Archiv


Spuren der Beutekunst

Als die US-Amerikaner 1944 in der Normandie landeten, hatten sie eine Spezialtruppe dabei. Die Aufgabe der sogenannten "Monuments Men" war es, Hitlers Raubkunst wiederzufinden, sicherzustellen und ihren einstigen Eigentümern zurückzugeben.

Von Stefan Koldehoff | 22.07.2013
    Wer den texanischen Ölmilliardär Robert Edsel fragt, warum er 2,5 Millionen Dollar aus seinem Privatvermögen ausgegeben hat, um ein Buch über die Rettung von Nazis geraubter Kunstwerke durch US-Militärs zu finanzieren, erhält eine erstaunlich simple Antwort:

    "Ich wollte wissen, warum außer von einer Handvoll Akademiker ein so großer Teil der Weltkriegsgeschichte – und noch dazu einer, der bis heute so maßgeblich geblieben ist – einfach übersehen wurde. In der Vergangenheit hat sich die Kunstwelt vor allem um fehlende Kunstwerke, um Restitutionsforderungen und um die 'bad guys' gekümmert. Meine Arbeit dreht sich um die bemerkenswerten Männer und Frauen, die während eines Weltkriegs ihr Leben riskiert haben, um so viel wie möglich von unserer Kultur zu bewahren."

    Also begann er mit Hilfe von Historikern und Kunstwissenschaftlern, die Geschichte der "Monuments Men" zu recherchieren: Jener von Roosevelt und Eisenhower gegründeten Sonderabteilung der amerikanischen Armee, in der rund 350 Frauen und Männer ab 1945 versuchten, direkt hinter der Front Kulturgüter zu schützen. Sie wollten das wiederfinden und sicherstellen, was die Nationalsozialisten in ganz Europa geraubt hatten. Einen großen Publikumsverlag, der bereit gewesen wäre, den Band zu drucken, hatte Edsel nicht gefunden. Also brachte er ihn selbst heraus. Nun ist das Buch auch auf Deutsch erschienen – hier durchaus in einem Publikumsverlag – und es breitet eine erstaunliche Fülle von Fakten aus.

    Edsel und sein Team beschreiben, wie auch Hunderte deutscher Museen ihre Existenz bis heute der US-Army verdanken: Weil diese – anders als die Rote Armee mit ihren sogenannten "Trophäenkommissionen", nicht systematisch ganze Züge voller Kunstwerke als Kriegsbeute nach Hause schaffen ließ, sondern dafür sorgte, dass die von den Nazis geraubte und in Salzminen und Schlössern wie Neuschwanstein, in Bergwerken und Flakbunkern versteckte Kunst an ihre rechtmäßigen Eigentümer zurückgegeben wurde. Hunderttausende Objekte mussten dafür von Tausenden Versteckorten zu den Central Collecting Points, den Zentralen Sammelstellen, gebracht werden. Dort wurden sie identifiziert und inventarisiert und die Herkunftsländer bestimmt, aus denen sie gestohlen worden waren. Fast sechs Jahre dauerte es, bis alle fünf Millionen Objekte restituiert waren und der letzte Monuments Officer nach Hause zurückkehren konnte. Robert Edsel, der bereits einen Bestandskatalog der zusammengestohlenen Sammlung von Hermann Göring finanziert hatte, trug auch diesmal wieder eine Fülle von Details zusammen:

    "Die Monuments Men hatten ein Durchschnittsalter von 40 Jahren, meist Familie und waren in ihren Berufen erfolgreich. Viele von ihnen hatten in Europa studiert oder stammten von dort. Anfangs gab es nach der Landung in der Normandie nur ein Dutzend Monuments Officers in Frankreich und etwa 15, die für ganz Italien zuständig waren. Am Ende des Krieges gab es rund 100 in Europa. Die Gesamtzahl von 350 kommt dadurch zustande, dass nicht alle gleichzeitig im Einsatz waren. Ein Amerikaner und ein Brite wurden getötet, als sie deutsche Kunstwerke schützen wollten – darunter die Sammlungen des Beethovenhauses in Bonn oder der Berliner Gemäldegalerie. Die Nofretete wurde von alliierten Soldaten in einem Salzstock bei Merkers gefunden und dann nach Wiesbaden in den Central Collecting Point gebracht, wo Ken Lindsay jahrelang auf sie aufgepasst hat, bevor sie nach Berlin zurückkehren konnte."

    Sechs der Monuments Men - eine Frau und fünf Männer - leben noch. Als Robert Edsel 2007 mit seinen Recherchen begann, waren es noch 17, und er sprach mit allen. Außerdem mit Verwandten, engen Freunden und anderen, die die ganze Geschichte hautnah mitbekommen haben. Denn, so der Autor:

    "Hätte es sie nicht gegeben – die ersten Ermittler am Tatort, wäre vieles an heutiger Forschung viel schwieriger und teurer, um nicht zu sagen: unmöglich. Die Akten, die diese Männer und Frauen nach dem Krieg zusammengestellt haben, sind heute oft der Ausgangspunkt für Forscher."

    Einen Aspekt allerdings lässt Edsel in seinem Buch weitgehend außen vor: Auch in den USA hat in den letzten Jahren ein Generationswechsel stattgefunden, und private Sammlungen gehen von ehemaligen US-Soldaten auf deren Erben über. Dabei tauchen seit etwa zehn, fünfzehn Jahren immer wieder auch dort Werke auf, die amerikanische G. I.s nach 1945 aus Depots, von Auslagerungsorten oder aus den Central Collecting Points der Armee gestohlen haben. Der spektakulärste Fall war der mittelalterliche Domschatz aus Quedlinburg. Ihn fand der Kunstfahnder Willi Korte nach langen Recherchen in einem Bankschließfach in der texanischen Provinz wieder. Kostbare Gemälde und Stundenbücher, Grafiken und wertvolle Waffen: Nicht alle US-Soldaten hatten bei ihrem Einsatz in Deutschland nur das Wohl der Kultur im Sinn.

    Daraus nun zu folgern, die Deutschen seien nicht Täter, sondern Opfer gewesen, wäre allerdings völlig unangemessen und historisch falsch. Umgekehrt waren die US-Soldaten - jedenfalls, was den Kunstschutz angeht, aber auch nicht ausschließlich jene Helden, als die sie der Senat in Washington vor wenigen Monaten kollektiv geehrt hat – auf Initiative von Robert Edsel und seiner "Monuments Men"-Stiftung. In dessen Buch aber klingt die Geschichte so – und nur so. Und weil sie Hollywoodstar George Clooney zurzeit in Ostdeutschland mit Kollegen wie Cate Blanchett und Matt Damon, Daniel Craig und Bill Murray fürs Kino verfilmt, wird sie sich auch bald ins kollektive Weltgedächtnis eingegraben haben. Robert Edsels Buch ist die Grundlage für den Film, er selbst dient Clooney als Berater.

    Robert M. Edsel und Bret Witter: Monuments Men. Die Jagd nach Hitlers Raubkunst. Aus dem Amerikanischen von Hans Freundl. Residenz Verlag, 541 Seiten, 26,90 Euro.