Lotte Lenya ruderte ihn über den See. Beide sollen sich sehr bald zueinander hingezogen gefühlt haben, so schnell und so sehr, daß sie ein wenig derangiert am anderen Ufer ankamen. Sehr bald beginnt der Briefwechsel, den Lys Symonette und Kim Kowalke im Auftrage der Kurt Weill Foundation mustergültig herausgegeben haben. Zehn Jahre haben sie daran gearbeitet, und man merkt es den kleingedruckten Fußnoten an, wie sorgsam hier zu Werke gegangen wurde. So ist der Briefwechsel aber auch ein Spiegel dieser unruhigen, aufregenden Jahrzehnte, und wer sich auf die Lektüre einläßt, bekommt auf höchst unterhaltsame Weise ein Hauptstück der Intellektuellengeschichte unseres Jahrhunderts präsentiert. Es sind viele Briefe erhalten, aber nicht aus allen Jahren: Briefschreiben setzt Trennung voraus; die gab es regelmäßig, aber nicht in jedem Jahr. Schön ist es, daß die ersten kleinen Billets von Kurt Weill erhalten sind, die den Ausbruch dieser Liebe festhalten. Sie sind im expressionistischen Tonfall geschrieben, erinnern an den gemeinsamen Mentor Georg Kaiser; sie zeigen aber zugleich, wie schnell und genau Weill Lage und Verfassung der geliebten Frau erfaßt hat:
"Linerl, es ist wahr, Sie brauchen einen Menschen, der Ihnen gehört, denn da muß einer sein, bei dem Sie nicht lügen sollen. Auch das ist wahr: daß ich es sein muß. Aber womit werden Sie dann antworten? Bei mir wäre dieser Schritt nicht möglich ohne einen starken Einsatz dessen, was Sie achselzuckend Gefühl nennen, und woran Sie so gern glauben, weil Sie es nicht kennen. Das gehört aber in diesem Augenblick nicht mir. Werden Sie warten? (...) Ich denke viel und immer schön an Sie. Und ich wünschte, wir blieben noch dort, wohin dieses Abends Ende uns wies. Kommen Sie bald. Bitte. Ihr Kurt Weill."
Dem scheint Lenya gefolgt zu sein, und im Mai 1925 ziehen sie zusammen in eine kleine, etwas düstere Wohnung, die Georg Kaiser dem jungen Paar am Luisenplatz überlassen hatte. Das ergab also keine Briefe. Es sind gelegentliche Besuche von Lotte Lenya bei den Eltern Weill in der Gegend von Leipzig oder bei Kaisers in Grünheide, die wiederum Schriftliches provozieren. Und ganz früh schon, im Juli 1926, hebt Weill die Bedeutung von Lotte Lenyas Stimme für ihn hervor. Man muß dieses Bekenntnis recht ernst nehmen, macht es doch verständlich, daß Weill so zu seiner Frau stand, daß diese ihn gar nicht betrügen konnte. Das ist eine Kategorie, die für Weill nicht zählte. Und in diesem frühen Bekenntnisbrief wird deutlich, warum:
"Wenn ich mich nach Dir sehne, so denke ich am meisten an den Klang Deiner Stimme, den ich wie eine Naturkraft, wie ein Element liebe. In diesem Klang bist Du (für mich) ganz enthalten, alles andere ist nur ein Teil von Dir, und wenn ich mich in Deine Stimme einhülle, bist Du ganz bei mir. Ich kenne jede Nuance, jede Schwingung Deiner Stimme und höre genau, was Du sagen würdest. Und plötzlich ist mir dieser Klang wieder ganz fremd und neu, und dann ist es höchste Seligkeit, zu wissen, wieviel streichelndes Liebkosen diese Stimme für mich hat - das ist dann wie in den ersten Wochen, als ich schon den Gedanken an Dich für Vermessenheit hielt. (... ) Und jetzt, wo es wieder wie am ersten Tag ist, bin ich auch nicht mehr traurig darüber, daß da irgendwo Deine Stimme klingt - und ich sie nicht höre."
