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Spurensuche in Alaska
Ein Leben als Trapper

Mike und Nate Turner streben nach einem Leben im Einklang mit der Natur. Dafür sind sie vor Jahrzehnten vom Bundesstaat New York nach Alaskas aufgebrochen. In der Abgeschiedenheit und Weite des Nordens wandeln sie auf den Spuren der alten Trapper und Jäger. Die raue Natur macht sie zu Philosophen in der Wildnis.

Von Tilo Mahn |
    Mike Turner drückt sein Ohr fest gegen die Plastikoberfläche des Funkgeräts, bis die kratzige Stimme seines Sohnes aus dem Lautsprecher antwortet. Zwischen den abgehackten Wortstücken tönt langsam näher kommend ein Flugzeugmotor über den Baumwipfeln. Mike Turner hat die rote Cessna seines Sohnes schon lange vorher gehört und sofort zum Funkgerät gegriffen. Sein Blick aus tiefen blauen Augen, umzogen von Lachfalten und dunklen Rändern, bleibt am Horizont über dem Flussufer haften.
    Mike Turner hat gewartet. Auf seinen Sohn. Auf Kontakt zur Außenwelt. Auf Neuigkeiten aus der alaskischen Wildnis. Hier auf dem Grundstück, wo er mit seiner Frau Fran, 120 Flugmeilen westlich von Fairbanks, inmitten von Bäumen am Ufer des Kantishna Flusses lebt, ist dies die erste Nachricht seines Sohnes Nate seit Tagen. Das Leben im Busch, wie es die wenigen Bewohner nennen, fernab von Straßen, Städten und Stromleitungen, hat einen anderen Rhythmus. Einen Ruhepuls in Abgeschiedenheit in mitten der Natur Alaskas, worauf der heute 74-jährige Mike Turner fast sein ganzes Leben hingearbeitet hat.
    "Ich liebe die Wildnis. Ich wurde geboren, um hier meine Bestimmung zu finden. Schon früher in der Stadt war es so: Jede Minute, die ich nicht auf der Farm gebraucht wurde, war ich draußen. Aber wir waren nun mal Landwirte. Mein Vater auf jeden Fall. Und dafür gab's nicht gerade viel Geld. Also wurde mir schon früh als junger Mann eines klar, als mein Vater zu mir sagte: Wenn Du deine Zeit nicht nur mit draußen herum tollen und Fallen stellen verbringen würdest, sondern jedes Mal mit Beute heimkämst, würde uns das sehr helfen. Also fing ich an, Hasen und Eichhörnchen zum Wohl der Familie zu jagen."
    Von New York in die Wildnis
    Der Staat Alaska, das gelobte Land für Trapper, erstreckt sich als ein nicht enden wollender riesiger Anhang im Nordwesten der USA. Ein kleines Stück Waldlichtung an einem der unzähligen Flüsse ist zur neuen Heimat der Familie Turner geworden. Vor knapp 30 Jahren hat der Vater Mike die Entscheidung getroffen, mit seinem Leben noch einmal neu zu beginnen. Eine Anzeige für eine alte Trappline in Alaska hatte ihn nicht mehr losgelassen. Es hatte keine Woche gedauert, bis er seine alte Milchfarm im Bundesstaat New York verkauft hat, um alles hinter sich zu lassen und für seine Leidenschaft, das Tiere fangen, aufzubrechen. Zusammen mit seinen beiden Söhnen Mat und Nate, beide im späten Teenageralter und gewillt, ihren Vater auf das gemeinsame Abenteuer zu begleiten. Hinter sich eine Scheidung und harte Schufterei auf der Farm, im Gepäck nur das Nötigste zum Überleben, eine grobe Karte und schlimmes Asthma. Vor sich mehr als 5.000 Meilen Fahrt und ein vages Ziel im Nirgendwo von Alaska. So hat sich Mike Turner mit seinen beiden Söhnen auf den Weg gemacht.
    "Nate und ich sind mit Pick-up-Trucks aufgebrochen, mit zwei alten rostigen Schüsseln. Wir haben ausgesehen wie verwilderte Hinterwäldler auf dem Weg nach Alaska. Irgendwie sind wir hierher gekommen. Ich erinnere mich kaum an die Fahrt. Ich war so verdammt krank, die ganze Zeit nur am Husten. Nate hatte unterwegs noch einen Unfall. Er musste den einen Truck in Wisconsin abstellen. Aber er hat sich nicht verletzt. Und wir haben den Truck wieder flott gekriegt. Bei Sturm und Regen. Er ist dann irgendwann schlafen gegangen. Wir waren eigentlich schon viel zu lange unterwegs."
