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Spur zu den Hintermännern verliert sich

Der Mörder des türkisch-armenischen Journalisten Hrant Dink wurde schnell gefasst und verurteilt. Jetzt soll auch der Prozess um die angeblichen Auftraggeber in Istanbul abgeschlossen werden. Doch die Dink-Anwältinnen erheben schwere Vorwürfe gegen die Staatsanwaltschaft: Beweise seien vernichtet und Hinweisen nicht nachgegangen worden.

Von Gunnar Köhne |
    Er hatte sich nicht gescheut, die Massaker an den Armeniern im Osmanischen Reich einen "Völkermord" zu nennen. Doch wichtiger als der Streit um die richtigen Worte war Hrant Dink die Aussöhnung von Türken und Armeniern:

    "Das Verhältnis zwischen Türken und Armeniern ist ein Fall für den Therapeuten. Die Armenier sind durch die Ereignisse von 1915 traumatisiert, die Türken ihrerseits leiden unter einer ständigen Paranoia, sie fühlen sich verfolgt. Es handelt sich um ein gegenseitig bedingtes klinisch abnormales Verhalten."

    Es waren solche Worte, die Hrant Dink zur Zielscheibe türkischer Ultranationalisten machte. Kurz vor seiner Ermordung im Januar 2007 beklagte sich Dink in mehreren Artikeln über Todesdrohungen "Warum werde ich zur Zielscheibe gemacht?" überschrieb er einen dieser Artikel. Doch diesen Drohungen ist in dem laufenden Prozess gegen zwei verbliebene Tathelfer bislang nicht nachgegangen worden. Unter anderem deshalb hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte 2010 geurteilt, der türkische Staat sei mitverantwortlich für den Mord durch Unterlassung. Vergangene Woche erhob auch die Rechtsanwältin der Familie Dink, Fethiye Cetin, Vorwürfe gegen die Staatsanwaltschaft: Sie hätte Verbindungsprotokollen der Telekommunikationsbehörde bewusst nicht überprüft:

    "Wir haben Belege dafür, dass die beiden Beschuldigten am Tag des Mordes von der Gegend des Tatorts aus fünf Telefonnummern angerufen haben. Wir wollen wissen, wer die Angerufenen sind. Mehr nicht."

    So gehe es nun schon seit fünf Jahren, beklagen die Nebenkläger: Immer wieder würden Beweismittel ignoriert, verheimlicht oder zerstört. Dabei sei die Kette der Verantwortlichen für das Verbrechen überdeutlich. Angefangen von den nationalistischen Medien, die den 52-jährigen Journalisten als Verräter an den Pranger gestellt hätten. In der Heimatstadt des Mörders, Trabzon, wussten Polizei und Geheimdienst von den Anschlagsplänen; kürzlich wurden einige Mitglieder der Sicherheitskräfte deshalb wegen "Fahrlässigkeit" zu mehrmonatigen Haftstrafen verurteilt. Doch Freunde und Angehörige von Hrant Dink sind sich sicher, dass dort nicht bloß weggesehen, sondern auch in Auftrag gegeben wurde. Schließlich wurde der Täter nach seiner Verhaftung auf einer Polizeiwache als Held gefeiert. Auch die Angeklagten selbst haben vor dem Richter immer wieder beteuert, bloß "benutzt" worden zu sein. Die Staatsanwaltschaft verteidige im Wortsinne den Staat und seine Angehörigen und nicht das Gesetz, beklagt eine weitere Dink-Anwältin, Arzu Becerik, im türkischen Fernsehen:

    "Nachdem wir in der letzten Verhandlung dem Gericht die verdächtigen Telefonverbindungsdaten vorgelegt hatten, behauptete der Staatsanwalt, die zuständige Polizeibehörde hätte keine Gesprächsverbindungen gefunden. Außerdem bewiesen diese Protokolle ja nicht, dass die Anrufe etwas mit dem Mord zu tun hätten."

    Nicht nur die Anwältinnen und Freunde der Familie Dink sind sich heute sicher, dass der Mord an Hrant Dink nicht alleine stehe. Im Jahr zuvor war der italienische Priester Andrea Santoro in Trabzon erschossen worden, kurz danach wurden der deutsche Missionar Tillmann Geske und zwei seiner türkischen Mitchristen umgebracht. Jedes Mal hatte die Regierung versprochen, die Verbrechen vollständig aufzuklären. Sollte es heute tatsächlich zu einem Urteil im Dink-Prozess kommen, dann sei dieses Versprechen endgültig nichts wert, so die Anwältin Arzu Becerik:

    "Dieser Prozess war von Beginn aus darauf ausgelegt, nur die direkten Tatverantwortlichen zu überführen, nicht aber ihre Auftraggeber. Ein solches Urteil würde der gesellschaftlichen Bedeutung dieses Mordes nicht gerecht und weitere Wunden schlagen. Gemeinsam mit vielen Tausend Unterstützern werden wir aber auch nach so einem Urteil nicht ruhen, bis die wahren Hintergründe dieses Verbrechens ans Licht gekommen sind."