In Deutschland gilt, Staatenlosigkeit soll möglichst selten sein. Dafür hat die Bundesrepublik zahlreiche internationale Abkommen unterzeichnet Dennoch wird das Thema Staatenlosigkeit größer und ist gesetzlich nicht geregelt.
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Wie viele Staatenlose gibt es in Deutschland?
Ende 2023 gab es laut Statistischem Bundesamt in Deutschland 29.495 anerkannte Staatenlose, also Menschen die in keinem Land der Welt Staatsbürger sind. Seit 2013 steigt die Zahl der Staatenlosen in Deutschland, damals waren es noch knapp die Hälfte. Die meisten von ihnen wurden im Ausland geboren und stammen aus Syrien (47,5 Prozent). Hinzu kamen 94.200 Menschen mit ungeklärter Staatsangehörigkeit.
Warum gibt es staatenlose Menschen?
Die Gründe für Staatenlosigkeit sind vielfältig. Menschen können staatenlos werden, weil ihnen wichtige Dokumente fehlen, beispielsweise Geburtsurkunden, oder weil sie nicht in staatlichen Registern geführt werden. Auch kann es vorkommen, dass Minderheiten schon im Heimatland nicht als Staatsbürger gelten. So erhalten etwa viele Tuareg in Libyen systematisch keine Staatsbürgerschaft, gleiches gilt für Palästinenser in Syrien.
Manche Menschen verlieren ihre Staatsbürgerschaft, weil der Staat, in dem sie geboren wurden, nicht mehr existiert. So erhielt nicht jeder, der früher einen jugoslawischen Pass oder Bürger der Sowjetunion war, später die Staatsangehörigkeit eines Nachfolgestaats. Darüber hinaus gibt es Länder, in denen Staatenlosigkeit durch Geschlechterdiskriminierung geschaffen wird. Nämlich dort, wo Kinder nur die Staatsbürgerschaft des Vaters übernehmen dürfen. Kinder werden dann staatenlos, wenn der Vater unbekannt oder die Vaterschaft nicht anerkannt wird. Staatenlosigkeit kann auch vererbt werden, etwa in Deutschland, weil hierzulande geborene Kinder nicht automatisch Staatsbürger sind.
Was ist der Unterschied zwischen "ungeklärter Staatsangehörigkeit" und "staatenlos"?
Eine "ungeklärter Staatsangehörigkeit" liegt vor, wenn Menschen sich aus verschiedenen Gründen nicht ausweisen können. In Deutschland handelt es sich dabei aber um keinen Rechtsstatus, sondern nur um einen Arbeitsbegriff der Behörden, für die Zeit, in der die Identität überprüft wird. Daher bekommen die Betroffenen auch keinen Ersatzausweis wie "anerkannt Staatenlose". Dadurch haben sie größere Schwierigkeiten, einen Aufenthaltstitel zu erhalten.
Die meisten anerkannt Staatenlosen hatten 2023 eine Aufenthalts- oder Niederlassungserlaubnis oder wurden geduldet. Nur 3,7 Prozent der Staatenlosen hatten kein Aufenthaltsrecht, bei Menschen mit ungeklärter Staatsangehörigkeit galt das für immerhin 17 Prozent.
Warum ist staatenlos zu sein ein Problem?
Staatenlose beziehungsweise Personen mit ungeklärter Staatsangehörigkeit leben in Deutschland zumeist in großer Unsicherheit. Das gilt vor allem im Hinblick auf eine Bleibeperspektive und das Zugehörigkeitsgefühl, aber auch in Bezug auf konkrete Rechte und Pflichten von Staat und Bürgern. Für die Betroffenen sind viele Dinge kompliziert oder unmöglich, die für die meisten Menschen in Deutschland selbstverständlich sind, zum Beispiel Kontoeröffnung, Reisen, Einschreibung an einer Hochschule.
Die deutsche Staatsangehörigkeit zu erhalten, ist selbst für Staatenlose, die in Deutschland geboren wurden, sehr schwierig. Manche Menschen bekommen lediglich Aufenthaltstitel. Erst wenn dieser unbefristet ist, haben sie eine Chance auf eine Einbürgerung.
Lediglich 21 Prozent aller anerkannten Staatenlosen hatten nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 2022 einen unbefristeten Aufenthaltstitel. Bei den Personen mit ungeklärter Staatsangehörigkeit waren es sogar nur neun Prozent. Das liegt auch daran, dass die Behörden bei vielen Betroffenen die Identität nicht abschließend klären können.
Wie geht die Politik mit dem Problem Staatenlosigkeit um?
„Jeder hat das Recht auf eine Staatsangehörigkeit“, heißt es in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948. Doch davon ist die Weltgemeinschaft weit entfernt. Deutschland ist mehreren UN-Abkommen beigetreten, die die Zahl der Staatenlosen reduzieren und den Betroffenen eine realistische Aussicht auf eine Staatsbürgerschaft garantieren soll.
Im Januar 2024 hat der Bundestag eine Reform des Staatsbürgerschaftgesetzes beschlossen. Staatenlose kommen darin allerdings nicht vor. Grüne und SPD wollten die Staatenlosen zwar in den Gesetzestext aufnehmen, so der Berichterstatter für die SPD im Gesetzgebungsverfahren, Hakar Demir. Doch das soll an den Bedenken der FDP gescheitert sein.
So gibt es weiterhin kein einheitliches Verfahren für die Anerkennung einer Staatenlosigkeit in Deutschland. Vieles ist Ländersache und Sache der örtlichen Ausländerbehörden. Immerhin: Mit einem Entschließungsantrag haben die Abgeordneten des Bundestags-Ausschusses für Inneres und Heimat das Bundesinnenministerium dazu aufgefordert, die Länder für die besondere Situation von Staatenlosen zu sensibilisieren.
Das Bundesinnenministerium erklärte auf Deutschlandfunk-Anfrage, dass es Hinweisen auf bestehende Vollzugsprobleme in den Ländern nachgehe und mit diesen Ländern bespreche. Das Bundesinnenministerium sei allerdings nicht befugt, die Länder beim Vollzug des Staatsangehörigkeitsgesetzes anzuweisen, so ein Sprecher.
Welche Kritik gibt es daran?
Der Politikwissenschaftler Hans Vorländer, Vorsitzender des Sachverständigenrats für Integration und Migration, kritisiert, dass die Anerkennung von Staatenlosigkeit bundesweit nicht einheitlich ist. Die Bundesregierung habe bei der Reform der Staatsangehörigkeitsgesetze „eine Chance verpasst, Staatenlosigkeit hier aufzunehmen und eben auch Wege aufzuzeigen zu einer schnelleren Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit.“
Die Bundestagsabgeordnete Gökay Akbulut (Die Linke) sagt: „Das ist einfach untragbar, wie man mit Menschen ohne Staatsangehörigkeit umgeht. Auf der einen Seite geht es darum, den Betroffenen hier Hilfestellung und Rechtssicherheit zu gewährleisten. Auf der anderen Seite geht es darum, hier die Behörden, die jahrelang eine ganz unterschiedliche Praxis haben, ganz unterschiedlichen Umgang haben mit Staatenlosigkeit. Und auf Bundesebene ist hier auch eine gesetzliche Lücke da.“
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