    Schon zu dieser Zeit waren die Hochzeiten des Goldrausches und florierender Fischgewerbe in Alaska lange vorbei. Der Staat mit einer Fläche von fast einem Viertel der gesamten USA hatte seine Bewohner in der Wildnis an die Ölindustrie und Baubranche verloren. Viele der Erben der Ureinwohner haben ihre Berufung und ihr Glück in kleinen Städten, in Kasinos, Touristenangeboten oder im Alkohol gefunden. Die meisten Blockhütten an den Flussufern und den Hängen der Hügel waren verwahrlost und verlassen. Was die Neuankömmlinge in den Busch zog, war der Reiz der weiten Wildnis. Bei ihrer Ankunft in Alaska kennt die drei Frischlinge aus New York niemand. Und sie kennen niemanden: Nicht den Verkäufer der alten Trappline, nicht die Behörden, nicht die langen, verwachsenen Trails, die sich über Meilen hinweg entlang der Baumnarben als Markierungen durch die Wildnis ziehen.
    Für Nate, Mat und Mike Turner wurde die alte Trapperhütte, eingewachsen zwischen Fichten und Birken, der Ausgangspunkt für das neue Leben in der Wildnis. Drei Betten, eine Küchenzeile auf Kniehöhe, ein Holzofen und viele Bücher aufgereiht auf einem Holzbord an der Stirnseite der niedrigen Holzhütte wurden zum Lebensmittelpunkt in den langen Winternächten Alaskas.
    Trappen, das hieß für die Turners zuallererst: Schneisen durch das Dickicht der kahlen Bäume in weißer Winterlandschaft schlagen, mit dem Schlitten über vereiste Flüsse fahren, Hügel hinauf und hinab auf der Suche nach geeigneten Plätzen. Um dort dann die eisernen Fallen aus Federn, Streben und Schlingen zu verstecken und zu spannen. Der Alltag war auch für den damals noch jungen Nate Turner von Anfang an bestimmt davon, immer einen Schritt voraus zu sein.
    "Im allerersten Winter hatten wir ja noch kein Brennholzlager und nichts. Wir sind einfach losgezogen, wann immer wir neues Holz gebraucht haben. Dafür hatten wir einen alten Holzschlitten, wahrscheinlich so aus den 40er-Jahren. So schlicht verdrahtet um die Kufen herum, damit das Ganze hielt. Was den Schlitten noch viel schwerer ziehen ließ. Aber bei Minus 20 Grad im November dieses Jahres, mit unglaublich viel Schnee, schien uns das noch die beste Lösung zu sein, um genügend Feuerholz zu transportieren. Wir sammelten so das Holz rund um das Flussufer und mussten es dann noch im Schlitten die Böschung hinauf zur Hütte hieven. Das Ganze war wahnsinnig aufwendig. Und wir brauchten Jahre, um besser und routinierter zu werden."
    In einem Lebensrhythmus fernab von Wochentagen und genauen zeitlichen Terminen haben nur einige wenige Überzeugte und Gestrandete an ihrer Idee festgehalten und sich mit den Gegebenheiten in Alaska arrangiert. Obwohl sie häufig über 50 Meilen voneinander entfernt und verstreut wohnen, eint die Buschbewohner das Gefühl, in Einklang mit der Natur zu leben. Wer sich hier in einem Stück Erde wie der Weite Alaskas sein Leben aufbaut und gestaltet, der hält zusammen. Über die Jahre hat das auch Mike und Nate Turner zu einem Schlag Mensch werden lassen, die rau und real leben. Ohne Auffangnetz, ohne Mitleid, mit Respekt vor der Natur und den Tieren.
    "Wir sind nicht nach Alaska gekommen, um uns zurückzulehnen und Urlaub zu machen. Wir sind hier mit einem Traum hergekommen: In der Wildnis, im Einklang mit der Wildnis und mithilfe der Wildnis zu leben, so wie sie eben ist. Wir wussten nie, was das genau bedeutet. Aber wir haben diesen Traum und wollen immer noch herausfinden, was das für uns heißt."
