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Staat im Staate: Frankreichs Atomlobby

Ein Atomausstieg, so wie in Deutschland von Rot-Grün beschlossen, wäre in Frankreich undenkbar. Das ausgetretene Uran in einem AKW im Südosten des Landes hat diese Woche zwar Besorgnis ausgelöst, mehr aber auch nicht. Eine Diskussion über die Risiken der Kernkraft findet in Frankreich nicht statt. Statt dessen soll tief unter französischer Erde das erste Atommüll-Endlager in Europa entstehen. Über Frankreichs mächtige Atomlobby berichtet Hans Woller:

    Wie aus heiterem Himmel und ohne jede Diskussion im Vorfeld, weder im Parlament noch in der Öffentlichkeit, hat der französische Staatspräsident, Nicolas Sarkozy, vergangene Woche angekündigt, dass Frankreich einen zweiten EPR, den so genannten europäischen Druckwasserreaktor der dritten Generation bauen wird.

    "Angesichts der derzeitigen Preissteigerungen wird sich die Menschheit bewusst, dass man umgehend neue Lösungen finden muss für das Zeitalter nach dem Erdöl. Was macht man also? Wir werden heute einen zweiten EPR-Reaktor bauen, nach dem, der in schon im Bau ist. Jeder EPR, der ein Gaskraftwerk ersetzt, spart jährlich zwei Milliarden Kubikmeter Gas. Jeder EPR , der ein Kohlekraftwerk ersetzt, bedeutet: jährlich elf Millionen Tonnen CO2-Ausstoß weniger."

    Die Argumente des Präsidenten spiegeln den in Frankreich herrschenden Diskurs wieder, der da lautet: wir sind dank unserer 58 Atomreaktoren, die seit 3 Jahrzehnten 80 Prozent unserer Elektrizität produzieren, beim Kohlendioxidausstoß Musterschüler.

    Und kaum hatte Frankreichs Präsident den Bau des Reaktors angekündigt, gab es auch schon eine Kandidatur für den Standort . Der Präsident des nordostfranzösischen Departements Ardennes, eines der ärmsten im Land, wo bereits zwei klassische 1400 Megawattreaktoren in Betrieb sind:

    "Wir haben gewisse Trümpfe: eine Bevölkerung am Ort, die sich von all den Befürchtungen um Atomkraftwerke nicht mehr einschüchtern lässt. Hier kennen wir die Atomkraft, wir haben die erste und die zweiten Generation der AKW erlebt und wir sehen das wirtschaftliche Interesse eines solchen Projekts. In der mehrjährigen Bauphase mindestens 2300 Arbeitsplätze und danach 450 bis 500 sichere Jobs."

    Gewiss: Greenpeace und die Anti-AKW-Dachorganisation "Sortir du Nucleaire" protestierten gegen die Ankündigung des Staatspräsidenten, doch ihr politisches Gewicht ist, ebenso wie das der französischen Grünen, beschränkt - Frankreichs traditionelle Parteien ob Sozialisten, Gaullisten oder Zentristen, sowie die meisten Gewerkschaften sind seit jeher für die Atomkraft. Angesichts dessen dringen Argumente, wie die der früheren Umweltministerin Corinne Lepage, in der Öffentlichkeit nur schwer durch:

    "Die drei Milliarden Euros, die ein EPR Reaktor kostet, werden bei den Investitionen für erneuerbare Energien fehlen und für den Bau vom energiesparenden Häusern etc. Die öffentlichen Forschungsgelder gehen zu über 80 Prozent in die Atomtechnologie und nur fünf Prozent sind für erneuerbare Energien übrig. So lange diese Art von Logik vorherrscht, gibt es keine Hoffnung."

    Gleichzeitig ist es nicht so, dass sich gegen die französische Atomindustrie überhaupt kein Widerstand regen würde : vor der Präsidentschaftswahl 2007 gingen landesweit rund 60.000 Menschen auf die Strasse gegen den Bau des ersten EPR-Reaktors in Flamanville. Stephane Lhomme, Sprecher von "Sortir du Nucléaire" damals:

    "Zehntausende sagen jetzt: es reicht, man muss endlich in die Intelligenz investieren, in Gebäudeisolierung, Energiesparen und erneuerbare Energien und auf keinen Fall mehr in neue Atomreaktoren."

    Inzwischen hat der Bau des ersten EPR-Reaktors in Flamanville aber längst begonnen . Und ebenso selbstverständlich wird Frankreichs Atomlobby, eine Art Staat im Staat, ihr Endlager für hochradioaktive Abfälle bauen. Seit zehn Jahren betreibt man im ostfranzösischen Dörfchen Bure, 200 Kilometer von der deutschen Grenze, in 500 Metern Tiefe ein Labor - de facto eine Vorstufe des Endlagers in einer 130 Meter dicken Lehmschicht. Zwar gibt es auch hier hin und wieder Demonstrationen, doch ein paar hundert Teilnehmer bewegen nicht wirklich etwas. Eine Demonstrantin:

    "Sie haben eine noch intakte Region gewählt, vor allem dünn besiedelt. Natürlich muss man diese Sauereien von Abfällen irgendwo lagern, aber die Lagerung unter der Erde ist nicht die Lösung."

    Auf die Frage, ob es ein Vorteil oder ein Nachteil sei, dass vier Fünftel des französischen Stroms aus Atomkraftwerken kommt, antworteten letzten Februar 51 Prozent der Franzosen, es sei ein Vorteil, 39 Prozent ein Nachteil. Gleichzeitig sagen aber 65 Prozent auch, dass die AKW ein Risiko darstellen. Ein Risiko, mit dem man sich aber offensichtlich abfindet, zumal an den ländlichen Standorten der Atomanlagen, wo die Atomindustrie häufig der einzige Arbeitgeber und ein großzügiger Steuerzahler ist und insgesamt ein so mächtiger Wirtschaftsfaktor , dass sie für die meisten Franzosen nicht mehr wegzudenken ist.

    Entsprechend kann Präsident Sarkozy das Knowhow in der Atomtechnologie sogar offensiv als ökonomischen Hoffnungsfaktor verkaufen:

    "Es wird in den kommenden Jahren in der Welt einen phantastischen Ausbau der Atomenergie geben. Und Elektrizität, die aus einem EPR Reaktor kommt ist 30 bis 50 Prozent billiger als die aus Gas oder Kohlekraftwerken. Stellen Sie sich vor, wir Franzosen können sogar Stromexporteure werden, obwohl wir weder Erdöl noch Erdgas haben."