Die Welt ist ein Wald von Zeichen, die wir interpretieren müssen, schreibt Joyce Carol Oates in ihrem Essayband "Beim Schreiben allein".
Die sichtbare Welt enthält unter ihrer scheinbaren Unordnung "Botschaften", so wie im scheinbaren Chaos eines Traums ein Sinn verborgen ist. Überall sind Bilder zu entdecken, für die, die ehrfurchtsvoll schauen und zu sehen bereit sind.
An anderer Stelle heißt es: Schreiben ist für mich hauptsächlich erinnern.
Und in einem Aufsatz über das Scheitern zitiert sie mit großer Leidenschaft aus Virginia Woolfs Tagebuch: Dieser unstillbare Wunsch, etwas zu schreiben, bevor ich sterbe, dieses verheerende Wissen um die Kürze und die Fieberhaftigkeit des Lebens, bringen mich dazu mich an meinen einzigen Anker zu klammern.
Joyce Carol Oates ist eine Meisterin der Spurensuche in einem Wald voller Zeichen. Sie ist eine begnadete Sammlerin von Erinnerungen. Und sie ist eine Schwester Virginia Woolfs im Geiste und in der Seele. Ihr Schreiben gleicht keiner Obsession - es ist eine. Und das Schreiben ist ein Anker. Wie sie Zeichen und Erinnerungen mit nahezu beängstigender Akribie zusammenfügt, mag mancher als gewöhnungsbedürftige stilistische Eigenart empfinden. Nur so jedoch, mit dieser kompromisslosen Leidenschaft und Empathie, öffnet sich für den Leser eine bis ins kleinste Detail in Szene gesetzte Welt, in der er sich selbst bewegen kann - unerwartet vertraut. Als laufe er an Häusern und Gärten in seiner Nachbarschaft vorbei.
Auch in ihrem jüngsten Roman "Missing Mom", im Frühjahr bei uns unter dem Titel "Du fehlst" erschienen, ist dieses Phänomen im Selbstversuch zu erkunden. "Mein Gott", wird mancher Leser am Anfang stöhnen, "wohin will sie uns denn wieder führen, die Autorin? So viele Einzelheiten, so viele Gedankenflüge in die Vergangenheit, so viele Querverbindungen, so viele Nebensächlichkeiten!" Als ob Joyce Carol Oates sich nicht nur in die Charaktere der Hauptpersonen einfühlte, sondern sie im Moment des Schreibens auch ganz wahrhaftig leibhaftig lebte. Diese Geschichte handelt von meiner Mutter, davon, dass sie mir fehlt. Und auf eine sehr persönliche Weise wird das eines Tages auch Ihre Geschichte sein,
wendet sich die Ich-Erzählerin am Anfang an die Leser. -"Du fehlst" tritt - wie so oft in Oates Romanen - wiederum hinter die Fassaden des Lebens von Menschen aus der angepassten amerikanischen Mittelklasse. Auch in diesem Roman wird der Mythos der heiligen Familie Schicht für Schicht abgetragen, bis das rohe Gerüst des Gebäudes vor uns steht, gebaut auf einem Fundament aus Illusion, Tradition, Konvention und - Angst. Um Himmels Willen nicht auffallen, nicht aus der Reihe tanzen! Die Fassaden - das sind in diesem Roman zuerst die eines Reihenhauses mit ordentlich gepflegtem Rasen und im Zaume gehaltenen Flieder- und Lavendelbüschen. Die Fassaden - das ist in "Du fehlst" aber auch der Schutzwall, den die Handelnden um sich selbst gezogen haben. Etwas Privates über die Straße zu tragen, in das Haus der Nachbarn! Vor Jahren, als bei Mutter eine Biopsie durchgeführt wurde, nachdem man in ihrer Brust ein kirschkerngroßes Gewächs gefunden hatte, hatte sie Clare und mir das Versprechen abgenommen, niemandem etwas zu sagen, falls das Testergebnis "positiv" ausfiel und das Gewächs als bösartig diagnostiziert wurde. Wieder einmal befinden wir uns im Städtchen Mount Ephraim - einem