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Srdja Popovic: "Protest"
Anleitung zur friedlichen Revolution

Mit friedlichen, oft witzigen Aktionen kämpften Studenten in den 1990er-Jahren in Serbien für Demokratie. Einer ihrer Anführer war Srdja Popovic, der heute Oppositionsbewegungen in der ganzen Welt berät. Jetzt hat Popovic mit seinem Co-Autor Matthew Miller ein Buch vorgelegt, das "Protest" heißt. Untertitel: "Wie man die Mächtigen das Fürchten lehrt".

Von Ulrike Winkelmann | 26.10.2015
    Der zentrale Begriff dieses Buches ist zugleich auch sehr gewöhnungsbedürftig, also soll er sofort erklärt werden: Lachtivismus, von "Lachen" und "Aktivismus". Lachtivismus – was im englischen Original als laughtivism kaum besser klingt – heißt, die Staatsmacht in ein Dilemma zu treiben, sie dadurch lächerlich zu machen und zu unterminieren.
    Srdja Popovic beschreibt, wie er und seine Freunde darauf kamen: Es waren die späten 1990er, und die Belgrader Studenten wollten gegen den serbischen Diktator Slobodan Milosevic protestieren. Sie malten Milosevics Gesicht auf ein Blechfass, schrieben dazu: "Schlag ihm die Fresse ein. Nur ein Dinar", und stellten das Fass nebst einem Baseballschläger vor das Belgrader Theater. Es dauerte nicht lange, bis die Passanten die Gelegenheit gern wahrnahmen, der Lärm schallte durch die Einkaufszone. Die Polizei kam, um jemanden zu verhaften. Aber sollten sie die fröhlichen Einkaufsbummler oder Kellner festnehmen, die da herumstanden? Sie nahmen lieber das Fass fest.
    "Unser Witz landete auf der Titelseite zweier oppositioneller Zeitungen, und das war buchstäblich unbezahlbare Werbung. Das Bild sagte mehr als tausend Worte: Wer es sah, wusste dass Milosevics gefürchtete Polizei nicht mehr war als ein komischer Haufen unfähiger Trottel."
    Der Lachtivismus, das sei mehr als Streiche gegen Diktatoren, erklärt Popovic. Denn er helfe, den Mörtel des Regimes zu zersetzen: die Angst. Deshalb sei diese Aktionsform nicht zu verwechseln mit dem Bemühen etwa einer jüngeren Generation linker Demonstranten in Westeuropa, lustig statt verbiestert zu wirken:
    "Man muss eine Linie dazwischen ziehen, ein Clown oder ein Lachtivist zu sein. Die grundlegende Idee des Lachtivismus ist: Man nimmt ein wichtiges Thema und man baut eine kreative Aktivität drum herum, die den Gegner in ein Dilemma bringt. Wenn sie es kaputt machen, sehen sie blöd aus, und wenn sie es nicht kaputt machen, sehen sie schwach aus. Das ist eine sehr strategische Art zu denken, und wir suchen nach solchen strategischen Handlungskonzepten auf der ganzen Welt."
    Fortbildungen für friedliche Umstürze
    Popovics Buch "Protest! Wie man die Mächtigen das Fürchten lehrt" will ein Leitfaden für Demokratiebewegungen weltweit sein, indem es von gelungenen gewaltfreien Protestformen gegen Diktaturen erzählt. Unterhaltsam, ironisch und nur bisweilen etwas albern-altklug wird aus jedenfalls berufenem Munde berichtet: Srdja Popovic und seine Freunde haben mit ihrer Bewegung "Otpor" - zu Deutsch "Widerstand" - zum Sturz von Milosevic im Jahr 2000 Enormes beigetragen. Mit der Organisation CANVAS – Center for Applied Non-Violent Actions and Strategies – veranstaltet Popovic seit 2003 Fortbildungen für friedliche Umstürze weltweit. Das Protestbuch ist nur ein weiteres Werkzeug im Instrumentenkasten der Aufklärung.
    "Wir arbeiten immer stärker an neuen Medien-Instrumenten, wir arbeiten an einem Online-Kurs mit der Harvard-Universität, wir arbeiten an Videos zu jedem einzelnen Buchkapitel, um den Leuten lustigere Bildungsangebote zu machen. Aber - nennt mich altmodisch - es gibt nichts Besseres als ein Buch vorm Einschlafen oder im Flugzeug. Ich bleibe beim Buch."
