Ohne Erinnerung keine Identität - das ist der gemeinsame Nenner aller künstlerischen Positionen, die in dieser Ausstellung versammelt sind. Zwar zeigt man ausdrücklich Gegenwartskunst, aber die Pathosformeln, die hier das Gedächtnis beschwören sollen, produzieren durchaus klassische Anmutungen - und vielleicht ist der betonte Rekurs auf Traditionen auch notwendig, um diesen schrecklichen Begriff der Gedenkkunst beiseitelassen zu können, bei dem es einerseits immer so scheint, als sei das Erinnerungsthema in Deutschland automatisch mit der Shoah verbunden und eigentlich erst durch sie erzeugt; und bei dem deshalb andererseits immer die politisch offiziöse Vereinnahmung droht.
Bei Christian Boltanski liegt dieser Gedanke immer unfreiwillig nahe - er ist wohl der ungekrönte Chefästhet des heutigen Kunstbürgertums, wenn es darum geht, klassisches Memento mori mit der Anklage staatlicher Willkür zu paaren. Im suggestiven Schummerlicht der von Boltanski stets aufs Neue heraufbeschworenen Archiv-Situation tritt der Besucher geradezu buchstäblich ein ins Reich der Lethe und steht dort einer mehr oder weniger großen Anzahl von anonymen Fotoportraits gegenüber - in diesem Fall sind es etwa tausend in einem riesigen Saal -, die in anderen Installationen des Franzosen auch durch Namensschilder oder Registerauszüge ersetzt werden können und stets auf die Namenlosigkeit der Opfer verweisen. Ihnen will der Künstler das Gesicht oder den Klang ihres Namens zurückgeben. Hier ist Erinnerung, ganz ähnlich wie bei vergleichbaren humanistischen Positionen etwa einer Käthe Kollwitz, immer Trauer und Protest zugleich.
Das ist bei dem Belgier Luc Tuymans schon ganz anders und vielleicht auch ein Grund für seinen in den letzten Jahren massiv gestiegenen Marktwert. Tuymans greift auf klassische Tafelbildformate zurück, aber seine Malerei erhebt nicht den Anspruch, den Betrachter in eine mimetische, nachvollziehende Rolle des Erinnerns zu nötigen, sondern weist durch seinen betont fahlen und blassen Farbauftrag und die Skizzenhaftigkeit seiner Gemälde eher darauf hin, wie lückenhaft und beliebig oft das Gedächtnis funktioniert. Sein Portrait von Heinrich Himmler zeigt den Reichsführer SS fast ohne Gesicht, es ist mit schwarzen Strichen nahezu unkenntlich gemacht. Ohne den Bildtitel könnte es ein x-beliebiger Militär sein. Allein die Nennung des Namens aber erweckt sofort Konnotationen, die sofort in die Interpretation des Bildes einfließen. Tuymans entlarvt somit den Umgang mit historischem Material, über dessen Interpretation immer eine gewisse Einigung erzielt werden muss.
Paul Graham dagegen, der sich lange Zeit zu den Young British Artists zählen konnte, reflektiert das Verhältnis der Japaner zu ihrer ebenfalls blutigen jüngsten Geschichte, indem er den traditionalistischen Alltagskitsch japanischer Familien den Hinterlassenschaften von Hiroshima gegenüberstellt. Auch hier funktioniert Erinnerung, und zwar im kollektiven Ausmaß, höchst selektiv. Das Langzeitgedächtnis, das über die eigene Lebenszeit hinausgeht, gedenkt gern und jederzeit der Shogun-Kultur und der alten japanischen Holzschnittkunst, macht aber einen Bogen um das noch immer unverarbeitete Trauma des Zweiten Weltkriegs.
Somit fällt ein skeptischer Blick auf das Erinnern, das doch andererseits so sehr in Mode gekommen und zugleich wohlfeil moralische Forderung gerade deutscher Politiker. Das wilde Gedächtnis aber lässt sich nicht so einfach bändigen. Stellvertretend für viele andere künstlerische Positionen, die die Anarchie des Erinnerns beschwören, steht hier die Französin Annette Messager, die seit Jahrzehnten Kinderstofftiere ausweidet, verfremdet und zu Installationen zusammenstellt, die nichts anderes aufführen als ein Panorama seelischer Misshandlungen, die sich in das Unterbewusste eingraben. Wirkliches Erinnern ist schmerzhaft und erfordert außergewöhnliche Bereitschaft und Kräfte.