fiktiven, gleichwohl bekannt wirkenden Ort im Westen des Staates New York, den wir - an Oates Seite - bereits in ihrer 1996 erschienenen Familiensaga "Wir waren die Mulvaneys" ausgiebig kennenlernen konnten. Fast möchte man einen Stadtplan hervorkramen, um den Schauplatz der neuesten Tragödie genau einzuordnen: die ruhige Wohngegend am Deer Creek Drive. Dort lebt die Mutter - der Vater starb vor einigen Jahren - der 31-jährigen Ich-Erzählerin Nikki Eaton, einer freien Journalistin in der nahegelegenen Kreisstadt. Die Mutter, nicht ganz 60 Jahre alt, ist eine engagierte, freundliche Dame mit scheinbar unerschütterlichem Optimismus - ein geachtetes Mitglied der kleinen Community - bis zu jenem 11. Mai des Jahrs 2004, als sie gegen 11 Uhr morgens von einem jungen Drogensüchtigen, der für Gartenarbeiten erledigte, erstochen wird. Man sieht jemanden zum letzten Mal und weiß nicht, dass es das letzte Mal ist. Hätte man das alles, was man jetzt weiß, doch schon damals gewusst! Doch damals wusste man es nicht, und jetzt ist es zu spät. Und man sagt sich: Wie hätte ich das wissen sollen, das konnte ich doch nicht wissen. So sagt man es sich.
Der Einbruch des Unerwarteten ins sorgsam gepflegte und abgeschirmte Idyll. So oft man es in der Literatur auch findet: Joyce Carol Oates erschafft diese Welt immer wieder so, dass man unversehens zum Augenzeugen der inneren Ereignisse wird, sozusagen zum vertrauten Assistenten der Erzählerin. Eben erst bei Oates neuestem Jugendroman - "Nach dem Unglück schwang ich mich auf, breitete meine Flügel aus und flog davon" -, eben erst in diesem Jugendroman, in dem eine schwerverletzte 15-Jährige nach dem tödlichen Unfall der Mutter ihre Gratwanderung zurück ins Leben schildert. Und nun als Begleiter einer Frau, die fast ein ganzes Jahr braucht, um nach der Katastrophe ihre erschütterte Welt zu ordnen. Ich war eitel genug, mir einzubilden, ich könnte den Tod meiner Mutter "bewältigen", wie ich mein ganzes Leben bewältigte. Tüchtig eben. Tüchtig eben. Und - zum Leidwesen von Mutter und Schwester - unangepasst. Mit einem verheirateten, viel älteren Liebhaber, mit provokanter Punkfrisur, aufreizender Kleidung und vier Zentimeter langen, lackierten Fingernägeln. Joyce Carol Oates baut um das tragische Ereignis das komplexe Universum einer ungelösten Mutter-Tochter-Beziehung, das sich so verwirrend assoziativ vor uns Lesern ausbreitet, dass man glaubt, die Gedanken der Schriftstellerin entstünden erst beim Erzählen. Erst seit kurzem war ich in der Lage, so zu sprechen: ohne dass meine Stimme zu zittern begann. Brachte Wörter wie starb, Tod, begraben, Friedhof über die Lippen. Wie ein kleines Kind, das gerade sprechen lernt, war ich fasziniert vom Klang bestimmter Wörter.
Das Gedankengeflecht wird Seite für Seite vor uns ausgebreitet. Nebengespinste werden allmählich sichtbar, Zusammenhänge: das Verhältnis der ungleichen Schwestern, die aktuelle Liebesaffäre, die Partnerschaft der Eltern, die Vater-Tochter-Beziehung, berufliche Querelen, nachbarschaftliche Besonderheiten und - nicht zuletzt - die eigentümliche Annäherung an den ermittelnden Polizei-Detektiv. - Das verwirrt. Lenkt ab. Führt zurück in die Vorgeschichte. Springt wieder in die Gegenwart. Wechselt die Perspektiven. Also ob man ein Ereignis wider jede Gewohnheit von allen Seiten beguckt und der eigenen Trägheit damit ein Schnippchen schlägt.
