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Regierungskrise in Sri Lanka
SWP-Südasienexperte erwartet massive Wohlstandsverluste in den nächsten Jahren

In Sri Lanka könnte es nach dem Sturz der Regierung zur Bildung einer Regierung von Technokraten kommen, sagte Christian Wagner, SWP-Südasienexperte, im Dlf. Diese könnte Verhandlungen mit dem Internationalen Währungsfonds führen. Sri Lanka kann sich derzeit nicht aus eigener Kraft von seinen Schulden befreien.

Christian Wagner im Gespräch mit Sandra Schulz |
Zwei Tage nach der Erstürmung des Präsidentenpalasts in Colombo, Sri Lanka, stehen die Menschen Schlange für eine Besichtung
Zwei Tage nach der Erstürmung des Präsidentenpalasts in Colombo, Sri Lanka, stehen die Menschen Schlange für eine Besichtung (IMAGO / NurPhoto / Thilina Kaluthotage)
Sri Lanka steckt in der schwersten Krise seit Jahren. Der Inselstaat im Indischen Ozean leidet unter hohen Schulden. Zudem fehlen wegen der Corona-Pandemie wichtige Einnahmen aus dem Tourismus, gleichzeitig sind die Rohstoffpreise weltweit angestiegen, Lebensmittel sind knapp und aufgrund der hohen Schulden können Treibstoff und Medikamente nicht mehr importiert werden.
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Verschuldungskreislauf in Sri Lanka und Pakistan

Ende Juni vermeldete Ministerpräsident Ranil Wickremesinghe den vollständigen Zusammenbruch der Wirtschaft. Sri Lanka hatte sich vor allem mit Hilfe von Krediten in Höhe von vier Milliarden Dollar aus dem Nachbarland Indien über Wasser gehalten. Inzwischen hat Sri Lanka den Internationalen Währungsfonds (IWF) sowie Russland um Hilfe gebeten. Demonstrierende hatten daraufhin am Samstag den Präsidentenpalast in Colombo gestürmt, Sri Lankas Präsident Gotabaya Rajapaksa war geflohen und hat seinen Rücktritt angekündigt.
Demonstranten vor dem Präsidentenpalast in Sri Lanka
Demonstranten vor dem Präsidentenpalast in Sri Lanka (AFP)

Verhandlungen mit IWF wegen Schuldennachlass

Christian Wagner, Südasienexperte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), sagte im Deutschlandfunk, die prekäre ökonomische Lage des Landes sei über einen längeren Zeitraum entstanden. Die Situation sei dabei symptomatisch für die gesamte Region, ähnliche Entwicklungen gebe es auch in Pakistan. Die Länder seien in einen Verschuldungskreislauf hineingeraten, den sie aufgrund der eingetrübten weltwirtschaftlichen Lage nicht mehr alleine bewältigen könnten, sagte Wagner. Mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) müsse nun ein Schuldenerlass ausgehandelt werden. Wagner begrüßte dies. Die Verhandlungen würden dazu führen, dass mehr Transparenz in das Verfahren der Kreditvergabe durch China komme.

Angebote für Länder des globalen Südens - auch vonseiten der EU

Die Frage der Geldgeber ist von Interesse, denn sie geht mit Einfluss einher. Neben China wollen auch Großmächte wie Indien und Japan Sri Lanka aus der Versorgungsnotlage helfen sowie Russland, mit günstigem Öl.
Auch die Europäische Union bemühe sich darum, den Ländern im globalen Süden Alternativen zu chinesischen Krediten anzubieten, erläutert Wagner. Doch ein Programm wie das Global Gateway müsse finanziell besser ausgestattet werden, damit mittel- bis langfristig solche Entwicklungen wie in Sri Lanka oder Pakistan verhindert werden können, sagte Wagner.
Er prognostizierte zudem, dass im Zuge der anstehenden Reformen massive Einschnitte im sozialen Bereich auf die Bevölkerung zukämen. Da die Opposition in Parlament keine stabile Mehrheit habe, sei eine Regierung der Technokraten möglich. Diese könnte Reformen möglicherweise leichter durchsetzen.

