnscanner umgebaut, um schon zwei Monate alte Babys untersuchen zu können.

    " Wir wollen verstehen, woher wir kommen. Ist das Gehirn des Babys schon auf die Sprachverarbeitung vorbereitet, oder entwickeln sich diese Fähigkeiten erst, wenn es Sprache hört? Wir sehen uns das Gehirn von Babys an, während sie Sätzen lauschen. Bei den Erwachsenen ist dabei vor allem die linke Hirnhälfte aktiv, und genau so ist es bei den Babys. Das Gehirn der Babys ist auf die Verarbeitung der Sprache vorbereitet. Es stimmt, sie müssen noch viel lernen. Aber es gibt ein spezialisiertes Netzwerk. Aber die Umwelt erschafft dieses Netzwerk nicht, sie verändert es, aber schon ganz am Anfang ist etwas da."

    Etwas ist da, aber kein spezieller Sprachinstinkt hält Prof. Patricia Kuhl von der Universität in Washington entgegen. Ihre eigenen Experimente zeigen, dass Babys ganz generell Meister im Entdecken vom Mustern sind, egal, ob sie sich in Lautfolgen, Handlungen oder Bildern verstecken.

    " Sie lernen unglaublich begierig. Die Studien zeigen, wie effektiv die Babys Informationen aus der Umgebung extrahieren. Es muss ihnen nichts ausdrücklich beigebracht werden, sie schnappen die Dinge nebenbei auf. Dafür sind ganz allgemeine Lernmechanismen verantwortlich. Sprache ist für sie ein ideales Material, aber sie können auch andere Dinge verarbeiten und sie sind nicht zum Erlernen der Sprache entstanden."

    Sprachinstinkt oder Lernmaschine. Für beide Sichtweisen gibt es Belege. Derzeit bewegen sich beide Seiten aufeinander zu und sehen die angeborenen Elemente des Spracherwerbs als weit gefasste Leitplanken, die die generellen Lernmechanismen beim Start in eine bestimmte Richtung lenken. Wie genau die Meilensteine auf dem Weg der Worte ins Gehirn aussehen, das beobachtet seit fünf Jahren ein weltweit einmaliges Projekt: die Deutsche Sprachentwicklungsstudie in Berlin.

    " Bei uns kommt ein junger Student namens Markus und die beiden haben sich ganz schnell miteinander angefreundet und wenn das regelmäßig einmal die Woche ist, dann kann sich das kleine Kind daran gewöhnen. In letzter Zeit muss man da schon nachhelfen denn dann lacht sie das Mikrophon nur an und da sie ja jetzt sowieso auf den Bauch legt haben wir sie auf den Bauch gelegt, bis sie anfing zu erzählen."

    Die kleine Tochter von Marie Müller soll hier im Dienste der Wissenschaft babbeln. Ein Student verfolgt sie mit dem Mikrophon, spielt mit ihr, kitzelt sie, unterhält sich mit ihr, um nur ja keinen ihrer Schritte auf dem Weg zur Sprache zu verpassen. Derzeit werden rund 170 Versuchspersonen in Windeln mit Mikrophonen belauscht, zeichnen Elektroden ihre Hirnströme auf, enthüllen psychologische Tests ihr Weltverständnis. Für die Familien sind die regelmäßigen Termine aufwändig. Doch die Frage, in welchen Schritten die Sprache in den kleinen Kopf des Kindes gelangt, und wo Stolpersteine liegen, die später zu Sprachstörungen führen können, fasziniert nicht nur Forscher, sondern auch Mütter wie Tanja Junge.
    " Ich war bei unserem Gesundheitsamt zum wiegen und messen, habe da das Plakat gelesen und da stand halt, gibt es in ihrer Familie Lese- und Rechtschreibschwäche, und da mein Mann Legastheniker ist, dachte ich, das wäre vielleicht was für uns, rief hier an, hab dann auch gesagt, dass meine große Tochter mit drei Jahren so gut wie gar nicht spricht und so sind wir dann halt hierher gekommen."

    Buchstäblich vom ersten Schrei an werden die Äußerungen der kleinen Versuchspersonen verfolgt. Dabei zeigt sich: Die Sprachentwicklung folgt immer demselben Schema. Einbogenschrei, Doppelbogenschrei, komplexere Schreie, Sprachspiel, Lallen, dann die erste Worte.

