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Staatsballett Berlin in der Deutschen Oper
Reif für den Aufbruch zu neuen Ufern

Das Staatsballett Berlin hat in den letzten Jahren mehr durch Kritik an der Personalpolitik von sich Reden gemacht, als durch programmatische Qualität. Die fehlte auch bei der Deutschlandpremiere von "Altro Canto" von Jean-Christophe Maillot. Erst beim zweiten Werk des Abends überzeugte das Ensemble mit seinen technischen Qualitäten.

Von Elisabeth Nehring |
    Tänzer des Staatsballetts Berlin während einer Probe zu Daphnis et Chloe.
    Der französische Choreograf Jean-Christophe Maillot entschlackt die Inszenierung von "Daphnis et Chloé" von jeglichen Reminiszenzen an Natur und Antike. (imago )
    Musik von Claudio Monteverdi und Giovanni Girolamo Kapsberger, die Bühne von Kerzenlicht erhellt, die Kostüme eigens von Karl Lagerfeld entworfen – es war leicht, für die Ballettproduktion 'Altro Canto' gute Werbung zu machen. Der französische Choreograf Jean-Christophe Maillot hat das dreiviertel-stündige Stück 2006 für das Ballets de Monte-Carlo geschaffen. Aber auch ohne hohe Erwartungen wäre die Enttäuschung groß gewesen. Denn so eine altbackene Inszenierung, die irgendwo aus Mottenkiste der 80er-Jahre rausgekramt worden zu sein scheint, hat man schon mindestens ein dreiviertel Jahr nicht mehr beim Staatsballett gesehen.
    Kerzen schweben durch den Raum, aber eigentlich wird die Bühne von einer recht konventionellen Lichtregie aus starken Kontrasten von Helldunkel und dem im Durchschnittsballett allgegenwärtigen Goldton beherrscht. Karl Lagerfeld wollte wohl gendertechnisch ein bisschen spielen und hat einigen Männern kurze Röcke angezogen, leider aber dabei so viel Stoff um deren Hüften drapiert, dass das Ganze äußerst unvorteilhaft aussieht. Ganz zu schweigen von den Hosen, die andere Tänzer und Tänzerinnen tragen müssen und die immer genau da Falten werfen, wo Hosen auf keinen Fall Falten haben dürfen. Das sieht, sorry, nach richtig schlechtem Geschmack aus!
    Die beschworene Musikalität des Choreografen Maillot dagegen besteht darin, Rhythmik und Dynamik der Musik stets eins zu eins in Bewegung umzusetzen. Schnell lässt er die Tänzer zwischen langsamen, getragenen und temporeichen, kantigen Passagen wechseln; immerfort müssen Arme schmachtend ausgestreckt und Körper wellenförmig durchspült werden, um sich dann wieder ineinander zu verschlingen und verwickeln. Das gelingt den Tänzern und Tänzerinnen vor allem am Anfang nicht gut, aber vielleicht haben sie auch selbst nicht recht gewusst, warum sie so eine zopfige Choreografie tanzen müssen.
    Sichtbare Lust auf freie tänzerische Interpretation
    Dass das Staatsballett sehr wohl sehr gut tanzen kann, zeigt sich in Benjamin Millepieds Stück 'Daphnis et Chloé' von 2014.
    Grundlage von Maurice Ravels Ballettmusik ist die Geschichte zweier Waisenkinder, die sich ganz unschuldig ineinander verlieben, allerlei Unbillen des Lebens standhalten müssen und schließlich in Frieden zueinander finden. Eine bukolische Liebesgeschichte des alten Griechenlands, in der die Natur eine große Rolle spielt. Nicht so bei Millepied! Der französische Choreograf entschlackt die Inszenierung von jeglichen Reminiszenzen an Natur und Antike. Verführungen und Entführungen werden zwar in Szene gesetzt, dominiert wird die Choreografie aber von Millepieds freier Neoklassik, die den Tänzern ungeheuer viel Raum für ihre persönliche Form von Lässigkeit gibt. Elisa Carrillo Cabrera brilliert in der Rolle der Chloé; sie ist luftig-beschwingt und dennoch präzise, in jedem Moment emotional, doch niemals pathetisch.
    Die schlichten Kostüme – fließende Kleider und von Ferne an Schlafanzüge erinnernde Hemd- und Hosenkombinationen – werden erst in unschuldigem Weiß und später in leuchtend bunten Farben getragen. Das geometrische Bühnenbild des französischen Malers Daniel Buren besteht aus riesigen kreis- und quadratförmigen Objekten in Grün, Gelb und Orange und bricht auf erfrischende Weise mit dem lyrischen Tanzes und der impressionistischen Musik.
    Das holt eine Gewissheit zurück, die durch die reaktionär wirkenden Proteste gegen Sasha Waltz etwas aus den Augen verloren wurde: das Staatsballett ist eigentlich mehr als reif für den Aufbruch zu neuen Ufern.