    Es gehört zu den Stärken des Protest-Buchs, dass es nichts chronologisch herunterleiert, sondern kreuz und quer durch die Zeitgeschichte schneidet, um davon zu erzählen, wie aus kleinen Dingen etwas Großes, wie Alltägliches politisch wurde. Nahrungsmittel etwa, schreibt Popovic, sind ein Machtfaktor, und mit Essen können Revolutionen eingeleitet werden:
    "Das ist einer der Gründe, warum sich so viele politische Aktivisten für bessere und gesündere Lebensmittel einsetzen. Alle müssen essen, unabhängig von Religion, Hautfarbe oder politischer Überzeugung. ( ... ) Wir sind biologisch darauf gepolt, Fragen der Gesundheit und Ernährung ernstzunehmen."
    Zum Beispiel die Malediven: Der Regierungswechsel 2008 vom Autokraten Maumoon Gayoom zum Demokraten Mohamed Nasheed beginnt bei Popovic mit Reispudding. Die Opposition der Malediven, unter Gayoom geknechtet, veranstaltete auf dem Insel-Archipel Partys mit Gratis-Reispudding, um Unterstützer zu sammeln. Was den Oppositionellen jedoch fehlte, war eine Vision.
    Hier kommt in Popovics Darstellung seine eigene Organisation CANVAS ins Spiel. Denn dank einem Revolutions-Workshop sei es gelungen, die Demokratie-Bewegung der Malediven mit einem begeisternden Programm auszustatten, das schließlich half, Gayoom zu verdrängen.
    "Da saßen wir also, zwei großgewachsene Serben und ein paar Hobbits von den Malediven, und entwarfen an einem einsamen Strand von Sri Lanka die Zukunft des Inselstaats. Wir hielten den Kurs im Freien ab, weit weg von Gayooms Spitzeln, und die salzige Brise und die Palmen waren eine willkommene Abwechslung für uns, die wir unsere Kurse sonst unter den Neonröhren schäbiger Konferenzräume von Billighotels abhielten."
    So fröhlich Popovic solche Anekdoten um seine Thesen gruppiert, so schnell entsteht bei der Lektüre doch der Eindruck, dass manche Abläufe etwas unterkomplex dargestellt sind – bei allem Respekt vor den teils riskanten CANVAS-Aktionen. Wobei Popovic ein starkes Unterstützernetz weltweit hat. An vielen US-Unis haben ihn die Bewegungssoziologen ins Herz geschlossen, ein Otpor-Kumpel aus alten Tagen ist jetzt ein reicher Telekommunikations-Unternehmer und Sponsor.
    Und bei aller Freude an Coolness und Spontaneität besteht Popovic darauf, dass eine erfolgreiche Demokratiebewegung eine Strategie, das heißt erreichbare Ziele haben muss. Die Occupy-Bewegung nach der Finanzkrise von 2008 hat ihn nicht gerade beeindruckt:
    "Ich habe die Leute von Occupy getroffen, deren Vorstellungen ich ja in vielerlei Hinsicht teile. Ich war doch enttäuscht, sie schienen nicht zu wissen, was sie wollen, sondern bloß zu wissen, was sie nicht wollen. (...) Die Kapitalismuskritik ist nicht tot, ganz im Gegenteil, wir werden viel mehr solche Bewegungen bekommen, speziell in der Welt des liberalen Kapitalismus."
    Auch von einem Workshop für ägyptische Widerständler berichtet das Buch. Dass die Arabellion genau nicht gemäß CANVAS-Leitfaden verlief, arbeitet Popovic vielleicht etwas zu oberflächlich auf.
    "Um ehrlich zu sein, das ist wahr, es ist unsere gemeinsame Verantwortung, mehr über solche Prozesse zu erfahren, wir müssen uns die gescheiterten Fälle genau ansehen, Ägypten und Syrien noch einmal genau untersuchen, was schiefgegangen ist. Wir müssen versuchen, die Mechanismen zu erkennen und übertragen zu lernen, wie der Übergang zu einer Demokratie funktionieren kann. Aber das ist nicht die Rolle für eine kleine NGO, das müssen die Hochschulen, die Stiftungen und die demokratischen Regierungen machen."
    Es ist ein schmaler Grat zwischen idealistisch-sympathischem Größenwahn und Verantwortung für die Menschen, die geglaubt haben: Wenn ihr das geschafft habt, schaffen wir das auch. Davon handelt hoffentlich Popovic's nächstes Buch. Griffig formulieren kann er ja.
    Srdja Popovic, Matthew Miller: "Protest! Wie man die Mächtigen das Fürchten lehrt"
    Übersetzung: Jürgen Neubauer
    S. Fischer Taschenbuch Verlag
    240 Seiten, 16,99 Euro
    ISBN: 978-3-596-03377-5