    Prof. Zvi Penner von der Universität Konstanz hat zusammen mit seinen Mitarbeitern das Frequenzmuster jeden Schreis und jedes Lallens genau untersucht. Überraschende Erkenntnis: schon die ersten Laute sind eindeutig von der Sprachumgebung der Babys geprägt, entspringen also keinem starr festgelegten Entwicklungsprogramm.
    " Wir gehen davon aus, dass die Kinder eigentlich in der frühen Lautierung, im Schreien, im Lallen und so weiter, das fängt alles sehr früh an, nicht nur eine Struktur haben, sondern die Struktur haben, die wir praktisch in der Zielsprache haben, das macht diese Lautierung für uns relativ angenehm. Also das deutsche Kind würde so etwas machen wie Dada, Dada und das französische Kind daDA daDa. Einfach steigend anstatt fallend am Schluss."

    Und das entspricht der typischen Betonung im Französischen beziehungsweise im Deutschen. Schon bei den Doppelbogenschreien der erst drei Tage alten deutschen Babys ist der erste Bogen lauter.

    In Frankreich dürfte das andersherum sein. Wahrscheinlich hören sich die Babys schon vor der Geburt in ihre Muttersprache ein. Dabei reagieren sie vor allem auf die Sprachmelodie. Sie dient den Babys sozusagen als Einstieg in den kontinuierlichen Lautstrom der Sprache.

    " Also im Redefluss muss das Kind wissen, wo fängt ein Wort an und wo hört das Wort auf, und um diese Grenze zu erkennen im Redefluss, benutzt das Kind gerade solche Informationen."

    Babys beachten die Sprachmelodie weit mehr, als andere Eigenschaften des Lautstroms, als Pausen oder bestimmte Klänge. Es sieht so aus, als sei das Gehirn von Anfang an auf rhythmische Unterscheidungen ausgelegt. Diese angeborene Vorliebe wird aber schnell von Erlerntem überlagert und verfeinert. So zeigen Berliner Babys eine deutliche Vorliebe für die Anfangsbetonte, die typisch deutsche Silbe. Die deutsche Sprachentwicklungsstudie hat gezeigt, dass der weitere Weg zur Sprache in Stufen abläuft. Auf jeder entdeckt das Baby eine Eigenschaft der Sprache und diese Erkenntnis stellt dann sozusagen das Werkzeug zur Verfügung, mit dem weitere Feinheiten erschlossen werden können. Mit zwei Monaten unterscheiden Babys lange und kurze Silben. Im Alter von einem halben Jahr beginnen sie auf den Klang zu reagieren, lernen Laute wie "da" und "ga" oder "ba" und "pa" zu unterscheiden. Dabei sind die Kleinkinder noch Bürger der ganzen Welt, sie können die Laute jeder beliebigen Sprache unterscheiden. Mit einem Jahr reagieren sie dann nur noch auf die Klänge ihrer Muttersprache. Bekanntestes Beispiel für diesen Effekt sind erwachsene Chinesen, für die sich ein "L" wie ein "R" anhört. Chinesische Babys dagegen können die Buchstaben problemlos auseinander halten. Aber weil diese Laute im Chinesischen keine Bedeutung tragen, reagiert ihr Gehirn schon vor dem ersten Geburtstag nicht mehr auf den Unterschied. Kleinkinder ignorieren alles Unwichtige um dafür die entscheidenden lautlichen Details um so effektiver zu verarbeiten.

    Stefanie Küster und zwei Forscherinnen versuchen gemeinsam dem kleinen Tim eine Haube mit zwei Dutzend Elektroden aufzusetzen ohne dass er den bunten Zopf aus Kabeln gleich wieder abreißt. Bloß die Laune nicht verderben, damit Tim nicht strampelt und die Messung verdirbt. Letztlich hilft nur Bestechung mit Spielzeug. Wenn dann alles sitzt quetschen sich Mutter und Kind in eine kleine Kabine. Während drinnen Silben ertönen, sieht die Psychologin Ann Pannekamp draußen viele zackige Linien über den Bildschirm laufen, Abbild der elektrischen Aktivität des Gehirns.

