Kommentar zum Staatsangehörigkeitsrecht
Ein Schritt in die richtige Richtung, aber nicht mehr

Das neue Staatsbürgerschaftsrecht geht in die richtige Richtung. Nur gut ist es trotzdem nicht. Teilweise sind die Regeln offener, als es sinnvoll ist, oder sie sind zu ambitioniert. Und die Behörden sind ohnehin überlastet.

Ein Kommentar von Gudula Geuther | 27.06.2024
Ein Antrag auf Einbürgerung und ein deutscher Pass
Einbürgerungen könnten jetzt leichter werden. Die Behörden sind aber teilweise überfordert. (IMAGO / Sven Simon / IMAGO / Frank Hoermann / SVEN SIMON)
Für deutsche Verhältnisse ist die Zahl der Einbürgerungen derzeit sehr hoch, höher als seit zweieinhalb Jahrzehnten. Mit dem neuen Staatsangehörigkeitsrecht, das heute in Kraft tritt, dürften es noch deutlich mehr werden.
Und grundsätzlich ist das richtig so. Es ist nicht gut für die Demokratie, wenn Menschen, die dauerhaft in Deutschland leben, die am gesellschaftlichen Leben teilhaben, keine Chance auf politische Mitwirkung haben. Das ist immer noch häufig der Fall.

Doppelte Staatsbürgerschaften werden einfacher

Angesichts der öffentlichen Diskussion mag es manche überraschen, dass in Deutschland weniger Menschen die Möglichkeit der Einbürgerung ergreifen als in anderen europäischen Ländern. Mindestens ein Grund dafür war bis jetzt die Regelung zum Doppelpass. Wer Deutscher werden wollte, so zumindest die Grundregel, musste seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgeben.
Der Gedanke dahinter ist ebenso klar wie theoretisch. Loyalitäten sollten nicht geteilt sein, Deutscher sollte nur werden, wer sich ganz dafür entscheidet. So allerdings funktioniert Identität nicht. Menschen, die in mehreren Kulturen zu Hause sind, können gute Gründe haben, auch die Verbindung zum Herkunftsstaat zu behalten - und gleichzeitig loyal zu Deutschland stehen. Dass das neue Recht dem Rechnung trägt, ist richtig. Das ist die vielleicht wichtigste Neuerung.

Auch Verschärfungen sind geplant

Die Liberalisierung geht mit Verschärfungen einher, und auch die sind zum Teil richtig. Es ist richtig, dass krasse Verstöße gegen Grundwerte die Einbürgerung hindern sollen. Dass Antisemitismus, Rassismus und andere menschenverachtende Handlungen nicht hingenommen werden, soll gleich auf mehreren Ebenen deutlich gemacht werden, beim Einbürgerungstest, beim Bekenntnis zum deutschen Staat und bei einer Abfrage bei der Staatsanwaltschaft.
Nicht ganz unproblematisch ist das angesichts der Tragweite der Entscheidung, weil etwa der Begriff des Antisemitismus unterschiedlich ausgelegt werden kann. Und in die Köpfe schauen können die Beamten ohnehin nicht. Aber hier wird klar gemacht, was gilt.

Zum Teil nicht ganz logisch

Das neue Recht geht also in die richtige Richtung. Nur gut ist es trotzdem nicht. Teilweise sind die Regeln offener, als es sinnvoll ist. Beispiel doppelte Staatsangehörigkeit: Die wird auch akzeptiert, wenn die Kinder die Staatsbürgerschaft der Eltern erben - und zwar unbegrenzt. Es gibt keinen Generationenschnitt. Das muss nicht sein.
Um Identität wird es da irgendwann nicht mehr gehen, und die ist ja der eigentliche Grund für die Hinnahme der Mehrstaatigkeit. Auch die Möglichkeit, bei besonders guter Integration schon nach drei Jahren Deutscher zu werden, scheint allzu ambitioniert. Nicht, weil das nicht gerechtfertigt sein könnte. Sondern weil es nicht ganz logisch ist - da bekommt man schneller die Staatsbürgerschaft als die Niederlassungserlaubnis.
Allerdings nur auf dem Papier. Denn tatsächlich werden Einbürgerungen meist viel, viel länger dauern. Die Behörden sind jetzt schon vielfach überfordert. Laut einer Umfrage des Mediendienstes Integration liegen allein bei den größten deutschen Städten mehr Anträge, als insgesamt im vergangenen Jahr bearbeitet wurden - mit Wartezeiten zum Teil von über zwei Jahren. Verbesserungen hier wären spürbar. Und damit wichtiger als kurze Fristen auf dem Papier.
Gudula Geuther, Jahrgang 1970, studierte Rechtswissenschaften in München und Madrid. Nach Abschluss des Referendariats berichtete sie vom Rechtsstandort Karlsruhe erst unter anderem für Reuters und die taz, dann für das Deutschlandradio. Nach kurzer Zeit als Deutschlandradio-Landeskorrespondentin in Hessen arbeitet sie heute als Korrespondentin für Rechts- und Innenpolitik im Deutschlandradio-Hauptstadtstudio.