Archiv

Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg
Die Sicherung und Erschließung der Judaica

1938 wurde die jüdische Bibliothek in Hamburg von den Nazis konfisziert und in Dresden gelagert. Jetzt sollen die 13.000 Bände in deutscher, hebräischer und jüdischer Sprache der Öffentlichkeit wieder zugänglich gemacht werden, erläuterte Gabriele Beger, Direktorin der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, im DLF.

Gabriele Beger im Gespräch mit Beatrix Novy |
    Beatrix Novy: Die Jüdische Bibliothek in Hamburg hat einen langen Dornröschen-Schlaf hinter sich. Als Eigentum der Jüdischen Gemeinde wurde sie 1938 von den Nazis konfisziert, aber nicht, wie man annehmen könnte, vernichtet - womöglich, weil es hier materielle Werte gab, die man verscherbeln könnte. Jedenfalls wurde die Sammlung in Dresden gelagert, kam lange nach dem Krieg zurück nach Hamburg, blieb aber bis heute unzugänglich. Das soll sich nun ändern, dank einer Vereinbarung der Jüdischen Gemeinde Hamburg mit der Hamburger Universitätsbibliothek, die den Namen Carl von Ossietzky trägt, eines anderen Nazi-Verfemten. Die Direktorin der Bibliothek, Gabriele Beger, habe ich gefragt, warum es so lange gedauert hat, bis wir hier über die Wiederherstellung der Hamburger Jüdischen Bibliothek überhaupt reden können.
    Gabriele Beger: Wir müssen davon ausgehen, dass 1957 erst, viele Jahre nach Kriegsende, die Bibliothek wieder zurück nach Hamburg kam, und zwar in 70 Kisten. Die Kisten waren noch genau in dem Zustand, wie sie 1939 Hamburg verlassen haben. Allerdings die schlechten Transporte, die Aufbewahrung, natürlich auch Plünderung und auch Ratten haben dieser Bibliothek und den Büchern darin sehr stark zugesetzt, und nun fragt man sich zurecht, 1957 und 2014. Seit 2003 - so viel kann ich sagen - ist die Bibliothek schon sach- und fachgerecht in der Staatsbibliothek gelagert worden. Die Jüdische Gemeinde hatte uns darum gebeten, weil sie selber gar keinen Platz mehr hatte. Und dann hat es wirklich noch einmal zehn Jahre gedauert, bis die Jüdische Gemeinde sich entschlossen hat, mit uns einen Vertrag abzuschließen, sodass die Bestände dann über unser Haus auch wieder der interessierten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden konnten.
    Novy: Jetzt müssen wir doch mal auf die ganze Geschichte dieser interessanten Bibliothek kommen. Die ist ja was Herausragendes, sonst würden wir nicht darüber sprechen. Die wurde 1909 gegründet und 1923 dann von der Jüdischen Gemeinde in Hamburg übernommen und hat da dann gleich eine sehr wichtige Position eingenommen. Aber was war sie denn gewesen, als sie 1909 gegründet wurde? War das eine private Sammlung?
    Beger: Nein, das gehörte eigentlich einer jüdischen Initiative und wurde auch Jüdische Bibliothek und Lesehalle genannt. Sie war ja ansässig in dem Viertel in Hamburg. Das ist das Grindel-Viertel. Das gilt heute noch als das jüdische Viertel, wo sehr viel kulturelles Leben auch stattfand, und da war es völlig folgerichtig, dass man dort wie eine kleine Stadtteil-Bibliothek, würden wir heute dazu sagen, gegründet hat und der Öffentlichkeit zugänglich macht.
    Katalogisierung und Restauration
    Novy: Dann auch mehr mit profanen Büchern?
    Beger: Ja! Es war auch Literatur vorhanden. Es waren Klausuren da, es waren Zeitungen und Zeitschriften da und zur Erbauung, aber auch zur Bildung diente diese Bibliothek.
    Novy: Und 1923 hat dann die Jüdische Gemeinde sie übernommen und auch verändert, oder?
    Beger: Ja, sie war dann sehr stark wissenschaftlich ausgelegt. Es fanden sich dann auch schon Kommentare zum Talmud, aber natürlich auch ganz viele große Bibeln, Prachtbibeln, dann ungefähr 20 unterschiedliche Ausgaben des babylonischen Talmud sowie des palästinensischen, sehr kostbare Drucke des 18. Jahrhunderts, und man versuchte sehr viel, auch durch Kommentare alles wissenschaftlich zu belegen.
    Novy: Was sind denn jetzt die, sagen wir mal, restauratorischen Probleme? Welche Restauratoren machen das überhaupt, wer setzt sich jetzt da dran demnächst und was müssen die bewältigen an Problemen?
    Beger: Das ist ja ganz unterschiedlich. Es gibt natürlich einfache buchbinderische Arbeiten, sodass man natürlich nach all diesen Jahren und auch zum Teil unsachgemäßer Lagerung und der vielen Transporte einfach den Buchrücken ergänzen muss. Aber es gibt auch sehr starke Beschädigungen, die dann wirklich nur durch ausgebildete Restauratoren bewerkstelligt werden können, und so eine Restaurierung kann dann schon einmal bis zu 5.500 Euro kosten für einen Band.