    " Das sah natürlich sehr abenteuerlich aus, die fröhliche Badekappe mit den Kabeln da dran, und so ein kleines Kind sieht da ganz übel aus drunter, und dann haben die mich beruhigt haben gesagt, das ist nichts von Bedeutung, das ist wirklich nur Gehirnströme messen wenn das Baba und Dada kommt, ob er dann zum Beispiel unterscheiden kann, und das sieht man dann an den Gehirnströmen, ob er diese unterschiedliche Reaktion auch wirklich zeigt."

    " Wir beobachten online die EEG Aktivität und die oberen beiden Linien wären zum Beispiel die Augenaktivität, je paralleler sie laufen, desto ruhiger ist das Kind, diese wild laufenden Zacken sind meistens Muskelaktivität. Also mittlerweile können wir sehr gut sehen, ob ein Kind nuckelt, das sieht man dann auch im EEG an dieser Muskelbewegung."

    Tim hört nicht nur den Messtönen zu, sein Gehirn beschäftigt sich gleichzeitig mit vielen anderen Dinge, steuert Bewegungen, reguliert die Atmung, träumt vielleicht. Das alles spiegelt sich in den wild zuckenden Linien auf dem Bildschirm wieder, der Anteil der Sprachverarbeitung lässt sich nicht erkennen. Erst wenn viele hundert Einzelmessungen zu immer dem selben Sprachreiz gemeinsam analysiert werden, tritt ein spezifisches Signal aus dem Hintergrundsrauschen hervor.

    Ereignis Korrelierte Potentiale nennt sich diese Methode. Mit ihr lassen sich all die aufeinander aufbauenden Stufen der Sprachentwicklung verfolgen. Wenn die Kleinkinder mit dem Lautraum ihrer Sprache vertraut sind, gelingt es ihnen auch, das Gehörte mit Bedeutungen zu verbinden. Das zeigt sich, wenn Dr. Manuela Friedrich vom Max Planck Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig den Kindern Bilder zeigt, gleichzeitig Worte vorspricht und parallel die Reaktion des Gehirns beobachtet.

    " Wir haben gefunden, das Kinder, die das Bild von einem Ball sehen, auch das entsprechende Wort nämlich das Wort "Ball" erwarten und zwar schon im Alter von einem Jahr genau etwa um den ersten Geburtstag herum. Das finden wir auch bei Kindern die überhaupt noch nicht sprechen und wir lassen die Eltern auch einen Fragebogen ausfüllen, auf dem sie dann einschätzen, in wie weit die Kinder schon die entsprechenden Worte können und kennen und wir sehen, dass die Eltern die Kinder da regelrecht unterschätzen, also das die Kinder wirklich scheinbar schon mehr an lexikalischem Wissen verfügbar haben, als die Eltern ihnen zutrauen."

    Wie viel die Kinder wissen, zeigt sich, wenn im Experiment Bild und Wort nicht zusammen passen. Dann gibt es nämlich eine typische Verzögerung in der Reaktion des Gehirn. Passt das Bild dagegen wird die sprachliche Information flott verarbeitet. Das Wort ist Teil des geistigen Lexikons. Mit einer gewissen Verzögerung beginnen die Kinder die neu erfassten Begriffe dann nicht nur zu verstehen sondern auch selbst zu nutzen.

    Den Prozess des Wortlernens hat Prof. Kim Plunckett an der Universität Oxford in Computermodellen nachgestellt. Die elektronischen Gehirne zeigen dabei eine ganz ähnliche Entwicklung, wie die Babys. Der Anfang ist zäh, aber dann platzt mit einem mal ein Knoten, und die Worte fliegen dem Apparat nur so zu.

    " Es ist fast so, als ob er eine Erkenntnis hätte. Natürlich haben Computer keine Einsichten, es sind nur Maschinen, aber die Verknüpfungen zwischen den abgespeicherten Lauten und den abgespeicherten Bedeutungen werden plötzlich viel effektiver. Die Explosion des Wortschatzes vor dem dritten Geburtstag muss nicht mit einem ganz neuen Entwicklungsprozess im Gehirn zusammen hängen. Er ist das Ergebnis des langsamen Anhäufens kleiner Fortschritte. Wie bei einem Puzzle, man legt einige Teile zusammen, und plötzlich kann man das Gesamtbild erkennen, und dann startet die Maschine oder in diesem Fall das Kind durch, und kann das Problem lösen."