Die Bekanntschaft von Weill und Brecht begann im Jahre 1927. Immerhin entwickelt sich jetzt so etwas wie eine veritable Karriere für Weill. Erich Kleiber dirigierte 1927 an der Berliner Staatsoper zwei Werke von ihm nach Texten von Yvan Goll. Es gab eine Reihe von ehrenvollen Aufträgen. Für das Festival für moderne Musik in Baden-Baden will er ein Song-Spiel nach Brechts "Mahagonny"-Gesängen schreiben. Man lernte sich eher zufällig kennen, es kam zur Zusammenarbeit, zunächst an der Oper "Mahagonny". Lotte Lenya erzählt im Rückblick von dieser Phase, und das mag die These von Brecht, dem Frauenausbeuter, ein wenig korrigieren:
"Oft begleitete ich Kurt damals zu Brechts Studio in der Spichernstraße. Dort gab's immer eine bestimmte Phase in der Arbeit der beiden, in der sie uns alle ermunterten, eigene Ideen beizusteuern - so gibt es im ersten Duett zwischen Jim und Jenny zwei oder drei Textstellen, die von mir sind. Brecht fragte mich damals: ‘Lenja, also was sagt denn so ein Mädchen (...), was fragt denn so ein Mädchen ihren Mann, wenn sie ihn da, im Bordell, trifft?’ Darauf antwortete ich: ‘Trage ich Wäsche unterm Rock oder geh ich ohne Wäsche?’ Der Brecht nahm alles sofort auf - ganze Dialogstellen verschiedener Leute. (...) Aus diesen langen, fantastischen und oft sehr lustigen Diskussionen pickten sich Kurt und Brecht dann das für sie Passende heraus. Als ich vor kurzem mit Brechts Sekretärin Elisabeth Hauptmann sprach, waren wir uns einig: jetzt, nachdem das alles Geschichte ist und die Flut der todernsten kritischen Abhandlungen und dicken Bücher darüber steigt - wer weiß denn noch, wieviel Spaß das damals gemacht hat?"
Die Arbeit an "Mahagonny" mußte unterbrochen werden, weil ein Eilauftrag des Produzenten Ernst Aufricht dazwischen kam: "Die Dreigroschenoper". Die war ein durchschlagender Erfolg, die beiden folgenden Stücke, "Mahagonny" und "Happy End", versuchten, daran anzuknüpfen. Doch wurde die Beziehung der beiden belastet, da Weill den Weg in die radikale Politisierung nicht mitging. Brecht schimpfte ihn einen "falschen Richard Strauß" und distanzierte sich von der "Mahagonny"-Inszenierung, die gleichwohl ein großer Erfolg wurde. Brechts und Weills Arbeitsbeziehung war damit zumindest vorläufig beendet, schreibt Lotte Lenya in ihren Memoiren, und beide mußten sich erstmal voneinander erholen. Diese Erholung dauerte recht lange, es gab im amerikanischen Exil wiederum Annäherungsversuche vonseiten Brechts, die aber so einseitig den eigenen Vorteil im Auge hatten, daß die Weills ihn fast nur noch als "Schwein" in ihren Briefen führten. Lotte Lenya drückt sich sehr unverblümt aus:
"Und dieser stupide Brecht, dieser chinesisch-augsburgische Hinterwäldler-Philosoph. Daß jetzt Briefe von ihm unsern Briefkasten besudeln, geht schon zu weit."
Weill möchte ihm eher helfen und findet, vielleicht habe er so viel durchgemacht, "daß seine bessere Seite wieder zutage kommt". Weill hatte auch die zu erlegende Summe für Brechts Visum bezahlt und überlegt, ihm mit monatlichen Beträgen auszuhelfen. Doch dann kamen Vertragsentwürfe von Brecht für eine Adaption der "Dreigroschenoper", und da kippt auch Weill um:
"Ich glaube du hast recht, was Brecht betrifft. Meine Bedingungen werden völlig übergangen und das Ganze ist so verlogen und ausbeuterisch, wie nur Verträge mit Kommunisten sein können. Ich kann darüber nicht mal wütend werden, weil es einfach vollkommen idiotisch ist. Aber ich kann bestimmt keine Zeit mehr damit vertrödeln."
