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Spuren der Armut

Soziologie. - 2007 lebten in den USA 4,3 Millionen Kinder in Armut. Für andere Industriestaaten gibt es vergleichbare Zahlen, für Entwicklungs- und Schwellenländern wesentlich höhere. US-Forscher haben jetzt in Langzeitstudien untersucht, welche Folgen die Armut für das spätere Leben hat. Ihre Ergebnisse stellen sie im Fachblatt "Child Development vor.

Von Michael Stang |
    "Young children are like sponges that absorb everything that is in their environment."

    Kleinkinder sind wie Schwämme, die alles in ihrer Umwelt befindliche aufsaugen, sagt Thomas Boyce von der Universität von British Columbia in Vancouver. Was für positive Umweltbedingungen gelte, treffe leider auch für negative Erlebnisse in der Kindheit zu. Der kanadische Forscher hat in verschiedenen Studien die körperlichen Auswirkungen von Kindern aus finanziell schlecht gestellten Haushalten auf das spätere Leben untersucht. Neben einer schlechten Ernährung sei vermutlich ein Mangel an Fürsorge und Bildungsangeboten ein wichtiger Grund dafür, dass diese Kinder nicht optimal aufwachsen können. Kinder von Eltern mit höheren Schulabschlüssen etwa hören Thomas Boyce zufolge bis zum Alter von vier Jahren durchschnittlich 30 Millionen Wörter mehr als Kinder aus einem schwachen sozialen Umfeld. Zudem würde sich ein vermehrter Stress in der Kindheit noch später im Erwachsenenalter bemerkbar machen.

    "Es gibt zunehmend Beweise, dass eine Armut im Kindesalter später beim Erwachsenen für gesundheitliche Einschränkungen verantwortlich ist. Diese Defizite drücken sich unter anderem in einer erhöhten körperlichen Reaktion auf Stresshormone aus, zudem es gibt Veränderungen in der Gehirnentwicklung. All das zusammen genommen verhindert eine optimale Entwicklung eines Kindes, nur weil es in einer sozial benachteiligten Umgebung aufwächst."

    Dies bedeute jedoch nicht, dass diese Defizite nicht in Einzelfällen aufgearbeitet werden könnten. Eine Art Biologismus könne man hier nicht ableiten, warnt Thomas Boyce. Wie weit die Auswirkungen von Armut im Kindesalter im späteren Erwachsenenalter sind, hat auch Greg Duncan von der Universität von Kalifornien im US-amerikanischen Irvine mit Hilfe einer Langzeitstudie untersucht. Knapp 1600 Kinder, die zwischen 1968 und 1975 geboren wurden, haben Forscher bis 1995 regelmäßig begleitet und sie nach ihrer schulischen Ausbildung, dem Einkommen und den Anstellungsverhältnissen befragt. Die ältesten Studienteilnehmer waren bei Abschluss der Studie 37 Jahre alt.

    "Wir konnten nun zum ersten Mal wirklich untersuchen, welche wirtschaftlichen Auswirkungen Kinderarmut auf das spätere Leben der Betroffenen hat. Dabei sahen wir, dass Kleinkinder aus einkommensschwachen Familien später im Schnitt weniger verdienen und auch generell weniger arbeiten. Konkret bedeutet dies, dass Kinder aus Familien, die jährlich über ein Einkommen von 3000 US-Dollar über dem Existenzminimum zur Verfügung haben, später als Erwachsene im Durchschnitt 17 Prozent mehr verdienen als die finanziell schlechter gestellten Kinder."

    Wie groß die Aussagen dieser statistischen Durchschnittswerte für den Einzelnen tatsächlich sind, sei dahin gestellt. Die Ergebnisse von Duncan und Boyce zeigen jedoch deutlich, dass ein Mangel an sozialer Fürsorge, Bildungsangeboten und einer gesunden Ernährung weit reichende Einwirkungen auf das spätere Erwachsenenleben hat. Beide Forscher sind sich einig, dass vor allem die ersten fünf Lebensjahre entscheidend für die individuelle Entwicklung eines Kindes sind.