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Spuren einer römischen Expedition

Archäologie. - Ein sehr seltener Fund ist bei Ausgrabungen am Harzhorn südlich von Bad Gandersheim geglückt. Die Archäologen entdeckten die Reste eines römischen Kettenhemdes aus dem 3. Jahrhundert. Es gehört zu den Spuren eines "vergessenen" Feldzugs der Römer gegen die Germanen, der sie zu Beginn des 3. Jahrhunderts weit über die Reichsgrenze hinausführte.

Von Jens Wellhöner |
    Vorsichtig legen Archäologen Reste des Kettenhemds im Waldboden frei. Mit Stukkateureisen. Es gehörte wahrscheinlich einmal einem römischen Legionär, der einem der letzten Germanenfeldzüge der römischen Imperatoren zum Opfer fiel.

    Es ist das Jahr 235 nach Christus: Ein römisches Heer marschiert durch das feindliche Germanien. An der Spitze: Kaiser Maximinus Thrax, ein erfahrener Feldherr. Plötzlich stoßen Germanen aus dem Hinterhalt vor. Sie haben sich eine gute Stelle für den Angriff ausgesucht: Den steilen Hang des Harzhorns im heutigen Südniedersachsen. Die Römer müssen hart kämpfen, um aus der Falle heraus zu kommen, ihre Kettenhemden schützen sie vor den feindlichen Waffen, erklärt Michael Meyer, Professor für Prähistorische Archäologie an der FU Berlin. Er leitet die Ausgrabung am Harzhorn:

    "Denkbar ist, dass ein verwundeter Römer von seinen Kameraden im wahrsten Sinne aus der Schusslinie genommen wurde. Und das hier so eine erste Wundversorgung stattgefunden hat. Das heißt, man hat dem Kameraden den Gürtel und das Kettenhemd ausgezogen. Man hat die Wunde erstversorgt und wir wollen hoffen, dass er es geschafft hat. Und dann ist das Ereignis aber so tumultartig gewesen, dass man nicht mehr dazu kam, das Hemd mitzunehmen."

    Und so blieb das Hemd liegen, vergessen unter irgendeinem Busch. Das Metall verrostete. Bis fast 1800 Jahre nach der Schlacht die junge Archäologie-Studentin Julia Seidel bei der Ausgrabung am Harzhorn etwas Rötliches im Waldboden entdeckt:

    "Und auf einmal war im Abraum, den wir herausschütten wollten, dieser Riesen-Rostklumpen drin, der mir ins Auge gefallen ist, weil sich der Rost schön vom Boden abhebt. Und dann haben wir natürlich sofort die Arbeiten gestoppt."

    Grabungsleiter Michael Meyer wurde geholt. Und der sah sofort, dass hier ein sehr seltener Fund in der Erde schlummerte. Römische Kettenhemden haben nur selten die Jahrhunderte überdauert, denn das dünne Metall der Ringe zersetzt sich normalerweise schnell. Um so größer die Freude der Archäologen über den Fund am Harzhorn. Hier enthält der Boden Kalk, so konnte sich das Metall zum Teil erhalten. Allerdings ist das Kettenhemd im Laufe der Jahrhunderte in mehrere Teile zerfallen. Sie sehen aus wie rote Lehmklumpen. Auf den Klumpen scheinen Abdrücke von kleinen Ringen zu sein. Grabungsleiter Michael Meyer:

    "Das sind keine Abdrücke, das sind die kleinen Ringe, die dann zu diesem Kettengewebe zusammengefügt sind. Und die sieht man. Das Metall ist, wenn ich das so laienhaft ausdrücken will, ich bin ja kein Restaurator, im Prinzip noch als Haut vorhanden. Und das muss jetzt stabilisiert und freigelegt werden."

    Der Kern der Ringe ist verschwunden, nur die äußerste Schicht ist noch vorhanden. Hohl-Korrosion nennen die Archäologen so etwas. Eine Herausforderung für die Konservatoren des Niedersächsischen Landesamtes für Denkmalpflege. Aber ein paar Brocken haben sie schon gereinigt und präpariert. Die Ringe sind gut zu sehen. Sie bilden ein dicht gewebtes Netz, es mögen um die 25.000 Ringe insgesamt sein. Die den ganzen Oberkörper bedeckten, vom Hals bis hinunter zum Bauch. Meyer:

    "Für das 3.Jahrhundert wissen wir das nicht mehr ganz genau, ob wirklich jeder der Soldaten so ein Kettenhemd oder überhaupt einen Körperpanzer hatte. Es gibt ja auch noch Schuppenpanzer. Aber die meisten werden mit so einem Kettenpanzer ausgerüstet gewesen sein."

    So ein Kettenhemd war wertvoll und nützlich im Kampf. Von anderen Schlachtfeldern weiß man, dass die Germanen nach dem Kampf den Toten ihre Rüstung abnahmen. Am Harzhorn haben sie das Kettenhemd wohl übersehen. Es gibt aber noch eine andere Theorie, wie es in den Boden gelangt sein könnte. Denn Germanen haben nach der Schlacht gerne die Waffen ihrer Feinde geopfert:

    "Das kennen wir aus dem germanischen Bereich sehr klar, dass die Waffen der besiegten Feinde, im Norden zum Beispiel, in Seen und Mooren versenkt werden. Hier kann das ja vielleicht etwas anders gewesen sein."

    Doch Professor Meyer und sein Team bevorzugen die Theorie, dass das Harzhorn-Hemd einem verwundeten Römer ausgezogen wurde. Denn es wurde ja nicht in einem Moor sondern direkt am Schlachtfeld entdeckt. Dass die Römer noch im 3. Jahrhundert überhaupt so weit ins feindliche Germanien vorgedrungen sind, haben die Forscher nicht geglaubt. Bis zu den Funden am Harzhorn.