Am 21. März 1933 war Kurt Weill emigriert. Das von ihm komponierte Theaterstück "Der Silbersee" war Opfer von Nazi-Demonstrationen geworden, seine Musik wurde als minderwertig, als geistlos und dekadent beschimpft. Für eine zeitgenössische modern-avantgardistische Kultur war Deutschland kein Ort mehr; doch Weill ist auch unzufrieden, daß so viele Emigranten den bequemen Weg ins Wiener Kaffeehaus wählen, und er hält das seinem Verleger vor:
"Lethargie ist im jetzigen Moment ganz unangebracht. Ich finde es einfach ganz falsch und unhaltbar, daß Sie alle jetzt in Wien sitzen und Trübsal blasen, anstatt das zu machen, was in Ihrer und unser aller Lage heute das einzig mögliche ist: ins Ausland zu gehen und dort alle Möglichkeiten zu untersuchen, um für Ihre Verlagswerke neue Absatzmärkte zu finden, neue Beziehungen anzuknüpfen, neue Aufführungsmöglichkeiten aufzuspüren oder zu schaffen. Warum sind Sie jetzt nicht in Paris?"
Weill traf dort ein und begann gleich mit dieser Art von Arbeit. So fand er einen englischen Finanzmann bereit, eine Ballett-Oper zu finanzieren, falls er die Musik schriebe. Weill bat Cocteau um einen Text, der lehnte ab, schließlich kam Brecht aus der Schweiz herüber, und in erneuter Zusammenarbeit entstanden "Die sieben Todsünden", die Balanchine zur Aufführung brachte. Lotte Lenya und Tilly Losch sangen die beiden Annas. Pikant ist, daß Weill auch den österreichischen Tenor Pasetti zur Mitwirkung einlud. Mit ihm hatte Lenya eine sich stürmisch entwickelnde Liebesbeziehung aufgebaut, die von Weill geduldet wurde. Gleichwohl muß man annehmen, daß Pasetti der Grund war, daß es 1933 zu einer offiziellen Scheidung des Paares kam. Später versuchte Lenya das herunterzuspielen und die Scheidung als Taktik darzustellen, um etwas vom Vermögen ins Ausland zu retten. Das Kapitel Pasetti ist ein recht dunkler Flecken in dieser Beziehung: Er machte elegante Reisen mit Lenya, zumeist in südliche Spielcasinos, und die Briefe von Lenya versichern treuherzig, daß er eine todsichere Methode habe, um zu gewinnen. Weill antwortet lakonisch mit Glückwünschen dazu, muß aber regelmäßig mit Geld aushelfen. Das Haus der Weills in Berlin wird verkauft und ebenfalls verspielt, Weill hatte Pasetti wohl eine Vollmacht ausgeschrieben, da er als neudefinierter Jude und Emigrant nicht selber tätig werden konnte. Erstaunlich, daß der Briefwechsel nicht abreißt. Ganz offensichtlich nahm Lotte Lenya diese Liebe auch als Eskapade, wie sie sich eine von Zeit zu Zeit genehmigte. Die Orte wechseln jetzt häufig: Positano, Paris, London, Ostende, Rom. Aus San Remo schreibt Lenya im November 1933 an Weill in Paris:
"Wir gewinnen jeden Tag 200-250 Lire mit einem geringen Kapitalsaufwand. In Rom werden wir alles besprechen. Alles zu schreiben ist zu umständlich. Dieses Roulette macht mich sehr nervös."