Das Interview im Wortlaut:

Sandra Schulz: Herr Wagner, es soll in der kommenden Woche ein neuer Präsident gewählt werden. Die Opposition sagt, sie will jetzt Führung zeigen und das Land stabilisieren. Ist das realistisch?
Christian Wagner: Das ist tatsächlich eine sehr schwierige, auch verfassungsrechtliche Frage. Die Opposition hat momentan im Parlament keine Mehrheit. Das heißt, man weiß gar nicht so richtig, wie man eine neue Regierung auf eine stabile Basis stellt. Es ist auch zu überlegen oder es wird sicherlich auch diskutiert werden, ob man eine Regierung der Technokraten einsetzen wird, weil das Land muss sehr schwierige Verhandlungen mit dem Internationalen Währungsfonds führen. Das heißt, es wird hier zu vermutlich massiven Einschnitten vor allem im sozialen Bereich kommen, und das sind Dinge, mit denen möchte sich keine Partei belasten.
Hier hätte eine Regierung der Technokraten den Vorteil, dass sie Reformen einleiten könnte und dann politisch nicht mehr dafür verantwortlich gemacht werden könnte, auch nicht von den Parteien. Es ist in der Tat momentan eine sehr schwierige, auch verfassungsrechtliche Lage, wo noch nicht so ganz klar ist, welchen Weg man gehen wird.

"Man hat hier die ganzen Möglichkeiten verspielt"

Schulz: Einschnitte im sozialen Bereich, sagen Sie. Das ist eigentlich schwer vorstellbar in diesem Land, aus dem jetzt gemeldet wird, dass viele Menschen nicht ausreichend zu essen haben und auch kein Benzin, kein Gas zum Kochen.
Wagner: Ja. Es ist tatsächlich so: In den nächsten Jahren werden wir massive Wohlstandsverluste in Sri Lanka sehen. Das Land war ja bislang immer auch entwicklungspolitisch ein Vorzeigeland. Man hatte immer sehr gute Bildungsdaten, man hatte immer vergleichsweise gute Gesundheitsdaten. Aber es hat sich auch gezeigt durch verschiedene Entwicklungen der letzten Jahre, dass man hier die ganzen Möglichkeiten verspielt hat. Man hatte ja nach dem Ende des Bürgerkrieges 2009 die Möglichkeit für eine Friedensdividende, aber auch die ist damals von der Rajapaksa-Regierung nicht eingelöst worden.

"Generell haben wir diese Probleme eigentlich schon seit den 2010er-Jahren"

Schulz: Dass die Lebensmittel- und auch die Energiepreise so stark angezogen haben, inwieweit steht das in Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg, den Russland ja führt?
Wagner: Das hat vermutlich die ganze Sache noch mal weiter eskalieren lassen. Generell haben wir aber diese Probleme eigentlich schon seit den 2010er-Jahren. Wir hatten ja 2019 das Attentat des Islamischen Staates in Sri Lanka am Ostersonntag. Wir hatten während der ganzen 2010er-Jahre schon eine wachsende Verschuldung des Landes durch China. Wir hatten dann 2020 die Corona-Krise. 2021 hat die Regierung, auch um Devisen zu sparen, beschlossen, die Landwirtschaft über Nacht auf Biolandbau umzustellen, was de facto zu einem massiven Rückgang der Erträge führte.
Wir haben eine ganze Reihe von Faktoren, auch im Bereich der Versorgung, die sich schon in den letzten Jahren angehäuft haben, so dass jetzt der Ukraine-Krieg eigentlich nur noch mal der letzte Anstoß war, aber die Probleme zuvor auch schon da waren.

