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St.-Pauli-Präsident Göttlich
„Der deutsche Fußball wäre doof, wenn er jetzt nicht reflektiert“

Den Sieg seines FC St. Pauli hätte Präsident Oke Göttlich gerne dafür eingetauscht, keine Geisterspiele machen zu müssen. Doch Göttlich sieht auch Chancen in der Coronakrise und hofft auf tiefgreifende Veränderungen im Fußball. Ganz konkret will er die Finanzierung der Vereine unter die Lupe nehmen.

Oke Göttlich im Gespräch mit Maximilian Rieger |
Oke Göttlich, Präsident des FC St. Pauli
Oke Göttlich, Präsident des FC St. Pauli (dpa)
"Das Herz von Sankt Pauli pumpt in dem Moment, wo die Leute - und zwar 30.000 Leute - hier im Stadion sind und auch deutlich mehr als nur ein reines Fußballspiel anschauen, sondern sich treffen und auch sehr meinungsstark und lautstark ihre Positionen klarmachen", sagt Oke Göttlich, der Präsident des FC St. Pauli, im Deutschlandfunk. Geisterspiele seien für das Verständnis von Fußballkultur des FC St. Pauli sehr schwierig und ein wahnsinniger Einschnitt.
Göttlich lobt trotzdem das Hygienekonzept, das nun auch in anderen Bereichen als Grundlage für Öffnungen diene. Obwohl die Vereine oft selbst die Abstriche durchführen, könne er sich keine Manipulationen in diesem Bereich vorstellen. "Das ist mir zu verschwörungstheoretisch", so Göttlich, der auch im Präsidium der Deutschen Fußball Liga sitzt.
In der umstrittenen Frage, was im Fall eines Saisonabbruchs passiert, glaubt Göttlich, dass es Auf- und Absteiger geben wird. In welchen Variationen wage er aber noch nicht vorherzusagen.
Göttlich erklärt, dass seine Gefühlslage aktuell von drei Punkten bestimmt werde: Dem Versuch, Covid-19 einzudämmen, sowie den Sorgen um die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie und den Einschränkungen der Freiheitsrechte Einzelner.
Für die Gesellschaft sieht er aber auch eine Chance in der Krise: Man könne "gemeinschaftlich gesellschaftlich dieses Thema als Startschuss begreifen, dass sich viele Dinge in unserer Gesellschaft hoffentlich auch nach dieser Pandemie verändern werden."
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Neustart der Bundesliga - Sie haben es wirklich durchgezogen
Die Fußball-Bundesliga spielt wieder. Seifert, Rummenigge, Watzke, Laschet und Söder hätten das einfach durchgezogen, kommentiert Klaas Reese. Die diversen Gegenargumente und Komplikationen seien kleingeredet worden. Normalität oder Freude für die Fußballfans würden die Spiele nicht bringen.
Auch für den Sport sieht Göttlich neue Möglichkeiten: "Der deutsche Fußball wäre doof, nicht zu reflektieren und auch mal zu gucken: Wo sind jetzt Dinge schief gelaufen? Welche Themen guckt man sich etwas genauer an?"
Göttlich kritisiert das internationale "Rattenrennen", dem der deutsche Fußball sich angeschlossen habe: Immer neue Finanzierungsideen, um den Vereinen mehr Geld und damit möglicherweise Stars zu ermöglichen. Deswegen will er auch keine reine Obergrenze der Spielergehälter, sondern eine generelle Begrenzung und Kontrollen der Finanzen:
"Wir müssen uns sämtliche Finanzierungsmöglichkeiten sämtlicher Vereine angucken und müssen dann auch mal eine Bewertung vornehmen dürfen: Was ist daran eigentlich gerecht?"
Auch Fans und Sportler mit an den Tisch holen
Göttlich plädiert dafür, auf nationaler Ebene Konzepte zu durchdenken und vorzulegen. Als nationaler Verband müsse man den Mut haben, als Erster einen Weg zu gehen, der nicht gleich in ganz Europa für Applaus sorge.
Solche Veränderungen will Göttlich nicht nur unter Funktionären diskutieren: "Müssen es auch Sportler sein? Aus meiner Sicht ja." Auch Fans oder Fanvertreterinnen müssten mit am Tisch sitzen. "Aus meiner Sicht können wir den Fußball nicht permanent ohne die Menschen denken, die auch großen Spaß an diesem Sport hatten und übrigens auch wahnsinnig wichtige Botschafter für diesen Sport sind."
Auf jeden Fall will Göttlich nun "machen" und die Stimme des FC St.Pauli in die Diskussion einbringen: "Damit kann man auch krachend scheitern. Aber wir werden zumindest alles dafür tun und unsere Bemühungen in die Waagschale werfen, dass es Veränderungen in diesem Fußball gibt."
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassung wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.