Lotte Lenyas Beziehung zu Weill war komplexer Natur, schloß wohl einen Vater-Ersatz mit ein, vor allem eine tiefe Hochachtung vor seiner Arbeit, seinem Werk, seinem Charakter. Ihre Briefe nehmen sehr genau Anteil an Weills Arbeit, gehen sehr kompetent auf lauter Einzelheiten ein, für ein geschiedenes Paar ganz ungewöhnlich. 1934 zeichnet sich für Weill die Möglichkeit ab, nach Hollywood zu gehen, wo Sternberg einen Film mit Marlene Dietrich machen möchte, den er komponieren soll. Lenya ist begeistert und vergißt sozusagen die Scheidung, auch wenn Pasetti noch im selben Brief erwähnt wird:
"Mit Sternberg und Marlene einen musikalischen Film! Es ist nicht auszudenken, wie schön das ist. Da kannst Du doch alles verwerten, was Du in den Jahren Warten auf eine Film an Ideen gesammelt hast. Wenn es zustande kommt, wirst Du auch einen günstigen Vertrag bekommen. Dein Verleger wird ja wissen, wie solche Verträge aussehen müssen. Und wie steht mein Weilchen da? Ganz groß."
Das könnte noch als Anteilnahme genommen werden, aber Lenya geht weiter und diskutiert die anstehenden Probleme quasi als Ehefrau. Es ist sogar anzunehmen, daß das keine Finte ist, sondern daß sie wirklich so fühlt. Gerade weil ihr Mann ihr stets den Freiraum gewährt hat, sich auch auf andere einzulassen. Ihr Brief fährt fort:
"Es wird Dir ja innerlich etwas schaden, weil Du sicher furchtbar frech wirst, aber das werde ich dann übergehen."
Und auch spätere Sätze klingen wie ein Angebot, jedenfalls deuten sie an, daß Lenya im Prinzip bereit scheint zurückzukommen:
"Solltest Du einen netten Amerikaner für mich finden, der mich rasch heiratet, zwecks eines amerikanischen Passes - denk daran. Ich kann natürlich zu jeder Zeit kommen, wenn Du mich brauchst. Du wirst ja einige Garderobe brauchen, wenn Du rüberfährst."
Taktvoll halbverschleierte Sätze: die Heiratsabsicht ließe sich auch als Wiederverheiratung auslegen, was das Paar später ja getan hat. Dem allzu direkten Angebot "Ich kann zu jeder Zeit kommen" wird der besänftigende Satz nachgestellt, daß Weill "ja einige Garderobe brauche", was sich indirekt auch auf die gewohnte Frau beziehen läßt. Pasetti war mit dem Gelde Weills schließlich durchgegangen. Es gibt noch zahlreiche Manöver, bis das deutlich ist, das Paar Weill spricht sich darüber schriftlich nicht genauer aus. Jedenfalls steht Weill seiner Ex-Frau, die er immer noch als seine Frau sieht, gehörig bei, und sie schreibt ihm ganz hilflos:
"Ich will jetzt nicht die Nerven verlieren, obwohl dieses Warten schrecklich ist. (...) Wenn Du nicht wärst, ich wüßte wirklich nicht, was ich jetzt anfangen sollte. Aber dieses Pech muß doch bald aufhören."
Es hörte immerhin ein wenig auf, als sich das Paar wieder zusammenfand, was freilich eine Trennung nicht ausschloß. Weill probierte sein Glück in England, während Lenya noch in Paris blieb, Grund genug für regelmäßige Briefe. Eine gewisse Zerknirschung ist in den Briefen Lenyas unüberhörbar:
"England ist ein wichtiger Boden für Dich. Der ist in der kurzen Zeit, in der Du drüben bist, nicht zu erobern. Bitte, Weilchen, verliere nicht die Geduld. Es lohnt sich da drüben bestimmt durchzuhalten. Sicher hat man die Presse gar nicht bearbeitet. Die haben doch noch keine Ahnung von Dir. (... ) Vielleicht, Weilchen, ist doch zu überlegen, ob Du nicht nach England übersiedelst. Wir können uns das Leben da bestimmt billig einrichten. Wie gesagt, ich mache alles. Das bißchen Haushalt ist ja so schnell gemacht. Und Du bist ganz unabhängig. Ich störe Dich gar nicht."