    Das lernende Computermodell belegt: auch wenn sich im Inneren, im Gehirn, nichts grundlegendes ändert, kann doch der Effekt, von außen betrachtet, dramatisch sein. Das Kind erobert seine Sprache plötzlich im Sauseschritt. Diese Explosion des Wortschatzes galt lange als Beleg für einen speziell auf Worte zugeschnittenen Lernmechanismus. In sorgfältigen Experimenten konnte Dr. Lori Markson an der Universität im kalifornischen Berkeley aber belegen, dass Kinder nicht nur Worte, sondern generell alle möglichen Informationen begierig aufsaugen.

    "Wir haben einjährigen Kindern Spielzeuge mit überraschenden Eigenschaften gezeigt. Zum Beispiel ein Ding, das rasselt, wenn man es schüttelt. Man konnte es ihm nicht ansehen und die Kinder haben es auch nicht erwartet. Sie bekamen also neue Spielsachen, bei manchen sagten wir einen Namen, andere hatten eine besondere Eigenschaft. Und einen Monat später konnten sich die Kleinen sehr gut an den Namen erinnern aber auch sehr gut an die besondere Eigenschaft. Es muss keinen besonderen Mechanismus für das Erlernen der Worte geben, es reichen auch die allgemeinen, sehr effektiven Gedächtnisprozesse aus. "

    Lori Markson geht davon aus, dass eine geistige Maschinerie unaufhörlich Informationen über die Welt sammelt, seinen das nun die Betonungen der Muttersprache, die Namen der Dinge oder ihre Eigenschaften. Die Sprache ist die Eintrittskarte in die soziale Welt, für die Babys und Kinder besteht ein hoher Druck, sie schnell zu erlernen. Die allgemeinen Lernprozesse können auf dem Gebiet der Sprache allerdings manchmal für einige Zeit in eine Sackgasse führen, aus der sich der junge Geist erst wieder befreien muss, das konnte Manuela Friedrich an den Berliner Kindern beobachten.

    " Wenn also Kinder zum Beispiel bestehendes Wissen, semantisches Wissen jetzt, untergliedern, wenn sie also das Wort und den Begriff Blume kennen und sie lernen eine Rose oder eine Tulpe als ganz spezielle Blumensorte kennen, dann haben sie da zum Teil sehr große Schwierigkeiten und werden im Gegenzug vielleicht von ihren Eltern eher überschätzt in diesen Fähigkeiten. Also das Untergliedern, das Umstrukturieren von bestehendem Wissen, das ist eine das ist ein sehr komplexer Prozess und der ist für die Kinder im Alter von drei bis vier Jahren nicht so einfach, wie es uns vielleicht scheint."

    Wenn die Kinder mit den Verben und den Hauptwörtern die wichtigsten Bausteine der Sätze erfasst haben, beginnen sie auch ein Gefühl für die Grammatik zu entwickeln, wie sich in den Hirnstrommessungen zeigt.

    " Wir haben ganz aktuelle Untersuchungen, die zeigen, dass Kinder im Alter von 2 Jahren bereits auf grammatisch falsche Sätze anders reagieren, als auf grammatisch richtige Sätze. Wenn wir den Kindern also solche Sätze darbieten wie "Der Löwe brüllt" oder "Der Löwe im brüllt", dann reagieren sie auf dieses "brüllt" in diesen beiden Sätzen unterschiedlich. Wir können daran sehen, dass die Kinder Wort schon bestimmten grammatischen Kategorien also zuordnen können, das sie sie als Nomen oder Verb oder Präposition erkennen und dass sie auch schon wissen, wie diese verschiedenen Wortkategorien miteinander kombiniert werden."