    Junaeu, die Hauptstadt von Alaska
    Junaeu, die Hauptstadt von Alaska (dpa/Hinrich Bäsemann)
    Das Geschäft mit dem Pelz ist in Alaska immer noch verbreitet. Die Preise schwanken genau wie die Einkommen. Es gibt bessere und schlechtere Jahre. Einige der noch verbliebenen Trapper fürchten um das Erbe, das sie über Jahrzehnte hinweg weitergegeben bekommen hatten. Nur wenige junge Leute folgen den Spuren ihrer Eltern und Großeltern. Dem Beruf des Trappers hängt neben dem Ruf des brutalen Tiere Fangens und Tötens auch eine nostalgische Vergangenheit an. Zu vergessen, zu rückständig, zu altertümlich, zu wenig ertragreich. So sehen das viele der in Baumwollhemden und Fliegerkappen vermummten Stadtbewohner, die an alten Trucks lehnen - aufgereiht auf überdimensionalen Supermarktplätzen. Die Turners wollten sich und anderen beweisen, dass der Beruf des Trappers nach wie vor das Leben finanzieren kann. Und dass ein Leben in der Wildnis nicht unbedingt mit Armut gleichzusetzen ist.
    Neben all den Heldengeschichten über Begegnungen mit wilden Tieren und Verletzungen im Kampf mit der Wildnis, wie sie fast jeder Bewohner hier erzählen kann, wollten Mike und Nate Turner ihrem neuen Leben mit Demut und Erfahrung entgegen treten. Sich auf die Spuren der alten Trapper begeben. Derjenigen, die in ihren Augen schon früh verstanden hatten, dass man die Natur lesen und verstehen muss, um in ihr zu bestehen. Leute wie Jo Mattie haben früher selbst im Busch gelebt. Heute kauft er als Händler die Felle der Turners und der anderen Trapper. Und er hat viele kommen und gehen sehen. Als gebürtiger Alaskaner war er schon lange vor ihnen da.
    "Früher gab es nicht viele Möglichkeiten in Alaska. Damals gab es noch nicht all die lukrativen Jobs in der Baubranche oder bei der Ölindustrie von heute. Und besonders die Einheimischen haben sich schwergetan, überhaupt von den Dörfern in die Stadt zu gehen, um davon Wind zu bekommen. Der Sinn für Trapping sollte nicht einfach so spurlos von hier verschwinden. Es gibt immer noch genug Infrastruktur und Menschen, die sich dafür begeistern. Und wer weiß das schon: Dinge können sich schnell ändern, die Wirtschaft den Bach runtergehen, auch die Ölindustrie. Und vielleicht müssen die Leute dann wieder auf ganz einfache Art und Weise leben."
    Doch es kommen auch junge Leute nach. Shawn Behr ist in Fairbanks zur Schule gegangen, wo er seine heutige Frau Nicole kennengelernt hat. Es war vor allem Shawn, den es schon immer rausgedrängt hat, weg von den Straßen und den vielen Menschen der Stadt. Sie wollten eine Familie gründen und ihre gemeinsame Zeit so intensiv wie möglich erleben. Um Zeit füreinander zu haben und sich mit ihren eigenen Fähigkeiten ein unabhängiges Leben aufbauen. Nicole hatte vor, nach ihrem Grafikdesignstudium Websites zu gestalten. Irgendwann war sie einverstanden, ihre Kreativität lieber in der Natur auszuleben als in einem Büro in Fairbanks. Um der Idee ihres damals 30-jährigen Mannes Shawn zu folgen.
    "Einigen Menschen ist es besonders wichtig, im Leben finanzielle Sicherheit und eine Garantie zu haben. Für mich stand fest, spätestens, als ich geheiratet habe und wir Kinder bekommen haben, dass meine Familie mir die Sicherheit im Leben gibt. Und ich habe mich entschieden, für meine Kinder da zu sein. Ich bin froh darüber, bei ihnen sein zu können. Ich bin selten weg von zu Hause, nicht so wie früher, als ich in der Baubranche in Nordalaska unterwegs war. Das wollte ich nicht mehr, dieses fremde Leben, das ich vor Heirat und Familie geführt hatte."
    Das Leben draußen gibt Zeit, sich aufs Wesentliche zu konzentrieren. Zeit zum Nachdenken, Zeit für neue Ideen. Nicht eine idealistische Weltansicht treibt Menschen wie Shawn und Nicole Behr in die Natur, sondern das Gefühl, für sich selbst das Richtige zu tun. So wollen sie sich von der Natur ernähren und inspirieren lassen und im Sommer die Pflanzen nutzen. Wenn ihre Söhne Giddian, Elias und Asa vor der Hütte mit Pfeil und Bogen schießen und ihre selbst gelegten Eichhörnchen-Fallen für den nächsten Winter überprüfen, dann sehen ihre Eltern das auch als Schule fürs Leben. Was die Natur den Kindern nicht offenbaren kann, will Nicole ihnen in Heimunterricht beibringen.