Es scheint paradox: Gerade dieses Wechselspiel aus Irrungen, Wirrungen und klaren Gedanken, dem sich die Erzählerin - und damit der Leser - aussetzt, führt zur Entblätterung der Geheimnisse im Zusammenleben dieser Familie. Wie es im richtigen Leben eben häufig auch eine Menge unplanbarer Umwege braucht, um zum Kern einer Geschichte vorzudringen.
Das Faszinierendste an diesem Roman: Die Welt, die Oates erschafft, ist in der Komplexität nicht die unsere und trotzdem gibt es in ihr ungezählte Zeichen - Bilder und Erinnerungen an Bilder -, die aus unserem eigenen Universum kommen könnten, 5000 Meilen östlich von Mount Ephraim. Das beginnt bei Mutters Rezept für Rosinen-Joghurt-Zwölfkorn-Brot und endet beim intimsten Geheimnis einer längst vergangenen Kindheit. Ich laufe durch eine Gegend, die mich fasziniert,
schreibt Joyce Carol Oates in "Beim Schreiben allein".
An Häusern oder Gärten vorbei, die so geheimnisvoll auf mich wirken, dass ich einfach darüber schreiben, sie in Wörtern zum Leben erwecken muss (wie man so sagt). Als Schriftstellerin werde ich von den Orten förmlich hypnotisiert; viele meiner Texte entstehen, um Heimweh zu lindern, und die Orte, in denen meine Figuren leben, sind für mich genauso wichtig wie die Figuren selbst. Ähnliches kann uns Lesern passieren. Wir laufen in diesem Roman an fremden Häusern und Gärten vorbei, die so geheimnisvoll wirken, dass wir sie durchs Lesen zum Leben erwecken müssen. Wir werden von den Orten und den Menschen dort förmlich hypnotisiert. Und wir lindern dabei eine geheimnisvolle Sehnsucht nach einem anderen Leben, in dem wir das eigene spiegeln - wie einst Alice, als sie staunend vor dem Spiegel im Salon stand.
Joyce Carol Oates: "Du fehlst"
aus dem Amerikanischen von Silvia Morawetz
(S. Fischer Verlag, Frankfurt/M)
Die sichtbare Welt enthält unter ihrer scheinbaren Unordnung "Botschaften", so wie im scheinbaren Chaos eines Traums ein Sinn verborgen ist. Überall sind Bilder zu entdecken, für die, die ehrfurchtsvoll schauen und zu sehen bereit sind.
An anderer Stelle heißt es: Schreiben ist für mich hauptsächlich erinnern.
Und in einem Aufsatz über das Scheitern zitiert sie mit großer Leidenschaft aus Virginia Woolfs Tagebuch: Dieser unstillbare Wunsch, etwas zu schreiben, bevor ich sterbe, dieses verheerende Wissen um die Kürze und die Fieberhaftigkeit des Lebens, bringen mich dazu mich an meinen einzigen Anker zu klammern.
Joyce Carol Oates ist eine Meisterin der Spurensuche in einem Wald voller Zeichen. Sie ist eine begnadete Sammlerin von Erinnerungen. Und sie ist eine Schwester Virginia Woolfs im Geiste und in der Seele. Ihr Schreiben gleicht keiner Obsession - es ist eine. Und das Schreiben ist ein Anker. Wie sie Zeichen und Erinnerungen mit nahezu beängstigender Akribie zusammenfügt, mag mancher als gewöhnungsbedürftige stilistische Eigenart empfinden. Nur so jedoch, mit dieser kompromisslosen Leidenschaft und Empathie, öffnet sich für den Leser eine bis ins kleinste Detail in Szene gesetzte Welt, in der er sich selbst bewegen kann - unerwartet vertraut. Als laufe er an Häusern und Gärten in seiner Nachbarschaft vorbei.
