"Bin ich denn die Einzige auf dieser Welt?", fragt St. Vincent im Eröffnungsstück des neuen Albums. Das erzählende ich lässt die Hüllen fallen und wandert durch die Wüste. Doch von Einsamkeit keine Spur. Der Songtitel verrät, dass ein Beobachter anwesend ist, ein giftiger noch dazu. Das Stück heißt "Rattlesnake", also Klapperschlange.
Sie war sehr nahe, als ich sie entdeckte und sie sah sprungbereit aus. Also lief ich so schnell wie möglich zurück zum Haus und beruhigte mich mit einem Shot Tequila.
Verrückte und konstruierte Geschichte
Die Geschichte klingt verrückt und konstruiert. Aber St. Vincent beteuert im Interview, dass sich alles tatsächlich so zugetragen hat auf einer Ranch einer Freundin im Westen von Texas.
"Ich habe diese Geschichte als Eröffnungsstück gewählt, weil sie wie ein Schöpfungsmythos klingt, ein Schöpfungsmythos, der exemplarisch für unsere Zeit steht. Ich bin in die Wildnis und hatte nicht die geringste Ahnung, wie real die Gefahren der Natur tatsächlich sind. Und das ist doch typisch für einen Stadtmenschen. Fragen Sie mich, wer der Schlagzeuger der Band Toto ist, aber bitte nicht, ob Kühe Menschen attackieren."
Das neue St.-Vincent-Album untersucht die Entfremdung des Menschen in einer digitalen, zunehmend Haptik freien Welt: Spiritualität, Tod und der gewöhnliche Alltag sind die wiederkehrenden Motive. Die daraus resultierenden Songs sind höchst artifizielle Konstruktionen. St. Vincent scheut nicht davor zurück die Konventionen des Pop auf den Kopf zu stellen.
"Ich nehme mir nicht vor, seltsam zu klingen. Aber was mich schon interessiert, ist: mit den Formen zu spielen, sie etwas zu drehen. Trotzdem bewege ich mich bewusst im Rahmen der Popmusik. Schöne Harmonien und Wiedererkennbarkeit sind mir wichtig. Nur so macht es Spaß."
Ein Dutzend Instrumente
St. Vincent beherrscht über ein Dutzend Instrumente und spielt ihre Alben in der Regel selbst ein. Im Mittelpunkt steht die Gitarre, die aber oft bis zur Unkenntlichkeit verfremdet wird. So wird der Sound zum eigentlichen Träger der Information.
"Ich arbeite viel mit Verzerrern, den sogenannten Distoritions. Es gibt sehr aggressive, die richtig wehtun im Ohr und dann gibt es sehr warme, wohlige Verzerrer, die ich bevorzuge."
"Ich höre in mich hinein und versuche die Sounds, die in meinem Kopf entstehen, zu reproduzieren. Ich jage ihnen förmlich nach wie wilden Tieren."
St. Vincent auf pfirsichfarbenem Thron
Das Album-Cover zeigt St. Vincent auf einem pfirsichfarbenen Thron. Sie selbst trägt ein blau glänzendes Kleid und grau melierte Haare. Sie wirkt cool und souverän, wie eine Herrscherin von einem anderen Stern.
"Es gibt so viele Möglichkeiten, weibliche Schönheit und auch weibliche Kraft darzustellen. Es war mir wichtig, durch den Blick und die Haltung des Körpers das möglichst direkt zu vermitteln."
Das vierte St.-Vincent-Album ist das bisher schönste und stimmigste. Selten hört man Popmusik mit Kunstanspruch, die sich so organisch anfühlt. Und die New Yorkerin weiß das auch, sonst würde sie wohl nicht so selbstbewusst am eigenen Albumcover thronen.