    Die grammatischen Erkenntnisse wenden die Kinder zwischen dem zweiten und dritten Geburtstag auch praktisch an. Sie bilden erst Zweiwortsätze, dann schnell Konstruktionen aus mehr Worten, bis sie mit drei, vier Jahren all ihre Wünsche und Bedürfnisse und Fragen ausdrücken können. Die Sprache ist im Kopf, aber sie ist dort noch lange nicht fertig abgespeichert. Zuhören und Sprechen sind Fähigkeiten, bei denen es auf Millisekunden ankommt. Anfangs sind dafür noch große Gehirnareale notwenig. Erst nach und nach wird die Sprachverarbeitung automatisiert und spezialisierten Zentren übertragen.

    " Die Verarbeitung von Sprache ist erst mal relativ aufwändig bei den Kindern. Wenn wir jedoch einfache Aktivsätze darbieten, dann können wir schon bei sehr kleinen Kindern sehen also unter drei Jahren, dass also schon automatisierte Prozesse zur Erkennung der Wortkategorie ablaufen. Um jedoch kompliziertere Strukturen wie es auch schon das Passiv für die Kinder darstellt zu erwerben benötigen die Kinder wieder einen erhöhten Aufwand und solche automatisierten Prozesse kommen nicht zu tragen."

    Erst mit der Pubertät ist die Spezialisierung des Gehirns auf die Sprache abgeschlossen. Erst dann werden auch alle Feinheiten der Muttersprache von den Zentren in der linken Hirnhälfte mit großer Geschwindigkeit verlässlich analysiert. Diese Umorganisation verläuft wahrscheinlich in Bahnen, die von einem angeborenen Programm vorgespurt wurden. Denn allein aus der inneren Logik der Lernprozesse ist nicht zu erklären, dass die Sprachzentren bei allen Menschen gleich angeordnet sind.

    Es liegt in der Natur des menschlichen Gehirns, sich die Muttersprache schnell und sicher anzueignen. Bei rund 6% aller Kinder kommt dieser Prozess allerdings ins Stocken, sie lernen nur langsam oder nur schlecht sprechen. Rund ein Drittel der Kinder in der Deutschen Sprachentwicklungsstudie stammt aus Familien, in denen schon Probleme beim Erlernen des Deutschen aufgetreten sind, sei es beim Bruder oder der Schwester, beim Vater oder der Mutter. Kinder aus solchen Familien haben ein höheres Risiko, selbst Schwierigkeiten mit der Sprache zu bekommen. Tanja Junge weiß was dass bedeutet. Ihre große Tochter hatte mit drei Jahren noch nicht richtig sprechen gelernt.

    " Sie fing Mama Papa erst mit anderthalb an zu sagen, also sie brauchte relativ lange und verständlich machen kann sie sich nur bei mir und meiner Mutter, der Vater versteht sie nicht, in der Kita hat sie arge Probleme, weil sie halt keinen Grundwortschatz hat und jetzt kommen so mit drei Jahren langsam die ersten Wörter wo man auch was mit anfangen kann. Meine Tochter ist ein Einzelgänger, die anderen Kinder wollen mit ihr nichts zu tun haben, weil sie sie nicht verstehen, es sind wenige, die auf sie eingehen so langsam nach einem halben Jahr, sie selber schafft sich aber lieber imaginäre Freunde, denn mit denen kann man in ihrer Sprache sprechen, ohne das es Probleme gibt."

    Je früher eine Therapie beginnt und je gezielter sie die besonderen Schwächen der Kinder angeht, desto wirkungsvoller ist sie. Eine schnelle und verlässlicher Diagnose ist deshalb entscheidend und genau hier will die deutsche Sprachentwicklungsstudie ansetzten. Schon bei Zweijährigen kann man über gezielte Fragen an die Eltern, etwa nach dem Wortschatz, eine erste Zwischenbilanz in Sachen Sprache ziehen. Kinder, die hier schlecht abschneiden, sind Manuela Friedrich häufig schon bei früheren Tests aufgefallen.

    " Wir sehen da Unterschiede schon bei sehr kleinen Kindern. Wir haben Säuglinge im Alter von zwei Monaten untersucht und zwar haben wir ihnen lange und kurze Silben dargeboten und wir sehen im EEG, dass das Gehirn automatisch reagiert, wenn eine lange Silbe in einem Kontext von vielen kurzen Silben dargeboten wird. Diese Reaktion, diese Detektion des Unterschieds, die ist bei den Kindern mit einem Risiko für Spracherwerbsstörungen verzögert, zeitlich verzögert."