Weill, der auch bei Max Reinhardt in Salzburg mitarbeitet, bekommt schließlich ein Angebot in die USA, und das ist der Zeitpunkt für eine Entscheidung. Er lädt Lenya ein, mitzukommen, wieder mit ihm zusammenzuleben. Im September 1935 trifft das Paar in New York ein und macht sich daran, Amerika zu erobern. Das war gar nicht leicht, auch wenn beide bekannt, ja berühmt waren. Und der Briefwechsel der nächsten Jahre beleuchtet das in vielen Einzelheiten. Da muß um Verträge und Produktionsmöglichkeiten gekämpft, gefeilscht werden, und Weill muß lernen, sich auf die Bedingungen des amerikanischen Kulturbetriebs einzustellen. Beide lernen energisch Englisch, und bald kann Lenya auch Rollen bei einem Reisetheater wahrnehmen. Das bringt sie oft an den Rand der Erschöpfung. 1937 bekommt Weill Angebote in Hollywood, während Lenya für ihre Arbeit in New York bleibt. Der Briefwechsel dieser Jahre ist aufschlußreich, leuchtet sehr genau in die Kulturszene jener Jahre hinein, vor allem ins Betriebliche, über das sich die Eheleute immer wieder sehr professionell verständigen. Beide müssen sie lernen, mit dem Verhandlungsstil der Branche, mit dem Sich-Verkaufen zurechtzukommen. In den vierziger Jahren gehen die Briefe auf Englisch über, schon weil das Betriebliche, das sie so genau diskutieren, kaum übersetzbar ist. In der vorliegenden Ausgabe sind die Briefe gleichwohl auf Deutsch gegeben, eine konsequente Entscheidung, die Ausgabe liegt ja auch auf Englisch vor. Die Briefe zeigen wiederum, wie sehr die beiden aufeinander abgestimmt sind, und wirken wie eine Fortsetzung des häuslichen Gesprächs. Dabei zeigt sich Lenya durchaus als ebenbürtiger Partner: Oft hat sie den besseren Durchblick. Das bewährt sich im Geschäftlichen wie im Menschlichen. Ihre Einschätzungen von Kollegen sind oft sarkastisch im Ton: Sie verträgt es nicht, wenn die von Weill schlecht gesprochen haben oder ihn ausnutzen möchten. Dann lieber umgekehrt. So spricht sie von Adorno, dessen Vaternamen ja Wiesengrund war:
"Wenn Du dazu kommst, den Wiesengrund zu sehen, so tue es. Der hat doch immer so gute Beziehungen zum vornehmen zarten Aroma. Und der macht doch ein bißchen Wolke für Dich, falls er nicht selbst seine unsterblichen Werke anpreist."
Vielleicht war das ein bißchen der Stil des Hauses. Adorno, der bei Weill für Brecht Stimmung zu machen versuchte, ausgerechnet für eine Jazz-Oper, nachdem er den Jazz als kulturfeindlich denunziert hatte, Adorno gehört bei Weill zur "ganzen Brecht-Scheiße" und heißt ihm "das blasse flammende Arschloch dieser Wiesengrund". Jedenfalls nimmt Kurt Weill kein Blatt vor den Mund, wenn es um Intellektuelle geht, die seinen Ansprüchen nicht genügen:
"Werfel ist so ungefähr das widerlichste und schmierigste Literaten-Ferkel, das mir begegnet ist. Er hat Angst vor jeder Note Musik. Aber ich habe sehr leichtes Spiel mit ihm, weil er feige ist und sofort nachgibt, wenn man fest bleibt. Gestern nachmittag war ich auf einen Sprung bei Gershwins. Sie bewohnen einen Palast, mit Swimming Pool und Tennis Court. Aber George ist noch dümmer geworden, als er schon war. Sie waren sehr nett zu mir."
