Was verbindet Sie mit Großbritannien?
Steve Hudson: Da komme ich her, das ist meine Heimat natürlich, da bin ich aufgewachsen, dafür schlägt immer noch mein Herz. Mich verbindet manchmal ein sehr großer Frust: ein Land mit so wenig Selbstkenntnis, mit diesem Klassensystem und einer Monarchie, die erzählt, manche wären besser geboren als andere. Aber andererseits: sehr viel Solidarität, Humor; momentan auch sehr viel Hoffnung, würde ich sagen. Komischerweise mehr Hoffnung in Großbritannien als sonst wo in Europa, weil: gerade die Jugend ist wach.
Als Sie von dem Austrittsvotum gehört haben, was ging Ihnen als erstes durch den Kopf?
Steve Hudson: Zuerst: "Ach, Scheiße! Die haben es echt getan!" Ich hatte es schon geahnt. Dann: große Traurigkeit, weil ich von der Freizügigkeit der Menschen in der EU profitieren konnte. Aber dann auch ehrlich gesagt ziemlich viel Wut, weil das liberale Establishment so in Aufruhr war: "Das geht gar nicht! Das sind alle Idioten! Der Pöbel hat so falsch gewählt!" Und die haben sich nie ernsthaft gefragt, warum es dazu gekommen ist. Der Brexit ist nur ein Symptom. Dass das britische Establishment sich selbst an die Nase packt, das ist immer noch nicht da. Die Ursachen zu bekämpfen, das ist die Frage.
Was werden die Briten nach dem Brexit an Kontinentaleuropa vermissen?
Steve Hudson: Na ja, die Insel bleibt da, die geht nicht weg. Also ich nehme an, dass es nicht so eine Mauer im Ärmelkanal errichtet wird und wir nicht mehr herüber können. Wahrscheinich wird es wirtschaftliche Folgen geben, das ist klar. Für die Industrie wird es gegebenenfalls sehr schwer.
Brüssel war immer schuld
Es kann sein, dass ein Sündenbock nicht mehr da ist. Und dass man, wo man immer früher Brüssel die Schuld für manches gegeben hat - wo manchmal Brüssel die Schuld hatte, aber in vielen anderen Fällen Brüssel die Schuld eindeutig nicht hatte -, da müssen sie die Dinge selbst machen. Aber ich hoffe, die kulturelle Verbindungen und die Freundschaft, die werden bleiben. Und ich glaube nicht, dass das so schnell vergeht.
Drehen wir den Spieß um: Was wird den EU-Bürgern nach dem Auftritt fehlen?
Steve Hudson: Ein riesen Klotz am Bein. Die Briten waren die Schlimmsten in Europa. Dieses ganze Neoliberale, was man mit Griechenland getan hat und so, das kommt von den Briten. Das war Großbritanniens Geschenk an Europa. Jeder Versuch, die EU zu demokratisieren, wurde von den Briten - ob von Tony Blair oder nachher von den Konservativen dann - absolut geblockt. Die sind jetzt weg.
"Im Windschatten der bösen Briten"
Also Deutschland, das ist eure Chance jetzt. Macht die EU endlich mal demokratisch, dass wir mit unseren Stimmen auch wirklich die politische Richtung in der EU ändern können. Die Briten mit dem ganzen Lobbyismus … ich glaube, sehr viele Regierungen in Europa waren ganz glücklich, im Windschatten der bösen Briten auch ihr Unwesen treiben zu können. Aber da die Briten weg sind, ist der größte Bremser weg. Also politisch jetzt: volle Kraft voraus!
Gibt es ein britisches Sprichwort, das die aktuelle Lage aus Ihrer Sicht auf den Punkt bringt?
Steve Hudson: Never trust the Tory.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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