    Der Homeschool-Tag beinhaltet Rechnen, Malen und Lesen – am besten direkt verbunden mit den Erfahrungen aus der Natur: Biber malen, Eichhörnchen zählen, Lieder über Bäume schreiben und singen. Der Versuch, die Kinder selbst zu unterrichten, ist für Nicole auch eine Kritik am bestehenden amerikanischen Schulsystem.
    "Hier draußen unterrichten wir die Kinder eigentlich die ganze Zeit. Wir können uns aller Dinge bedienen und alles für den Heimunterricht verwenden. So entsteht dann mal eine spontane Mathestunde. Oder wir beschäftigen uns mit Tieren. Damit, wie unterschiedlich die Anatomie der verschiedenen Arten ist. Indem wir sie beobachten, zerlegen und sie nutzen."
    Besorgungen und Zahnarzttermine, Verwandtschaftsbesuche – alle diese Ausflüge im Sommer in die Stadt müssen möglichst gut koordiniert werden. Selten bekommen Shawn und Nicole Besuch. Der Weg mit dem Boot in die Stadt dauert über neun Stunden. Der Flug für nur immer zwei Personen im Buschflugzeug kostet häufig mehrere hundert Dollar. Die Logistik der Zivilisation verfolgt Shawn und Nicole Behr bis in ihre Blockhütte zwischen Bäumen und moosigen Pfaden.
    "Manchmal werde ich kurz vor dem Herbst doch ein bisschen panisch. Mit dem Gedanken: Oh Gott, reicht mir die Zeit noch, genügend Beeren zu sammeln? Haben wir genug Fisch als Futter für die Hunde für den Winter? Und werden wir einen Elch schießen oder nicht? Das lässt mich dann doch ziemlich unruhig werden. Aber dann vertraue ich darauf, dass Gott unsere Bedürfnisse kennt. Wir sind wirklich sehr gesegnet mit dem, was wir hier haben. Wir würden nie verhungern. Irgendetwas gibt es immer."
    Entferntes Wolfsheulen und gelegentliche Rufe der Jäger
    Wenn sich die Laubbäume zwischen den Fichten gelb färben und die Schleifen der mäandernden Flüsse im Wasserspiegel leuchten, dann kündigt sich der kurze alaskische Herbst an. Die dunkelroten Preiselbeeren zwischen Wurzeln und Moospolstern des nassen, tief federnden Bodens zeugen noch von der Sonne des heißen Sommers. Der Blick über Berggipfel lässt nur erahnen, wie weitläufig sich das Grün der Pappeln und Zwergbirken langsam in ein Rot und Gelb der herbstlichen Tundra wandelt. Von den Flüssen des mit Sand durchspülten Wassers dringt entferntes Wolfsheulen und gelegentliche Rufe der Jäger, die versuchen, die Elchbullen näher ans Wasser zu locken. Die Jagdsaison steht an. Für Nate Turner und die anderen Bewohner eine der wichtigsten Perioden und eine der intensivsten im alaskischen Rhythmus.
    "Was mir letztendlich klar gemacht hat, wie meine nachhaltige Lebenseinstellung mit dem Jagdgewerbe zusammenpasst, ist vor allem die Tatsache, dass das geschossene Fleisch im Land bleibt. All die geschossenen Tiere, die Elche, Bergschafe und Berghirsche, fast alles verbleibt im alaskischen Zyklus. Es ist viel zu teuer und aufwendig, das Fleisch in andere Staaten und Länder zu verfrachten. Also fällt in meinem Fall das Fleisch den Jagd-Guides, den Einheimischen, zu. Denjenigen, die sonst diese Tiere wahrscheinlich so oder so für sich geschossen hätten."
