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Staatsgalerie Stuttgart
"Visionen einer neuen Welt"

Die Große Landesausstellung 2014 würdigt das facettenreiche Werk des Stuttgarter Bauhauskünstlers Oskar Schlemmer, das alle Varianten der Malerei ebenso wie Skulptur und Bühnenkunst umfasst. Neben zahlreichen Gemälden und Originalkostümen werden auch bislang unveröffentlichte Dokumente gezeigt.

Von Christian Gampert |
    Es ist ein Kreuz mit Oskar Schlemmer. Immer auf der Suche nach dem idealen Körper, der dann aber aussieht wie eine geometrisierte Schaufensterpuppe, immer auf der Suche nach der richtigen Stellung des Körpers, des Leibes im Raum - und das heißt: in der Welt. Immer auf der Suche nach der Harmonie, der mystischen Einheit von Mensch, Natur und Gesellschaft, während drum rum der Weltkrieg sich ankündigt und dann wirklich tobt. Schon die frühen Bilder, Landschaften meist, aus der Akademiephase bis 1914, sind geometrisch gebändigter Impressionismus, scharf gezogene Stuttgarter Dächer, gleißende Sonnen über kubistisch gebrochenen Tälern.
    Otto Dix malte Kriegskrüppel, Bettler und Huren
    Dann, nach dem Krieg, wird es bei Schlemmer richtig abstrakt und bleibt doch figurativ: Während Dix die Kriegskrüppel, Bettler und Huren malt und das Bauhaus sich um funktionale Architektur bemüht, macht Schlemmer etwas Ähnliches wie Mondrian - nur, dass er den menschlichen Körper als Zentrum seines Interesses nicht aufgibt. Der Körper wird idealisiert, aber nicht im griechischen oder erotischen Sinne; der ideale Körper entsteht am Reißbrett aus Versatzstücken der Geometrie. Er ist kühl und nur bedingt schön, er ist oft gesichtslos. Aber er passt perfekt in die perfekt konstruierten Treppen und Raumfluchten.
    Aber: So umfassend und reich, so differenziert wie jetzt in Stuttgart ist Schlemmer noch nie gezeigt worden. Stuttgart hat den weltweit wohl größten Schlemmer-Bestand, man hat viel dazu geliehen - und die Kuratorin Ina Conzen führt uns nun mit leichter Hand durch alle Facetten dieses merkwürdigen Werks, programmatisch beginnend mit der Bauhaus-Treppe über Frühphase, ornamentale Plastiken und abstrakt werdende Reliefs, erste Gliederpuppen (von 1922), mythisch gestaffelte und später dann großformatige Figuren im Raum hin zu den nackten Körpern und Sportbildern und, im zweiten Stock, dem Folkwang-Zyklus und dem Triadischen Ballett.
    Menschlicher Körper im Zentrum
    "Das Triadische Ballett ist ein absolut innovativer Tanz. Und zwar nicht nur 1922, als er uraufgeführt wurde, sondern heute immer noch. Das ist das Erstaunliche an diesem Tanzkonzept, dass man heute immer noch das Gefühl hat, das ist eine ganz und gar zeitgenössische Produktion."
    Ina Conzen hat die bunten Originalkostüme des Balletts auf schräger Ebene wirkungsvoll inszeniert. Der dazu laufende Film einer Aufführung zeigt dann aber - bei allem Avantgardismus - auch das Puppenhafte und Hampelmannartige der Choreografie: Die Tänzer sind mit ihren reduzierten Bewegungen vor allem Kostümträger. In den 20iger Jahren ein kopfiger Gegenentwurf zum Ausdruckstanz.
    Das aber ist das Nervende an Schlemmer: In allen Medien, Öl, Aquarell, Plastik, Grafik, Zeichnung, Wandgemälde, Bühne hat er stets dasselbe gemacht. Der Körper, der ideale Mensch als Zentrum einer durch Kunst verbesserten Welt: Irgendwann hat man sich sattgesehen an den Variationen des Immergleichen. Maß und Gesetz, Gefühl und Idee: Die Banalität dieser Figuren steht in krassem Gegensatz zur Perfektion der malerischen Ausführung. In starrer Statuarik, diagonal verzogen oder in voller Bewegungsdynamik, in lichter Stimmung oder später, als die Nazis kommen, sehr düster, in sportiver Anmutung oder, wie bei den beeindruckenden großformatigen, dreimal überarbeiteten Wand-Entwürfen zum Folkwangzyklus, als Jünglingsfiguren und Unterrichtsszenen.
    Auch Zeitdokumente werden gezeigt
    Und doch: Oskar Schlemmer, der nach Hohem, nach dem Kosmischen strebte, war ein Kind seiner Zeit. Er verstand nicht, dass die Nazis ihn für entartet hielten - seine Jünglinge, und die Nazis liebten Jünglinge, waren denen zu abstrakt. Er hielt sich für apolitisch, schrieb aber Briefe mit "deutschem Gruß". Ina Conzen zeigt auch Zeitdokumente.
    "Er hat sich sogar noch 1934 an einem Wettbewerb beteiligt für den Kongresssaal des Deutschen Museums in München - mit über dreitausend Figuren, die in Richtung einer Lichtgestalt marschieren, über der ein Hakenkreuz sich befindet. Und hat aber dann später gesagt, das war für ihn so ein allgemeines Sonnensymbol."
    Aber: Die Nazis warfen ihn aus dem Lehramt, und diese großartige Ausstellung führt vor, dass das auch künstlerisch sein Ende war. So stehen wir perplex vor dem großen Rätsel Oskar Schlemmer.