Ungleich positiver wird die Thomas-Mann-Familie beurteilt, und darin zeichnet sich auch Grundsätzliches ab: Weills Widerstand gegen jeden Dogmatismus, sein praktischer wie theoretischer Versuch, bürgerliche und Massenkultur zu versöhnen.
"Bei den Révys war ich zum Abendessen mit den Thomas Manns, die eine sehr angenehme Überraschung waren - zwei ganz reizende alte Herrschaften, weise, humorvoll, intelligent und haushoch überlegen all diesen intellektuellen Emigranten des Brechtklüngels. Ich habe die Gespräche mit ihnen genossen."
Anrührend ist immer wieder die Sorglichkeit, mit der sich Weill und Lenya das Leben in der Fremde gegenseitig zu erleichtern suchen. Die Kriegszeit - und das weiß man in Deutschland zumeist nicht so genau - hat auch tief in den amerikanischen Alltag eingegriffen: Stromsperren, Benzinrationierung, Meldepflichten für Ausländer, abendliches Ausgangsverbot und ein auch für Einwanderer in Frage kommender Militärdienst. Aus Lakeland in Florida, wohin sie ein Gastspiel führte, schreibt Lenya an Weill:
"Dies ist ein hübsches Städtchen. Voll Soldaten aller Art. Aber eintönig! Darling, wir müssen uns überlegen, wie wir Dich da raushalten. Das ist kein Spaß. Ich sehe das jetzt. Man muß sehr jung sein, um das auszuhalten. Es ist wie in einer Viehherde zu leben. Die sind ja nie allein, einfach so zusammengewürfelt. Das ist für Dich doch ganz unmöglich."
Weill bekam 1942 in der Tat einen Fragebogen von der Musterungsbehörde zugeschickt und nahm das ganz gelassen: "Es würde mir nichts ausmachen", notiert er. Aber es kommt dann doch nicht so weit. Das Paar kauft sich ein schönes Haus mit Garten in New City im Staate New York, um das viele Briefe kreisen. Weill lobt die Gartenarbeit, gab es doch immer wieder leichte Depressionen. Die Briefe sind so ausgefüllt wie die Tage der Beiden. Es gibt allerlei Rückschläge, aber auch große Erfolge. So komponiert Weill ein großes Festspiel, das 1943 vor über 40 000 Zuschauern in New Yorks Madison Square Garden aufgeführt wird - es war den (damals noch erst) "zwei Millionen jüdischen Toten in Europa" gewidmet und sollte auf den Holocaust aufmerksam machen, auf die vier Millionen Toten, die Hitler noch bis Jahresende zusätzlich auszumerzen versprochen hatte, wie der Kommentar sarkastisch anmerkt. Das Festspiel hat nicht viel vermocht, aber doch genug, daß Weill bedingungslos zu den Vereinigten Staaten stand. Im Juni 1947, nach einer Israel- und Europareise, schreibt Weill:
"Bei der Rückkehr in dieses Land hatte ich ein bißchen dasselbe Gefühl wie bei meiner Ankunft hier vor 12 Jahren. Bei all seinen Fehlern (und zum Teil gerade wegen seiner Fehler) ist es doch der beste Platz zum Leben, und so seltsam es ist, wo immer ich in der Welt Anstand und Menschlichkeit gefunden habe, dachte ich an Amerika; denn für mich ist Amerikanismus (oder sollte es sein) der fortschrittlichste Versuch, die Kluft zwischen dem Individuum und dem technischen Fortschritt zu schließen."
