Das Bundesausbildungsförderungsgesetz BAföG ist in diesem Jahr 50 Jahre alt geworden. Es hat über die Jahre für einige Erfolgs- und auch für Aufstiegsgeschichten gesorgt. Doch nun scheint es nicht mehr zeitgemäß zu sein: Es sei bürokratisch, aufwendig und auch oft ungerecht, heißt es. Deswegen fordern Grüne und FDP, die mit großer Wahrscheinlichkeit an einer neuen Bundesregierung beteiligt sein werden, eine Reform das BAföG.
Passend dazu hat das Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie FiBS eine Studie veröffentlicht, in der es um die Einnahmen von Studierenden in den vergangenen Jahren geht. Auch Dieter Dohmen, Leiter der Studie, kommt zu dem Schluss: Eine Reform des BAFöG ist zwingend notwendig - ansetzen müsse man bei der Höhe, der Dauer und der Art des Zuschusses.
Das komplette Interview im Wortlaut:
Matthis Jungblut: Ist das BAföG wirklich so schlecht wie sein Ruf?
Dohmen: Man muss mittlerweile sagen – und das hat mich in dieser Klarheit tatsächlich überrascht, auch wenn ich das BAföG mittlerweile seit 35 Jahren beobachte –, wie deutlich der Abwärtstrend in den letzten Jahren ist. 2012 670.000, letztes Jahr 465.000, und wenn das so weitergeht, sind wir im Jahr 2030 bei 280.000. Das wäre eine Gefördertenquote von unter 10 Prozent. Insofern ja, das BAföG ist dringend überarbeitungsbedürftig.
Jungblut: Womit finanzieren sich denn dann die Studierenden heute? Geht das alles über Eltern, oder wird auch weiterhin gejobbt?
Dohmen: Also das eine ist ja, viele Eltern legen sich krumm, damit sie ihre Kinder, die studieren, unterstützen können. Wir sehen an vielen Stellen, dass die Eltern mehr leisten, als sie vor einigen Jahren geleistet haben, aber die andere zweite dicke Quelle ist die zusätzliche Erwerbstätigkeit. Zwar sind die Quoten derer, die erwerbstätig sind, nicht unbedingt gestiegen, aber dafür diejenigen, die arbeiten, arbeiten mehr und verdienen mehr. Und das ist gerade in denen Fällen besonders bedeutsam, wo das BAföG wegfällt – sei es, weil die Förderungshöchstdauer überschritten wurde, der Leistungsnachweis wegfällt oder aber auch das Einkommen der Eltern zu hoch ist.
"BAföG erodiert bei denen, bei denen es dringend nötig wäre"
Jungblut: Das BAföG wurde ja mal erfunden, um Kindern aus einkommensschwachen Familien ein Studium zu ermöglichen. Ist das immer noch so?
Dohmen: Theoretisch tut es das beziehungsweise es tut das in Teilen, aber wir sehen, dass es gerade in diesem Bereich zunehmend wirklich fast ausblutet. Also diejenigen, die, ich sag mal, in einem Einkommensbereich bis 2.000, 2.500 Euro, vielleicht auch 2.700 Euro sind, da greift das BAföG noch relativ gut, aber bei denjenigen, bei denen das Elterneinkommen etwas höher wird, da fällt es dann zunehmend weg.
Das macht sich an zwei Zahlen bemerkbar. Das eine ist einfach: 2012 sagten noch 53 Prozent der Studierenden aus der sogenannten niedrigen Bildungsherkunft, das heißt, hier hat höchstens ein Elternteil das Abitur oder eine abgeschlossene Berufsausbildung: Ja, ich hab BAföG gekriegt mit gut 500 Euro. Vier Jahre später, 2016, sind es nur noch 40 Prozent, und die kriegen noch 465 Euro. Das heißt, ein Drittel bekommt jetzt kein BAföG mehr, die ein paar Jahre vorher noch BAföG bekommen haben, das zieht sich durch.
Insofern erodiert das BAföG zunehmend gerade bei denen, bei denen es dringend nötig wäre. Und das, was die Studie erstaunlicherweise – das hat mich auch wirklich überrascht – gezeigt hat, ist, dass viele jüngere Studierende bei den Eltern offenkundig wohnen bleiben müssen, weil die finanziellen Umstände es nicht ermöglichen auszuziehen.
Studierende haben Angst vor der Verschuldung
Jungblut: Wenn wir jetzt mal nach vorne schauen: Die SPD, die Grünen und die FDP wollen das BAföG reformieren, die FDP will zum Beispiel ein elternunabhängiges BAföG, die Grünen eine Grundsicherung plus ein Zusatzbedarfsmodell, da wird man dann sehen, was da wirklich genau passiert. Aber was müsste denn eine Reform unbedingt beinhalten?
Dohmen: Also Minimum für eine Reform ist auf jeden Fall eine deutliche und überproportionale Erhöhung der Fördersätze. Hier ist seit 2010 wenig passiert, a) spät und b) wirklich zu wenig, das muss deutlich heraufgesetzt werden. Das andere ist, wir müssen die Elterneinkommensfreibeträge deutlich erhöhen, damit wieder mehr Kinder oder Studierende, deren Eltern, ich sag mal, im unteren, mittleren Einkommensbereich sind, BAföG bekommen.
Das Zweite ist – und das war auch in der Deutlichkeit überraschend: Über die Hälfte der Studierenden sagt, wir stellen gar keinen BAföG-Antrag, und von denen sagt über ein Viertel, ich stelle keinen BAföG-Antrag, weil es eine Zuschusskomponente hat. Das heißt, die Angst vor der Verschuldung führt tatsächlich dazu, dass ein erheblicher Teil junger Menschen keinen BAföG-Antrag stellt, und hier überproportional wieder Studierende aus einkommensschwächeren Familien und bei denjenigen, die bei den Eltern wohnen, sagen sogar zwei Drittel, ich stelle keinen BAföG-Antrag. Also auch hier zeigt sich, dass das BAföG an Bedeutung verloren hat, auch in der Wahrnehmung an Bedeutung verloren hat, und das wirkt sich an verschiedenen Stellen aus.
Jungblut: Bei der Angst vor Überschuldung, wie könnte man da entgegensteuern?
Dohmen: Die logische Konsequenz wäre, zu sagen, wir machen das BAföG wieder als Vollzuschuss, wie es ganz zu Anfang mal, Anfang der 70er-Jahre, war. Zumindest – das wäre so die Minimalforderung für das Bachelor-Studium – vielleicht mit zunehmendem Alter verändert man an vielen Stellen die Einstellung oder die Wahrnehmung von Verschuldung, also das wäre so für mich ein Minimalschritt.
Und ich würde noch ein bisschen weiter gehen: Wir müssen darüber hinaus die Förderungshöchstdauer um, ich sag mal, zwei Semester im Schnitt verlängern, die Möglichkeit des Fachrichtungswechsels vereinfachen und auch den Leistungsnachweis, also die Anforderung beziehungsweise die Möglichkeit zu sagen, ich brauche ein Semester länger. Hier sehen wir sehr deutlich, auch das betrifft Studierende aus einkommensschwächeren Familien überproportional, und sie müssen das dann auffangen in aller Regel über zusätzliche Erwerbstätigkeit, weil die Eltern die Unterstützung gar nicht leisten können. Insofern sind das so die Minimalforderungen, über die die zukünftigen Koalitionäre dann sprechen müssen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.