    Die Ursache für diese Schwierigkeit im Unterscheiden von langen und kurzen Silben vermuten die Forscher in der Verbindung vom Ohr zum Gehirn. Die so genannte Hörbahn reift normalerweise in den ersten sechs Lebensmonaten aus, akustische Reize werden dann sehr viel schneller vom Ohr ans Gehirn weiter gemeldet. Wenn dieser Entwicklungsschritt rechtzeitig erfolgt, gelingt auch der Spracherwerb, das belegen jetzt die Daten der Deutschen Sprachentwicklungsstudie. Verzögert sich dagegen die Reifung der Hörbahn, haben die Kinder ein deutlich höheres Risiko, mit zwei Jahren nur über einen auffällig kleinen Wortschatz zu verfügen. Wahrscheinlich kann das Gehirn ohne die schnellen akustischen Informationen kein Gespür für die Melodie der Muttersprache entwickeln. Das macht es schwer, die einzelnen Wörter aus dem Lautstrom herauslösen. Damit aber fehlen den Kindern die Bausteine zum Verständnis der Sprache, meint Zvi Penner.

    " Es ist zumindest auf der Ebene der Produktion so, dass diese Kinder, wenn sie sozusagen, das Handwerk nicht haben, also das rhythmische Handwerk nicht haben um Wörter zu bilden, ganz bestimmte Wortsorten vermeiden und eigentlich auf Ersatzstrategien ausweisen. Das führt dazu das am Anfang der Wortschatz dieser Kinder sehr klein ist, so dass der fehlende Rhythmus praktisch so eine kleine Lawine los tritt und darunter begraben ist eigentlich die ganze Grammatik, Wortschatz bis zu Satzstruktur schlussendlich."

    Daran ändert sich auch nichts, wenn die Hörbahn schließlich doch ausreift. Es gibt offenbar eine kritische Phase. Wenn in dieser der Zugang zur Sprachmelodie fehlt, weicht das Gehirn auf weniger effektive Ersatzstrategien aus. Das die Babys so Sprache nur schlecht verstehen können zeigt sich schnell auch in ihren Äußerungen.

    Ihr Lallen klingt undeutlich, Kaugummi artig. Allerdings führt eine verspätete Reifung der Hörbahn nicht automatisch zu einer Sprachentwicklungsstörung. Ein Drittel der Risikokinder erreicht im Alter von zwei Jahren einen normalen Wortschatz. Dabei sind es vor allem Mädchen, die auch bei schlechten Ausgangsbedingungen den Weg zur Sprache finden. Die familiäre Belastung scheint dagegen keine so große Rolle zu spielen, wie die Forscher ursprünglich vermutet hatten. Derzeit lässt sich die Reifung der Hörbahn nur im Rahmen wissenschaftlicher Studien untersuchen. Eine Reihenuntersuchung von Babys beim Kinderarzt ist nicht möglich. Das ist aber so schlimm nicht, auch Drei-, Vier- oder Fünfjährigen mit Sprachproblemen kann geholfen werden. Entscheidend ist, dass das Gehirn Gelegenheit bekommt, die normalen, effektiven Strategien der Sprachverarbeitung gezielt zu lernen.

    " In unserer Kindertagesstätte ist die Situation folgendermaßen, dass wir zu 98, 99% Migrantenkinder haben, die zu uns ab 2, 3, 4 Jahren kommen oder gekommen sind und mit einem sehr, sehr schlechten Deutsch, fast, teilweise gar nicht, unvollständig, falsch hierher kommen in die Kita."

    Alltag für Erzieherinnen, und das nicht nur in Berlin sondern in vielen Großstädten. Natürlich versucht Regina Herzog-Stolterfoth das Deutsche zu vermitteln, aber das ist schwer, wenn die Kinder untereinander in ihrer Muttersprache, in Türkisch, in Serbokroatisch, reden. Sie ist deshalb immer auf der Suche nach effektiven Programmen zur Sprachförderung. Im Rahmen einer Studie hat sie auch Materialien erprobt, die Zvi Penner entwickelt hat.