So verstand sich auch die Arbeitsmoral Weills und sein Versuch, mit den jeweils modernsten Medien zu arbeiten. Kurzschlüssig, ihn als 'Handlanger der Kulturindustrie" zu brandmarken, eine Wertung, die von der westdeutschen Linken recht allgemein aufgenommen wurde. Auch die Kapitulation Deutschlands, nimmt er - wie anders - am 8. Mai 1945 mit amerikanischen Augen wahr; er wünscht seinem Linnerl-Darling, also Lotte Lenya, von Los Angeles aus einen "Happy V-E-Day" (Victory-Europe-Tag):
"Ich denke den ganzen Tag an dich, weil es ja der Tag ist, auf den wir zwölf lange Jahre lang gewartet haben - seit jener Nacht im März 1933, in der wir per Auto nach München fuhren. (...) Hier merkt man nicht viel von Festtagsstimmung. Hier ist man dem Krieg im Pazifik viel näher und das läßt echte Friedenslaune nicht aufkommen. (...) Aber früh als ich aufstand (ich habe um 6 Uhr Trumans und Churchills Reden gehört) wurde mir klarer denn je, was dies bedeutet - und als ich zum Studio fuhr, fühlte ich mich wie eine Million Dollar, weil es zu einer Zeit geschehen ist, in der wir noch jung sind und in einer Welt ohne Nazis genießen können, was man so unsere besten Jahre nennt."
Es gibt dann nicht mehr viel Korrespondenz zwischen dem Weill und Lenya, aus dem einfachen Grunde, daß sie sich kaum mehr länger trennten. Das wurde Weill fatal, so pointieren die Herausgeber. Als er 1950 völlig erschöpft nach der Arbeit am Musical "Lost in the Stars" in Kalifornien Urlaub machen wollte, ließ Lenya ihn nicht fahren. Sie fürchtete, daß eine langjährige Beziehung, die er dort unterhielt, zu einer Gefahr für ihre Ehe werden könnte. Seinen 50. Geburtstag brachte er mit Grippe zu, im März folgte ein Herzanfall, am 3. April sein plötzlicher Tod. Lenya war untröstlich, wie die Freunde berichten, hat sich dann aber gefaßt und über dreißig Jahre lang als Weill-Witwe seinem Werk gedient, auch wenn sie noch mehrere Ehen einging. Und sie hat doch gleichzeitig eine eigene Schauspiel- und Filmkarriere aufbauen können, die sie noch zu hohen Ehren führte. Gestorben ist sie am 27. November 1981. Die Rechte an Weills Arbeiten sind in einer Stiftung untergebracht worden, die unter anderem diese Ausgabe des Briefwechsels unterstützt hat. Dem Buch sind zwei Charakterisierungen vorangestellt, fünfzig Jahre voneinander entfernt; die sollen den Hinweis auf dieses wirklich spannend zu lesende Buch abschließen.
MEINE FRAU Sie ist eine miserable Hausfrau. Aber eine sehr gute Schauspielerin.- Sie kann keine Notenlesen, aber wenn sie singt, dann hören die Leute zu wie bei Caruso. (Übrigens kann mir jeder Komponist leid tun, dessen Frau Noten lesen kann.)- Sie kümmert sich nicht um meine Arbeit (das ist einer ihrer größten Vorzüge.) Aber sie wäre sehr böse, wenn ich mich nicht für ihre Arbeit interessieren würde.- Sie hat stets einige Freunde, was sie damit begründet, daß sie sich mit Frauen so schlecht verträgt. (Vielleicht verträgt sie sich aber auch mit Frauen darum so schlecht, weil sie stets einige Freunde hat.)- Sie hat mich geheiratet, weil sie gern das Gruseln lernen wollte, und sie behauptet, dieser Wunsch sei ihr in ausreichenden Maße in Erfüllung gegangen.- Meine Frau heißt Lotte Lenja.
(Mein Mann) Oft hat man Weill eine gewisse Arroganz vorgeworfen. Er war aber alles andere als arrogant; er war nur äußerst zurückhaltend und schuf oft zwischen sich und anderen eine gewisse Distanz, als ob eine unsichtbare Mauer ihn umgäbe. Wirklich gut kannte ihn eigentlich niemand. Ich habe mich oft gefragt, ob ich ihn gekannt habe. Ich war 24 Jahre lang mit ihm verheiratet, und bevor wir heirateten, lebten wir zwei Jahre miteinander, insgesamt also 26 Jahre. Aber als ich ihn sterben sehen mußte, zweifelte ich, ob ich ihn jemals gekannt habe.