    Die stark reglementierte Jagd in Alaska soll der Bevölkerung ermöglichen, ihr eigenes Fleisch für den Winter zu schießen. In den jeweils frei gegebenen Zeiten für Elch, Schwarzbär oder Grizzly legt die staatliche Behörde Fish+Game fest, wann und wie viel geschossen werden darf. Doch wie fast überall, wo noch unberührte Natur zu finden ist, ist die Jagd auch ein Geschäft mit den Trophäensammlern. Für die kommerzielle Jagd vergibt der Staat Lizenzen und Gebiete an geprüfte Jäger nach einem Punktesystem. Diese Jäger dürfen Touristen unter Anleitung und Aufsicht angestellter einheimischer Jäger in ihrem Gebiet Tiere schießen lassen - angelehnt an die jeweils aus dem Vorjahr veröffentlichten Tierbestände. Anhand vorab gekaufter Lizenzen können sich so Menschen aus aller Welt ins Abenteuer Jagd in Alaska einkaufen. Ein gutes Geschäft, für das sich nach Jahren auch Nate Turner erfolgreich mit einem lizenzierten Jagdgebiet beworben hat.
    "Nach dem Tod eines Tieres hier versuchen wir es so ganzheitlich wie möglich zu nutzen. Mir wurde klar, dass auf diese Art und Weise das Tier den größten Nutzen bringt: Es von einem auswärtigen Jäger unter der Anleitung eines Einheimischen schießen zu lassen. Um den Tod mit Respekt rechtfertigen zu können. Weil das Tier am Ende doch auf nachhaltige Weise bejagt und genutzt wird. Das dient auch dem Überleben der Buschleute. Und nebenbei bringt es dem Staat natürlich Geld, das auch für die Erhaltung der Natur hier genutzt werden kann."
    Für die Betreuung seiner Jagdgäste beschäftigt Nate Turner Einheimische, häufig Bekannte und Freunde. Meist bleibt ihnen das geschossene Fleisch. Häufig sind sie während der Jagdzeit über Wochen von ihren Familien getrennt. Den meisten weit gereisten Jagdgästen geht es um das Erlebnis, die Suche nach ihrer Beute und die Trophäe in Form von Geweihen und Tierköpfen. Doch bis sie überhaupt ein Tier zu Gesicht bekommen, vergehen häufig Tage der Geduldsprobe.
    "Die Wildnis mag und verzeiht keinen Hochmut"
    Leise paddeln und schleichen die Jäger mit dem Kanu morgens die Flussläufe entlang. Ein ständiges Lauschen in die Luft, meistens antwortet völlige Stille. Dazwischen spielt sich das Leben der Jagdgäste zwischen selbst gezimmerten Feldbetten, Lagerfeuer und Campingkochern ab. Abends geht es wieder raus aufs Wasser. Flussbiegung für Flussbiegung, Tag für Tag. Der alaskische Rhythmus bestimmt auch die Touristen. Keine aufgeregte Treibjagd mit Abschussgarantie. Nate Turner weiß um sein lukratives, aber sensibles Geschäft mit der Natur. Er will seinen Gästen den nachhaltigen Umgang mit der Wildnis auch bei der Jagd näher bringen. Und ihnen einen Hauch von authentischem Leben mit auf den Weg geben.
    "Die Wildnis mag und verzeiht keinen Hochmut. Hochmut ist in meinen Augen eine der schädlichsten menschlichen Eigenschaften. Weil sie Krieg und Leiden verursacht und die Kluft zwischen Arm und Reich noch vergrößert. Ich denke, dieses sich über andere hinweg setzen ist wirklich tief verankert in der heutigen menschlichen Gesellschaft. Und interessanterweise kennt die Wildnis das nicht. Man wird keine hochmütigen Tiere in diesem Sinne finden."
    Nates Vater Mike schießt sein Fleisch für den Winter noch immer selbst. In der Gefriertruhe hinter der Hütte lagern die Fleischteile des Schwarzbären. Auf ihrem Grundstück am Ufer des Flusses haben sich Mike und Fran Turner mittlerweile ihr eigenes Reich geschaffen. Mit einer neuen Hütte, in der sie den Sommer über leben, arbeiten und gestalten, wie ganz allein sie es sich vorstellen. Die Wildnis kennt keine Bauauflagen. Die einstige Trapperhütte am Rande des Waldes ist längst nur noch Teil eines durchdachten Sammelsuriums aus Möglichkeiten und Erfindungen. Das eigene kleine Sägewerk, genau wie die Trockenkammer für Gemüse und Fleisch, das Fischrad, das die Hechte und Lachse des Kantishna Flusses auf die Rutsche vor dem Grundstück der Turners treibt. Nie ist Stillstand, immer ist Arbeit.