Auch in ihrem jüngsten Roman "Missing Mom", im Frühjahr bei uns unter dem Titel "Du fehlst" erschienen, ist dieses Phänomen im Selbstversuch zu erkunden. "Mein Gott", wird mancher Leser am Anfang stöhnen, "wohin will sie uns denn wieder führen, die Autorin? So viele Einzelheiten, so viele Gedankenflüge in die Vergangenheit, so viele Querverbindungen, so viele Nebensächlichkeiten!" Als ob Joyce Carol Oates sich nicht nur in die Charaktere der Hauptpersonen einfühlte, sondern sie im Moment des Schreibens auch ganz wahrhaftig leibhaftig lebte. Diese Geschichte handelt von meiner Mutter, davon, dass sie mir fehlt. Und auf eine sehr persönliche Weise wird das eines Tages auch Ihre Geschichte sein,
wendet sich die Ich-Erzählerin am Anfang an die Leser. -"Du fehlst" tritt - wie so oft in Oates Romanen - wiederum hinter die Fassaden des Lebens von Menschen aus der angepassten amerikanischen Mittelklasse. Auch in diesem Roman wird der Mythos der heiligen Familie Schicht für Schicht abgetragen, bis das rohe Gerüst des Gebäudes vor uns steht, gebaut auf einem Fundament aus Illusion, Tradition, Konvention und - Angst. Um Himmels Willen nicht auffallen, nicht aus der Reihe tanzen! Die Fassaden - das sind in diesem Roman zuerst die eines Reihenhauses mit ordentlich gepflegtem Rasen und im Zaume gehaltenen Flieder- und Lavendelbüschen. Die Fassaden - das ist in "Du fehlst" aber auch der Schutzwall, den die Handelnden um sich selbst gezogen haben. Etwas Privates über die Straße zu tragen, in das Haus der Nachbarn! Vor Jahren, als bei Mutter eine Biopsie durchgeführt wurde, nachdem man in ihrer Brust ein kirschkerngroßes Gewächs gefunden hatte, hatte sie Clare und mir das Versprechen abgenommen, niemandem etwas zu sagen, falls das Testergebnis "positiv" ausfiel und das Gewächs als bösartig diagnostiziert wurde. Wieder einmal befinden wir uns im Städtchen Mount Ephraim - einem fiktiven, gleichwohl bekannt wirkenden Ort im Westen des Staates New York, den wir - an Oates Seite - bereits in ihrer 1996 erschienenen Familiensaga "Wir waren die Mulvaneys" ausgiebig kennenlernen konnten. Fast möchte man einen Stadtplan hervorkramen, um den Schauplatz der neuesten Tragödie genau einzuordnen: die ruhige Wohngegend am Deer Creek Drive. Dort lebt die Mutter - der Vater starb vor einigen Jahren - der 31-jährigen Ich-Erzählerin Nikki Eaton, einer freien Journalistin in der nahegelegenen Kreisstadt. Die Mutter, nicht ganz 60 Jahre alt, ist eine engagierte, freundliche Dame mit scheinbar unerschütterlichem Optimismus - ein geachtetes Mitglied der kleinen Community - bis zu jenem 11. Mai des Jahrs 2004, als sie gegen 11 Uhr morgens von einem jungen Drogensüchtigen, der für Gartenarbeiten erledigte, erstochen wird. Man sieht jemanden zum letzten Mal und weiß nicht, dass es das letzte Mal ist. Hätte man das alles, was man jetzt weiß, doch schon damals gewusst! Doch damals wusste man es nicht, und jetzt ist es zu spät. Und man sagt sich: Wie hätte ich das wissen sollen, das konnte ich doch nicht wissen. So sagt man es sich.