Mit dieser Ausstellung versucht zugleich Markus Brüderlin, seit Anfang des Jahres der neue Direktor des Kunstmuseums Wolfsburg, eine erste thematische Korrektur des Programms. Vermehrt will Brüderlin künftig Wissenschaft und Kunst zusammenbringen und so über das in Wolfsburg kaum vorhandene Kunstpublikum hinaus wieder mehr Besucher ansprechen, als dies zuletzt seinem berühmten Vorgänger im Amt, Guys van Tuyl gelungen war.
Bei Christian Boltanski liegt dieser Gedanke immer unfreiwillig nahe - er ist wohl der ungekrönte Chefästhet des heutigen Kunstbürgertums, wenn es darum geht, klassisches Memento mori mit der Anklage staatlicher Willkür zu paaren. Im suggestiven Schummerlicht der von Boltanski stets aufs Neue heraufbeschworenen Archiv-Situation tritt der Besucher geradezu buchstäblich ein ins Reich der Lethe und steht dort einer mehr oder weniger großen Anzahl von anonymen Fotoportraits gegenüber - in diesem Fall sind es etwa tausend in einem riesigen Saal -, die in anderen Installationen des Franzosen auch durch Namensschilder oder Registerauszüge ersetzt werden können und stets auf die Namenlosigkeit der Opfer verweisen. Ihnen will der Künstler das Gesicht oder den Klang ihres Namens zurückgeben. Hier ist Erinnerung, ganz ähnlich wie bei vergleichbaren humanistischen Positionen etwa einer Käthe Kollwitz, immer Trauer und Protest zugleich.
Das ist bei dem Belgier Luc Tuymans schon ganz anders und vielleicht auch ein Grund für seinen in den letzten Jahren massiv gestiegenen Marktwert. Tuymans greift auf klassische Tafelbildformate zurück, aber seine Malerei erhebt nicht den Anspruch, den Betrachter in eine mimetische, nachvollziehende Rolle des Erinnerns zu nötigen, sondern weist durch seinen betont fahlen und blassen Farbauftrag und die Skizzenhaftigkeit seiner Gemälde eher darauf hin, wie lückenhaft und beliebig oft das Gedächtnis funktioniert. Sein Portrait von Heinrich Himmler zeigt den Reichsführer SS fast ohne Gesicht, es ist mit schwarzen Strichen nahezu unkenntlich gemacht. Ohne den Bildtitel könnte es ein x-beliebiger Militär sein. Allein die Nennung des Namens aber erweckt sofort Konnotationen, die sofort in die Interpretation des Bildes einfließen. Tuymans entlarvt somit den Umgang mit historischem Material, über dessen Interpretation immer eine gewisse Einigung erzielt werden muss.
Paul Graham dagegen, der sich lange Zeit zu den Young British Artists zählen konnte, reflektiert das Verhältnis der Japaner zu ihrer ebenfalls blutigen jüngsten Geschichte, indem er den traditionalistischen Alltagskitsch japanischer Familien den Hinterlassenschaften von Hiroshima gegenüberstellt. Auch hier funktioniert Erinnerung, und zwar im kollektiven Ausmaß, höchst selektiv. Das Langzeitgedächtnis, das über die eigene Lebenszeit hinausgeht, gedenkt gern und jederzeit der Shogun-Kultur und der alten japanischen Holzschnittkunst, macht aber einen Bogen um das noch immer unverarbeitete Trauma des Zweiten Weltkriegs.
Somit fällt ein skeptischer Blick auf das Erinnern, das doch andererseits so sehr in Mode gekommen und zugleich wohlfeil moralische Forderung gerade deutscher Politiker. Das wilde Gedächtnis aber lässt sich nicht so einfach bändigen. Stellvertretend für viele andere künstlerische Positionen, die die Anarchie des Erinnerns beschwören, steht hier die Französin Annette Messager, die seit Jahrzehnten Kinderstofftiere ausweidet, verfremdet und zu Installationen zusammenstellt, die nichts anderes aufführen als ein Panorama seelischer Misshandlungen, die sich in das Unterbewusste eingraben. Wirkliches Erinnern ist schmerzhaft und erfordert außergewöhnliche Bereitschaft und Kräfte.
Mit dieser Ausstellung versucht zugleich Markus Brüderlin, seit Anfang des Jahres der neue Direktor des Kunstmuseums Wolfsburg, eine erste thematische Korrektur des Programms. Vermehrt will Brüderlin künftig Wissenschaft und Kunst zusammenbringen und so über das in Wolfsburg kaum vorhandene Kunstpublikum hinaus wieder mehr Besucher ansprechen, als dies zuletzt seinem berühmten Vorgänger im Amt, Guys van Tuyl gelungen war.