    "Wenn man hier draußen lebt, ist es nicht mehr das Gleiche, wie man es sich aus Büchern vorgestellt hat. Hier ist man wirklich auf sich alleine gestellt. Wenn dann das Flugzeug mal verschwunden ist, dann kehrt die Ruhe ein. Nach unserer Ankunft hatten wir über acht Monate kein Flugzeug mehr hier landen sehen. Also mussten wir sichergehen, alles bei uns zu haben, um übers Jahr zu kommen. Dann wird einem schlagartig klar: Dies ist ein riesiges Land und um dich herum ist wirklich niemand. Da muss man schon gut mit sich klarkommen können."
    Ein neues Dach bauen für die Waschzeile vor dem Haus, die Vorratskammer noch einmal ein Stück höher stelzen zum Schutz vor den Bären, Bäume fällen, Bretter sägen, Balken bauen für das Gewächshaus. Zwischen Mike und Fran herrscht Arbeitsteilung. Jeder kennt seine Stärken. Jeder lässt den anderen machen. Erst drinnen in der Hütte arbeiten die beiden wieder zusammen. Wenn Mike Rote Beete, Kartoffeln, Zwiebeln, Mangold und Karotten aus dem Garten bringt, hat Fran schon die Trockensiebe ausgelegt. Gemeinsam füllen sie getrocknetes Gemüse in riesige Plastikzuber als Vorräte für den Winter. Aus den letzten Knochenresten gewinnen sie mit Hilfe der alten Mühle noch das Düngemehl für das kommende Frühjahr. Dann, wenn wieder ein neuer Zyklus beginnt. Jedes Jahr hofft Fran Turner aufs Neue, wieder eine gute Ernte zu bekommen und sich von ihrem eigenen Garten ernähren zu können.
    "Ich denke, viele Leute, die draußen in der Natur leben, tun ähnliche Dinge wie wir. Häufig leben die Menschen halt unter verschiedenen Voraussetzungen. Soweit wir können, wollen wir eben unser Essen selbst herstellen. Weil es effizienter ist und wir gerne wissen, was genau wir denn da zu uns nehmen."
    "In Städten habe ich mich nie richtig wohl gefühlt"
    Der Winter kommt plötzlich in Alaska. Die letzten Versorgungsflüge auf dem Wasser müssen schnell erledigt werden, bevor das Eis zurückkommt und die Flüsse wieder zufrieren. Als die rote Cessna mit ihren Propellerschlägen die Wasseroberfläche des Kantishna Flusses aufwirbelt, stehen Mike und Fran schon am Flussufer bereit und winken. Nate Turner fliegt noch ein letztes Mal nach Fairbanks. In die Stadt. Gut 30.000 Einwohner, ein paar Hotels, Supermärkte, zwei Museen und ein Denkmal. Mehr Zivilisation bietet auch die Anlaufstelle in Zentralalaska nicht. Soll sie aber auch gar nicht, wenn es nach den Turners ginge. Ein echtes Stadtleben ist nach all den Jahren in der Wildnis auch für Fran Turner unvorstellbar.
    "In Städten habe ich mich nie richtig wohl gefühlt. Alles geht so schnell dort im vorbestimmten Rhythmus. Alles außer mir. Und daran könnte ich mich wohl nie gewöhnen. Aber wahrscheinlich liegt das einfach daran, wie man aufgewachsen ist. Ich war schon früher kaum in Städten. Wahrscheinlich bin ich einfach nicht dafür gemacht."
    Es hätte auch anders kommen können. Dessen sind sich die Turners bis heute bewusst. Für ihren Traum wollten sie weit gehen, im Notfall über ihre Grenzen hinaus. Dass sie immer noch hier sind, verdanken sie ihrer eigenen Sturheit. Kommen kann jeder. Bleiben tun die wenigsten, sagen sie.
    "Das Land selbst wählt aus, welche Art von Leuten hier lebt. Man muss bereit sein, Dinge ein bisschen entschiedener anzupacken und ein bisschen mehr Durchsetzungsvermögen mitbringen, um hier zu leben. Das Land bestimmt, wer am Ende bleibt. Wenn man nicht mit Dunkelheit und Kälte und ein wenig Schmerz und Einsamkeit klarkommt, sagt einem das Land: Geh weiter, Du gehörst hier nicht hin."
    Eigentlich wollte Nate Turner Journalist werden und die Welt bereisen. Jetzt, wo feststeht, dass seine Arbeit so fest mit seiner Umgebung und seiner Familie verwurzelt ist, wie nur irgend möglich, will Nate Turner bleiben. Um es sich und anderen und dem Land, das er bewohnt, zu beweisen: Dass er das will und das kann, was ihm die Natur vorgibt.