"Für den Bereich der Energie wird sicherlich auch Russland ins Spiel kommen"

Schulz: … und auch die politischen Probleme noch mal angewachsen sind, wenn wir auf die Länder schauen, die als Geldgeber am Start sind. Da könnte das Spektrum breiter nicht sein. China, Japan, auch Russland. Welche Rolle wird das jetzt spielen?
Wagner: Es wird, glaube ich, eine sehr große Rolle spielen. Es wird vor allem darauf ankommen, wer jetzt dem Land unmittelbar aus der Versorgungsnotlage helfen wird. Hier hat vor allem Indien eine Reihe von Avancen gemacht. Für den Bereich der Energie wird sicherlich auch Russland ins Spiel kommen. Russisches Öl ist ja momentan zu vergleichsweise günstigen Preisen auf den Weltmärkten zu erhalten.
Das heißt, hier wird die sri lankische Regierung oder die dann in der Verantwortung stehen sicherlich versuchen, hier die Notstände zu beheben. Generell muss das Land einen großen Schuldenerlass mit dem IWF aushandeln. Das wird auch dazu führen, dass vermutlich die ganzen Verpflichtungen, die man gegenüber China hat, etwas transparenter werden.
Auch das kann noch mal für innenpolitischen Sprengstoff sorgen, denn die Beziehungen mit China sind eng mit der Rajapaksa-Familie verbunden, und es könnte auch hier sein, dass dann die Verhandlungen mit dem IWF dazu führen, dass man etwas mehr Transparenz in das Verfahren der Kreditvergabe durch China erhält.

"Es ist momentan sicherlich symptomatisch für die Region"

Schulz: Dass Sri Lanka jetzt wankt - Sie haben es gesagt: ein Land, das eigentlich lange als Vorzeigeland gegolten hat -, inwieweit ist das symptomatisch für die Region?
Wagner: Es ist momentan sicherlich symptomatisch für die Region. Wir haben ähnliche Entwicklungen gerade auch in Pakistan. Auch dort ist man eigentlich in Verhandlungen mit dem IWF. Auch dort haben wir vor wenigen Wochen einen Regierungswechsel gesehen.
Wir sehen gerade doch, dass hier eine Reihe von Ländern mittlerweile in einen Verschuldungskreislauf hineinkommen, den sie aufgrund der eingetrübten weltwirtschaftlichen Lage nicht mehr alleine bewältigen können, so dass sie sich jetzt wieder an die internationalen Institutionen wenden können. Hier wird man sehen, inwieweit dann auch Großmächte wie China, Indien, Japan versuchen, ihren Einfluss geltend zu machen. Gerade in Südasien ist es seit vielen Jahren eine Rivalität zwischen Indien und China.
China hat hier sicherlich momentan an Boden etwas verloren, aber ich glaube, man sollte hier nicht allzu optimistisch sein. Mittel- bis langfristig sind die chinesischen Interessen für viele Länder weiterhin sehr attraktiv.

"Wir versuchen auch den Ländern im globalen Süden eine Alternative zu bieten"

Schulz: Was sollte die EU, was sollte Deutschland da jetzt machen, diese Interessen dort untereinander ausfechten lassen zwischen Indien und China, oder auch geostrategisch dort mit an den Start gehen?
Wagner: Es gibt ja eine Reihe von Bemühungen auch auf Seiten der Europäischen Union, eigene Konnektivitätsprojekte aufzusetzen. Ich denke, hier wird man alles daran setzen müssen, die vergleichsweise attraktiv zu gestalten. Das heißt, wir versuchen, von europäischer Seite auch den Ländern im globalen Süden eine Alternative zu bieten zu den chinesischen Krediten. Auch die USA, auch Japan haben eigene Programme in den letzten Jahren entwickelt.
Hier wird es, glaube ich, darum gehen, dass man diese Angebote attraktiv gestaltet, um die Option für Länder des globalen Südens zu erhöhen. Das Problem, was wir auf europäischer Seite haben: Wir müssen diese Programme, das Programm Global Gateway zum Beispiel, mit mehr finanziellen Mitteln unterstützen, damit wir hier mittel- bis langfristig vielleicht solche Entwicklungen, wie wir sie jetzt in Sri Lanka oder auch in Pakistan gesehen haben, verhindern können, dass wir den Ländern Möglichkeiten bieten, auf eine bessere finanzielle Basis zu kommen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.