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Staatsanwalt fordert sechs Jahre Lagerhaft

Er prägte die Formel "Partei der Gauner und Diebe" für die Kremlpartei "Einiges Russland", und er will Präsident werden. Seit drei Monaten steht Alexej Nawalny, einer der Anführer der russischen Protestbewegung, vor Gericht. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Veruntreuung vor.

Von Gesine Dornblüth |
    Alexej Nawalny gab sich auch kurz vor dem Ende des Prozesses noch kämpferisch.

    "Ich und meine Kollegen werden alles tun, um das feudale System, das in Russland herrscht, zu zerstören. Das Machtsystem, bei dem 83 Prozent der nationalen Reichtümer einem halben Prozent der Bevölkerung gehören. Und ich rufe alle, die mit mir gearbeitet haben oder dies wollen, dazu auf, keine Angst zu haben."

    Zuvor hatte der Staatsanwalt sechs Jahre Lagerhaft für den Blogger und Juristen gefordert. Für den zweiten Angeklagten, Nawalnys angeblichen Komplizen Pjotr Ofizerow, verlangte er fünf Jahre. Außerdem sollen beide jeweils umgerechnet knapp 25.000 Euro Strafe zahlen.
    Die Staatsanwaltschaft sieht es als erwiesen an, dass Nawalny vor vier Jahren einen staatlichen Forstbetrieb in der Provinzstadt Kirow dazu gebracht hat, Holz weit unter dem Marktpreis zu verkaufen. Er soll dem Staat dadurch einen Schaden in Höhe von umgerechnet etwa 400.000 Euro zugefügt haben. Nawalny habe das vorsätzlich getan mit dem Ziel, sich zu bereichern, so der Staatsanwalt.
    "Das von der Anklage vorgeschlagene Strafmaß ist gerecht und angemessen. Es wird anderen eine Lehre sein und sie von ähnlichen Verbrechen abhalten."

    Die Staatsanwaltschaft blieb damit vier Jahre unter der Höchststrafe. Die Verteidigung beantragte Freispruch. Nawalnys Anwältin Olga Michailowa war sichtlich nervös.

    "Der Charakter der Anklage, das Fehlen echter Beweise und die Tatsache, dass das Gericht praktisch alle Anträge der Verteidigung abgelehnt hat, zeigen, dass dieser Prozess mit Rechtssprechung nichts zu tun hat, sondern nur ein Ziel hat: Geleitet von politischen Motiven einen bekannten gesellschaftlichen und politischen Akteur öffentlich zu diskreditieren und zu verurteilen."

    Die Verteidigung nannte die Anklage "zynisch", "verschwommen" und "unkonkret". Vor allem fehle es an Geschädigten. Bereits vor ein paar Jahren war ein ähnliches Verfahren gegen Nawalny eingestellt worden, weil kein Schaden vorlag. Menschenrechtler kritisieren den Prozess als politisch motiviert. Aleksej Nawalny ist einer der populärsten Köpfe der Protestbewegung. Er kandidiert für das Bürgermeisteramt in Moskau. Die Wahl findet Anfang September statt. Sollte Nawalny verurteilt werden, wäre ihm der Zugang zu politischen Ämtern verwehrt. Der Staatsanwalt bemühte sich heute redlich, dem Verfahren seine politische Brisanz zu nehmen.

    "Wirtschaftsverbrechen wie diese sind meist nicht besonders interessant. Es gibt viele davon. An diesem Fall ist nichts besonders, weder Ziele, noch Motive oder Mittel. Nur die Person des Angeklagten. Sie sorgt für ein großes öffentliches Interesse. In vielen Artikeln wurden die Beweise der Ermittler bis zur Unkenntlichkeit verfälscht. Nichts ist schlimmer für die Justiz, als öffentliche Diskussionen vor dem Richterspruch."

    Das Urteil gegen Nawalny soll am 18. Juli verkündet werden. Nawalny selbst geht von einer Verurteilung aus. Richter Sergej Blinow hat in den letzten zweieinhalb Jahren rund 130 Urteile gefällt, darunter war nicht ein Freispruch. Und der Staatsanwalt leistete sich heute einen vermutlich freudschen Versprecher. Er sprach noch während des Verfahrens statt von "Angeklagten" von "Verurteilten".