    " Also das sind Karten aus festem Karton mit Tieren drauf, die ausgeschnitten sind wie ein Puzzle und wenn die Kinder beide Teile haben, dann passen die auch zusammen, also das ist die Pluralbildung."

    " Wenn man gesagt hat, so jetzt fangen wir an, waren sehr konzentriert, wollten das lernen und es hat ihnen auch wirklich Spaß gemacht und sie sind auch immer lange dabei."

    " Die Sprache hat sich schon wesentlich verbessert, das kann man schon sagen. Sie haben versucht genaue Satzstellung zu sprechen, Plural war besser, der Wortschatz war wesentlich erweitert durch die Karten und alle Sachen, die wir ihnen angeboten haben. Und sie sind vor allen Dingen, was mir so ganz speziell aufgefallen ist, aufmerksam geworden, wenn sie was falsch gesagt haben, dann haben sie, Oh, ups, da war doch irgendwas, also sie haben so ein Feeling für die Sprache bekommen."

    Kon-Lab nennen sich die Materialien, Zvi Penner hat sie an der Universität Konstanz entwickelt. Mit den bunten Karten sollen die Kinder gezielt nachholen, was sie beim Spracherwerb verpasst haben. Als erstes erspielen sie sich ein Gefühl für Betonungen. In einem zweiten Schritt geht es um Wortgrenzen und Satzstrukturen und am Ende um grammatische Regeln. Aber nie mit erhobenem Zeigefinger sondern immer nebenbei, spielerisch und ohne Lerndruck. Um den Effekt seines Programms zu untersuchen, hat es Zvi Penner in mehreren Berliner Kitas erprobt und die Sprachkompetenz der Kinder vorher und nachher untersucht.

    " Was wir feststellen ist A) das ist ein beträchtlicher Lerneffekt, den die Kinder aufweisen auf Gruppenebene B) können wir sagen, dass dieser Effekt nicht nur von den guten Lernern kommt sondern ganz besonders von den ganz schwachen Kindern. Also die Schwächsten Aller werden zu Regellernern, also ein Zustand der am Anfang gar nicht vorhanden ist. Wir können eigentlich auch sagen, dass interessante Transfereffekte stattfinden, dass Kinder ohne dass sie direkt gefördert werden in diesem Bereich zum Beispiel auch den Wortschatz vergrößern. Das heißt, das Regellernen, zum Beispiel das Erlernen von rhythmischen Regeln führt dazu dass sonst nicht vorhandene Lernressourcen bei diesen Kindern aktiv werden. So dass die Kinder praktisch freien Kopf bekommen um Sachen zusätzlich zu erwerben"

    In der Kontrollgruppe, deren Spracherwerb mit traditionellen Methoden gefördert wurde, verbesserte sich die Sprachkompetenz dagegen nicht. Jetzt soll das Kon-Lab Material in mehreren Berliner Bezirken ins Vorschulprogramm aufgenommen werden. Das Beispiel zeigt, es gibt Erfolg versprechende Methoden um Kindern zu helfen, die auf dem Weg zur Sprache ins Straucheln gekommen sind. Entscheidend ist, ihnen die Möglichkeit zu geben, die Meilensteine des natürlichen Spracherwerbs nachträglich zu entdecken. Diese Meilensteine haben die Sprachentwicklungsstudie und darauf aufbauende Projekte jetzt grob kartiert. Dieser Deutsche Beitrag fügt sich nahtlos ein in die Anstrengungen der Forscher weltweit. Für Patricia Kuhl lautet dabei die wichtigste Erkenntnis: das menschliche Gehirn für die Sprache geschaffen und die Sprache für das menschliche Gehirn.

    " Die Kinder starten mit einem Vorwissen, aber sie lernen noch viel mehr. Unser Gehirn ist auf den Spracherwerb eingerichtet und die Umwelt ist so eingerichtet, dass sie das richtige Material anbietet. Die Umwelt ist entscheidend. Wer keine Sprache hört, lernt sie auch nicht. Es gibt eine Entsprechung in der Entwicklung des Gehirns und der Entwicklung der Sprache. Gehirne müssen die Sprache erlernen, und die Sprache wurde so gestaltet, dass sie von Babys gelernt werden kann."