    Novy: Das sind dann sicher Schätze, die es sich vielleicht auch mal hervorzuheben lohnt. Vielleicht haben Sie einige Beispiele.
    Beger: Ja. Die Bibliothek umfasst heute, die alte, die historische Bibliothek, 13.000 Bände in deutscher, hebräischer und jüdischer Sprache. Die Hälfte davon sind in hebräischer Sprache. Und wir können heute davon ausgehen, dass 3.000 hebräische Bände aus dem 17. Und 18. Jahrhundert wirklich als der wertvolle Bestand schlechthin gelten. Das sind Prachtbibeln, das ist aber auch eine zum Beispiel stattliche Sammlung jüdischer Literatur mit 300 Titeln. Und wir finden geschlossene Zeitungen, jüdische Zeitschriften aus dem 19. Jahrhundert, die überhaupt in dieser Geschlossenheit gar nicht mehr ansonsten existieren.
    Novy: Das eine, stelle ich mir vor, kann man sich eher im Museum vorstellen, wie zum Beispiel die Prachtbibeln; das andere in der Bibliothek zur Forschung.
    Beger: Wir werden alles zur Forschung bereitstellen, und zwar auch über die Bibliothek. Die Staatsbibliothek existiert ja schon 535 Jahre. Das ist ja eine mit der ältesten Bibliotheken. Demzufolge sind dort auch solche Bestände, glaube ich, professionell dargeboten und wir haben einen Sonderlesesaal, wo die Kostbarkeiten dann von jedem besichtigt werden können, und wir hoffen, dass die Forschung - und das hören wir auch heute schon - sich sehr darauf freut, da wieder Zugang zu haben.
    Zwei Wissenschaftlerinnen kümmern sich um Erschließung
    Novy: Wann wird denn das sein?
    Beger: Wir konnten dank der ersten Spenden, die bei uns eingegangen sind, schon beginnen. Das heißt, wir brauchten eine wissenschaftliche Mitarbeiterin, die im Hebräischen kundig ist, aber gleichzeitig auch bibliothekarische Fähigkeiten der Erschließung mit sich bringt, denn Sie können natürlich 13.000 Bände nicht einfach in einen Raum stellen und sagen, gehen Sie dort ran, sondern sie müssen erschlossen werden. Das heißt, sie müssen in einem Katalog verzeichnet werden und sie müssen auch systematisiert werden, damit man weiß, welchem Wissensgebiet jedes Buch und jede Zeitschrift zuzuordnen ist. Damit beginnen wir jetzt am 1. 1. Wir konnten zwei Wissenschaftlerinnen gewinnen, die sich der Erschließung annehmen. Parallel sind die ersten Restaurierungen in Auftrag gegeben worden. Wir gehen davon aus, dass in drei Jahren das Gesamtprojekt abgeschlossen ist.
    Novy: Aber noch suchen Sie Unterstützung für besondere Fälle zumindest?
    Beger: Ja. Was wir noch dringend brauchen, ist selbstverständlich das dritte Jahr. Es ist uns gelungen, jetzt für zwei Jahre die notwendigen finanziellen Mittel zu bekommen durch Zuwendungen. Die Hermann Reemtsma Stiftung, auch die Bucerius Zeit Stiftung und auch die Senatskanzlei, die Hamburger, haben bereits uns großzügige Zuwendungen zur Verfügung gestellt, sodass wir auf jeden Fall mit der Restaurierung beginnen können und wie gesagt auch die Fachkräfte einstellen konnten.
    Novy: Wenn Sie "wir" sagen, sprechen Sie ja für die Bibliothek, für die Universitätsbibliothek. Aber das Eigentum an dieser Bibliothek hat die Jüdische Gemeinde. Wie ist diese Kooperation genau?
    Beger: Wir haben einen Kooperationsvertrag geschlossen, der zum Gegenstand hat, dass die Bibliothek bei uns als Depositum verwahrt wird und wir die Bibliothek so erschließen und der Öffentlichkeit zugänglich machen, wie wir das mit unseren eigenen Beständen tun, auch, dass wir uns um die Zuwendung bemühen und für die sach- und fachgerechte Ausstellung und Benutzung Sorge tragen, und das Eigentum bleibt bei der Jüdischen Gemeinde.
    Novy: Wir haben dann einen Überblick über die Zeitschriften des 19. Jahrhunderts, auch über viele andere Veröffentlichungen aus der Zeit davor. Wie sieht es mit der Literatur selber aus, der jüdischen Literatur oder der von der Jüdischen Bibliothek gesammelten Literatur?
    Beger: Ja, das ist etwas sehr Schönes aus dem 19. Jahrhundert. Da befindet sich praktisch alles, was in Deutschland in diesem Jahrhundert an Hebräika erschienen ist. Das sind viele verschiedene Ausgaben, es sind die Werke der jüdischen Philosophie, der Theologie, Erzählungen, die großen Prediger. Sie haben letztendlich ein vollkommenes Bild, was im 19. Jahrhundert zu diesem Thema erschienen ist, und das ist schon ein ganz besonderer Schatz.
    Novy: Also einer, der diese Bibliothek auch noch einmal heraushebt über andere?
    Beger: Ja.
    Novy: ..., sagt Gabriele Beger, Direktorin der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg. Die Sicherung und Erschließung der Judaica in der Staats- und Universitätsbibliothek wird gefördert von der Zeit-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.