Der Einbruch des Unerwarteten ins sorgsam gepflegte und abgeschirmte Idyll. So oft man es in der Literatur auch findet: Joyce Carol Oates erschafft diese Welt immer wieder so, dass man unversehens zum Augenzeugen der inneren Ereignisse wird, sozusagen zum vertrauten Assistenten der Erzählerin. Eben erst bei Oates neuestem Jugendroman - "Nach dem Unglück schwang ich mich auf, breitete meine Flügel aus und flog davon" -, eben erst in diesem Jugendroman, in dem eine schwerverletzte 15-Jährige nach dem tödlichen Unfall der Mutter ihre Gratwanderung zurück ins Leben schildert. Und nun als Begleiter einer Frau, die fast ein ganzes Jahr braucht, um nach der Katastrophe ihre erschütterte Welt zu ordnen. Ich war eitel genug, mir einzubilden, ich könnte den Tod meiner Mutter "bewältigen", wie ich mein ganzes Leben bewältigte. Tüchtig eben. Tüchtig eben. Und - zum Leidwesen von Mutter und Schwester - unangepasst. Mit einem verheirateten, viel älteren Liebhaber, mit provokanter Punkfrisur, aufreizender Kleidung und vier Zentimeter langen, lackierten Fingernägeln. Joyce Carol Oates baut um das tragische Ereignis das komplexe Universum einer ungelösten Mutter-Tochter-Beziehung, das sich so verwirrend assoziativ vor uns Lesern ausbreitet, dass man glaubt, die Gedanken der Schriftstellerin entstünden erst beim Erzählen. Erst seit kurzem war ich in der Lage, so zu sprechen: ohne dass meine Stimme zu zittern begann. Brachte Wörter wie starb, Tod, begraben, Friedhof über die Lippen. Wie ein kleines Kind, das gerade sprechen lernt, war ich fasziniert vom Klang bestimmter Wörter.
Das Gedankengeflecht wird Seite für Seite vor uns ausgebreitet. Nebengespinste werden allmählich sichtbar, Zusammenhänge: das Verhältnis der ungleichen Schwestern, die aktuelle Liebesaffäre, die Partnerschaft der Eltern, die Vater-Tochter-Beziehung, berufliche Querelen, nachbarschaftliche Besonderheiten und - nicht zuletzt - die eigentümliche Annäherung an den ermittelnden Polizei-Detektiv. - Das verwirrt. Lenkt ab. Führt zurück in die Vorgeschichte. Springt wieder in die Gegenwart. Wechselt die Perspektiven. Also ob man ein Ereignis wider jede Gewohnheit von allen Seiten beguckt und der eigenen Trägheit damit ein Schnippchen schlägt.
Es scheint paradox: Gerade dieses Wechselspiel aus Irrungen, Wirrungen und klaren Gedanken, dem sich die Erzählerin - und damit der Leser - aussetzt, führt zur Entblätterung der Geheimnisse im Zusammenleben dieser Familie. Wie es im richtigen Leben eben häufig auch eine Menge unplanbarer Umwege braucht, um zum Kern einer Geschichte vorzudringen.
Das Faszinierendste an diesem Roman: Die Welt, die Oates erschafft, ist in der Komplexität nicht die unsere und trotzdem gibt es in ihr ungezählte Zeichen - Bilder und Erinnerungen an Bilder -, die aus unserem eigenen Universum kommen könnten, 5000 Meilen östlich von Mount Ephraim. Das beginnt bei Mutters Rezept für Rosinen-Joghurt-Zwölfkorn-Brot und endet beim intimsten Geheimnis einer längst vergangenen Kindheit. Ich laufe durch eine Gegend, die mich fasziniert,
schreibt Joyce Carol Oates in "Beim Schreiben allein".
An Häusern oder Gärten vorbei, die so geheimnisvoll auf mich wirken, dass ich einfach darüber schreiben, sie in Wörtern zum Leben erwecken muss (wie man so sagt). Als Schriftstellerin werde ich von den Orten förmlich hypnotisiert; viele meiner Texte entstehen, um Heimweh zu lindern, und die Orte, in denen meine Figuren leben, sind für mich genauso wichtig wie die Figuren selbst. Ähnliches kann uns Lesern passieren. Wir laufen in diesem Roman an fremden Häusern und Gärten vorbei, die so geheimnisvoll wirken, dass wir sie durchs Lesen zum Leben erwecken müssen. Wir werden von den Orten und den Menschen dort förmlich hypnotisiert. Und wir lindern dabei eine geheimnisvolle Sehnsucht nach einem anderen Leben, in dem wir das eigene spiegeln - wie einst Alice, als sie staunend vor dem Spiegel im Salon stand.
Joyce Carol Oates: "Du fehlst"
aus dem Amerikanischen von Silvia Morawetz
(S. Fischer Verlag, Frankfurt/M)