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Staatseigene Schuhfabrik
Hier wird Kroatiens Staats-Schuh hergestellt

Nach dem Zerfall Jugoslawiens führte Kroatien die Marktwirtschaft ein. Die Schuhfabrik Borovo aber blieb staatseigen - es gibt sie bis heute. Trotz unterbezahlter Mitarbeiter und rotter Fabrikgebäude schaffte es ihr Einhorn-Sneaker sogar in die "Vogue".

Von Grit Eggerichs |
Ivan, Snježana und Krešo auf dem Gelände der Schuhfabrik Borovo
Produzieren in Ruinen - die Schuhfabrik Borovo hat schon mal bessere Tage gesehen (Grit Eggerichs / Deutschlandradio)
"Man sieht hier all die verfallenen Gebäude". Krešo Pavlić fährt durch das große Tor auf das Firmengelände – vorbei am Pförtnerhäuschen und an roten Backsteinblöcken mit Einschusslöchern und leeren Fensterhöhlen, aus denen Efeu wächst.
Große Hallen, in denen bis vor 28 Jahren massenhaft Schuhe und Autoreifen hergestellt wurden. 23.000 Menschen waren hier beschäftigt. Die Produktion der Schuhe läuft noch, wenn auch viel kleiner, erzählt Krešo Pavlic. Er ist Einkäufer in der Firma und bestellt Gerbstoffe, Leder und Textilien für den laufenden Betrieb.
Im Liefer-Lkw kamen auch vier Migranten
Vor ein paar Tagen haben wir Chemikalien aus Serbien geliefert bekommen. Als der Lkw ankam, waren vier Migranten drin, ich glaube Pakistaner. Die sind gerannt, als wir ausgeladen haben. Sie hatten sich zwischen den Paletten versteckt. Aus Pakistan. Der Fahrer wusste nichts... naja. Oder er hat sie selbst eingeschleust.
Die Donau, seit über 20 Jahren Grenze zu Serbien, ist nur ein paar Meter entfernt. Trotz der vielen guten Verstecke auf dem riesigen Gelände sind die vier Männer nicht weit gekommen. "Wir haben die Polizei gerufen, die haben sie mitgenommen."
Kroatische Flüchtlingshilfe-Organisationen in Zagreb prangern regelmäßig die Brutalität kroatischer Grenzbeamter an. Krešo findet das harte Durchgreifen richtig. Schließlich ist die Donau hier EU-Außengrenze.
Es ist Samstag, heute ist außer Krešo nur der Pförtner, der Produktionschef und eine Näherin da. Eins der zerschossenen Industriegebäude wurde nach dem Unabhängigkeitskrieg repariert. Inmitten der Ruinen ringsum wird hier produziert.
"Wir haben ja hier 87 Jahre Tradition," sagt Krešo und die Näherin Snježana: "Unser Gründer ist der Schuhfabrikant Bat'a, aus Tschechien." Der Unternehmer Jan Bat'a baute direkt am Flussufer ein Tochterunternehmen seiner Schuhfabrik in Mähren. Eine Arbeitersiedlung plante er gleich daneben. Das war Anfang der 1930er-Jahre. Die Fabrik wurde zum größten Hersteller von Schuhen auf dem Westbalkan.
Heute Arbeitgeber für 600 Menschen
Krešo wirft drei Lederrollen auf einen Schreibtisch im Büro. Der erste Krieg, den das Unternehmen überlebte, war der Zweite Weltkrieg. Danach verstaatlichte die jugoslawische Regierung die Fabrik, machte ein Kombinat daraus und nannte es Borovo. Neben Schuhen produzierte ein wachsendes Heer von Arbeitern nun auch Reifen und Maschinenteile. Aus allen jugoslawischen Teilrepubliken zogen Arbeitskräfte hierher.
Heute sind nur noch 600 Leute bei Borovo beschäftigt. Gut 300 in der Schuhproduktion, 200 Verkaufskräfte in den Schuhgeschäften im Land. Und ganze 100 in der Verwaltung. Borovo ist ein Staatsunternehmen.
Snježana Vrban an ihrer Nähmaschine in der Schuhfabrik Borovo
Snježana Vrban an ihrer Nähmaschine (Grit Eggerichs / Deutschlandradio)
"Hier werden die Leder- und Textilschuhe hergestellt, im anderen Flügel die Gummistiefel." Die Produktionshalle ist an diesem Samstag menschenleer. "Wir produzieren hier zwei Typen: Schuhe mit geklebten Sohlen und Schuhe mit gespritztem PU-Schaum."
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe "Slawonien in Kroatien - Nicht nur Hinterland".
Neben den Regalen mit den fertig genähten Oberschuhen stehen die Industrienähmaschinen, eine hinter der anderen. Snježanas Arbeitsplatz liegt mittendrin. Sie hat 1982 angefangen, bei Borovo zu arbeiten, als ausgebildete Schuhtechnikerin.
"Ich war auf der Schule damals. Die gehörte zu Borovo, ich habe vier Jahre gelernt, alles: vom Nähen, der Modellentwicklung, Materialien."
Kroatien will 'seine' Läden von anderen Staaten zurück
Damals produzierte und vertrieb die Schuhfabrik alles: von Damenpumps über Gummistiefel bis zu schweren Militärboots für die jugoslawischen Volksarmisten. Es gab Borovo-Läden in jeder größeren Stadt zwischen Skopje und Ljubljana. Und ein Vierteljahrhundert nach der Auflösung Jugoslawiens ist die Gütertrennung noch lange nicht abgeschlossen. Kroatien streitet vor Gericht um die Geschäfte. Die Regierung betrachtet sie als Firmeneigentum.
"Die Läden sind überall in den Zentren der großen Städte, also sehr viel wert. Sie wollen sie uns nicht zurückgeben."
Wer?
"Zum Beispiel unser Nachbar hier, vom anderen Flussufer."
Die Slowenen haben die Shops zurückgegeben. In Bosnien sieht es auch ganz gut aus. In Mazedonien und Montenegro müssen wir sehen. Nur Serbien ist schwierig... Dort haben wir auch eine weitere Fabrik. Die Serben sagen, die gehöre ihnen, weil sie auf serbischem Gebiet liegt. Aber wir haben die gebaut!
Nach dem Unabhängigkeitskrieg hat die kroatische Regierung das, was von der Schuhfabrik in Borovo übrig war, in Staatsbesitz behalten. Sie hat früheren Mitarbeitern die Rückkehr hierher erleichtert. Die Produktion sollte weitergehen, der Zerstörung zum Trotz.
Borovos Einhorn-Sneaker schaffte es in die "Vogue"
Krešo und Ivan sind damit beschäftigt, eine verirrte Taube zu bewegen, die Halle durch das Fenster wieder zu verlassen. Aber der gefällt es ganz gut hier.
Borovo hat einen Showroom. Ein fensterloser Saal mit den Schuhen der vergangenen Kollektionen in den Regalen ringsum. Das Staatsunternehmen hat in den vergangenen Jahren junge Designer beschäftigt und neue Modelle auf den Markt geworfen.
"Hier steht unser Startas-Modell, mit dem wir in der 'Vogue' waren. Das war natürlich gut für die Marke."
Der alte jugoslawische Leinensneaker Startas: von der Vogue im neuen Design 'weiße Einhörner auf rosa Grund' empfohlen. Hier im Regal steht der Schuh neben der gerahmten Seite aus der Zeitschrift. Ein Ehrenplatz, von einem Strahler beleuchtet.
"Und das ist alles natürliches Gummi. Die Tierschutzorganisationen sind schon auf uns zugekommen und haben gefragt, ob wir bei den Sneakers tierisches Material benutzen. Und wir können sagen: Nein, machen wir nicht."
Weitermachen in Ruinen
Doch trotz PR in der "Vogue" und einem Schuh, der zu veganen Konsumenten passt: Die Regierung investiert seit Jahren nur das Nötigste in die Fabrik, um den Betrieb aufrechtzuerhalten. Die Schuhtechnikerin Snježana verdient kaum 400 Euro im Monat. Viele der weniger qualifizierten Kolleginnen verdienen noch weniger.
Ruine auf dem Werksgelände der Schuhfabrik Borovo
Ungenutztes Gebäude auf dem Werksgelände (Grit Eggerichs / Deutschlandradio)
In der verlassenen Halle gegenüber liegen Firmenakten aus den Achtzigerjahren. Ein alter Holztisch. Ein Schuh. Die Tauben dürfen hier ungehindert ein- und ausfliegen.
"Ich bin schon traurig, das alles um mich herum zu sehen, aber ich bin privat glücklich und mir geht es gut", sagt Snježana . Und Krešo: "Ich bin nicht traurig! Diese kaputten Gebäude hier sind ja der Beweis, dass wir trotz der Probleme den Neustart geschafft haben und weitermachen."
Eine Produktion des Deutschlandfunk 2019